Anti-Doping-Forum in Berlin

Bengt Saltin, der renommierte Physiologe und einer der Wegbereiter des international organisierten Kampfes gegen Doping, warf der Welt-Doping-Agentur (WADA) und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) schwere Versäumnisse vor.

Doping-Labore sind gefragter denn je. Copyright: picture-alliance
Doping-Labore sind gefragter denn je. Copyright: picture-alliance

Er verwies auf die noch immer zu großen Betrugsspielräume für die Sünder. Pat McQuaid, der Präsident des Internationalen Radsportverbandes UCI, schloss weitere Dopingenthüllungen in seinem Zuständigkeitsbereich nicht aus; Britta Steffen, Doppelolympiasiegerin von Peking, legte erfrischend offen und ohne Berührungsängste ihre ganz persönliche Sichtweise in Bezug auf Manipulationen im Spitzensport dar. Bei seiner dritten Auflage entpuppte sich das von der internationalen Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt veranstaltete „Anti-Doping-Forum“ in Berlin einmal mehr als hochkarätige Veranstaltung, die sich in der Auseinandersetzung mit dem größten Übel des Sports inzwischen als feste Größe für Vertreter von Sportverbänden, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien etabliert hat. 

Diese Entwicklung ist vor allem das Verdienst von CAS-Richter Dirk Reiner-Martens, der seit mehr als 25 Jahren im Sportrecht tätig ist und unter dem Dach der Kanzlei mit Hauptsitz in München ein Team mit inzwischen einem halben Dutzend auf Sportrecht spezialisierten Anwälten beisammen hat. Die Crew, die beispielsweise die Organisatoren der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin juristisch berät, hat mittlerweile Außenstellen in Warschau und Kiew und wird demnächst auch einen Experten in Peking platzieren.  

„Es ist an der Zeit, mit dem Reden aufzuhören und mit Taten zu beginnen“, unterstrich Saltin zu Beginn seines Vortrages und machte sofort unmissverständlich klar, dass ihm die momentane Strategie in der Jagd nach Tätern und Hintermännern als keineswegs ausreichend erscheint. Anhand eindrucksvoller Zahlen und Daten über Blutwerte und deren Manipulation führte der 73 Jahre alte Direktor des Kopenhagener Zentrums für Muskelforschung und Pionier des dänischen Anti-Doping-Kampfes vor Augen, wie tief systematisches Doping vornehmlich mit Epo im weltweiten Sport verwurzelt ist. Angesichts von 80 verschiedenen Epo-Varianten sei dieses Thema weiterhin höchst aktuell. Saltin attestierte den Betrügern zum Teil „leichtes Arbeiten“ und attackierte die WADA: Man wolle dort „nicht akzeptieren, wie groß das Epo-Problem ist“. Ein Indiz sei dafür sei die mangelhafte Zusammenarbeit mit Biochemikern und anderen Experten für Proteine in allen möglichen Kombinationen und Verbindungen. Diese Auffassung deckt sich mit der Einschätzung von Wilhelm Schänzer aus dem Kölner Labor, die Technik gerade für Protein-Analysen müsse dringend verbessert werden. „Die WADA wird ihrer Verantwortung nicht immer gerecht“, monierte Saltin und forderte die Einbindung unabhängiger und fähiger Spezialisten in das Kontrollsystem. Mit dieser Öffnung könne zugleich für ein besseres Niveau der vom IOC international anerkannten Labors gesorgt werden. Diese Institute seien „nicht immer gute Ratgeber“, denn dort wolle man Geld verdienen und betrachte das Kontrollsystem als lukrativen Geschäftszweig. 

Damit korrespondiert Satins Appell, dass es nicht zuerst um die Quantität von Proben gehen müsse, sondern um ein intelligentes, effizientes und qualitativ hochwertiges Kontrollsystem. Daher sei es vom IOC regelrecht „dumm“ und „eine Katastrophe“, wenn dieses Gremium ernsthaft glauben sollte, dass das Kontrollsystem bei den Spielen in Peking besser gewesen sei, nur weil im Vergleich zu Athen 2004 die Zahl der Kontrollen um über 1.000 auf fast 4.800 erhöht wurde. Bei Wettkämpfen, so die eindeutige Botschaft des anerkannten Blutdoping-Experten, würden nur noch die außergewöhnlich naiven respektive dreisten Athleten erwischt. Wirksam sei nur ein Kontrollsystem, das in jene Phasen wirkt, die für die Saisonvorbereitung besonders wichtig sind. Leichtathleten etwa müssten besonders im Winter gestestet werden, die Skiläufer hingegen besonders in der Saisonvorbereitung im Sommer. „Hätte man diese Kontrollen zwischen den Saisons gemacht“, meinte Saltin mit Blick auf die die Zahl der Tests bei den Sommerspielen in Peking, „dann hätten wir 1.000 positive Fälle gehabt.“ Zugleich mahnte der Experte an, zu differenzieren und keine generellen Verdächtigungen auszusprechen. Seinen Erfahrungen zufolge verhalte sich anscheinend der Großteil der Sportler korrekt, nur etwa drei bis fünf Prozent der Athleten kämen als „Betrüger“ in Betracht. 

Saltin: Radsport von Olympia ausschließen, das wäre „albern“ 

Sollen die Dopingtests wirklich Täter überführen oder zumindest abschreckend sein, könne ein zukunftsfähiges System nur darin bestehen, von Athleten einen „biologischen Pass“ zu erstellen und die Anlage von Blutprofilen mit „zeitlich intelligenten Trainingskontrollen“ zu kombinieren und die Werte immer wieder abzugleichen. Leider unterstütze die WADA diesen Ansatz nicht, be-dauerte Saltin und beklagte insbesondere fehlende Handlungsvorgaben für die internationalen Sportverbände. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF habe zwar inzwischen Blutprofile von seinen Athleten, aber er nutze sie nicht. Selbst dann, wenn abnormale Werte von einzelnen Athleten bekannt seien, werde nichts unternommen  Bei den Eisschnellläufern werde ebenfalls nicht sanktioniert. Immerhin tröstete sich Saltin damit, dass einzelne Verbände inzwischen überhaupt Blutprofile eingeführt haben und hob insbesondere den Internationalen Radsportverband hervor. Während Ruderer, Schwimmer oder Fußballer in Sachen Blutprofilen „gar nichts tun“, sei es geradezu „albern“, ausgerechnet die Radsportler von Olympischen Spielen ausschließen zu wollen. 

Damit lieferte Saltin UCI-Präsident Pat McQuaid eine Steilvorlage, die vom Iren gern aufgegriffen wurde. In seinem Vortrag wider das ramponierte und „sehr schlechte Image“ seiner Sportart präsentierte der prominente Gast Zahlen und Fakten zum „biologischen Pass“ im Radsport. Seit diesem Jahr gibt es dieses Instrument im UCI-Einzugsbereich. Die 18 wichtigsten Profiteams und 12 Mannschaften aus der zweiten Liga sind diesem System angeschlossen, in dem der „indirekte Nachweis“ von Betrügereien das Ziel ist. Nicht nach den verbotenen Substanzen selbst werde laut McQuaid gefahndet, sondern nach deren Auswirkungen, indem nachgewiesen werden soll, dass Blut manipuliert worden ist. Fast 5.600 Bluttests habe es bereits gegeben, 55 Prozent davon seien Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen gewesen. Im Jahr zuvor habe diese Zahl noch bei 18,3 Prozent gelegen, 2004 gar nur bei 4,8 Prozent. Ergo scheint die UCI mit ihrem neuen System die unangemeldete Trainingskontrolle endlich als Größe im Anti-Doping-Kampf für sich entdeckt zu haben!

Blutprofile bei 20 bis 30 Radprofis in diesem Jahr auffällig 

Insgesamt wendet die UCI für die Blutprofile von rund 800 Profis im laufenden Jahr 4,2 Millionen Euro auf, fast ein Drittel ihres Jahresbudgets also. „Warum? Weil allen klar geworden ist, dass das Radsport-Geschäft keine Zukunft hat, wenn wir das Dopingproblem nicht in den Griff bekommen.“ Erste Ergebnisse sollen in einer Art „Ausscheidungsrennen“ alsbald sichtbar werden, wobei McQuaid am Ende weitere Dopingfälle nicht überraschen würden. In einer ersten Expertenrunde wurden im September die etwa 800 Profile erstmals verglichen und bei rund 20 bis 30 Fahrern auffällige sprich abnormale Verlaufskurven festgestellt. Für Sanktionen scheint das Material noch nicht ausreichend. Deswegen kündigte der UCI-Präsident für die „Abweichler“ weitere gezielte Tests an, was den Druck auf potentielle Sünder erhöhen soll. Die Schlinge um diese Fahrer soll auf diese Weise immer enger gezogen werden. Vielleicht, so ein Vorschlag aus dem Auditorium des Anti-Doping-Forums, könnte für Fahrer mit abnormalen Verlaufskurven, die noch nicht gesperrt wurden, bei der „Tour de France“ 2009 ein eigenes Trikot kreiert werden. Schwarz zum Beispiel mit kleinen weißen Kreuzen und der Aufschrift: „Unter besonderer Beobachtung“. Nach dem neuen WADA-Code übrigens werden des Dopings verdächtigte Sportler übrigens ab 1. Januar im internen Sprachgebrauch als „Red-Flag-Athleten“ bezeichnet und stehen mit dieser Symbolisierung im speziellen Fokus der Kontrolleure. 

Britta Steffen: „Man muss bereit sein, sich gläsern zu machen“ 

Für Britta Steffen dürfte diese Klassifizierung sicher nicht zutreffen. Wie sonst hätte die Superkraulerin, die in Peking mit zwei Mal Gold über 100 m und 50 m Freistil glänzte, sich im Gespräch mit Sportrechtlerin Julia Feldhoff-Mohr beim Anti-Doping-Forum derart offen und ehrlich selbst den heikelsten Fragen gestellt? „Ich kann dem Thema Doping nicht ausweichen. Jede gute Leistung wird inzwischen automatisch mit dem Verdacht in Verbindung gebracht. Ich musste lernen, mich damit hart auseinanderzusetzen“, sagte Steffen und konstatierte: Der Schwimmsport könne vom Vorwurf des Dopings nicht von vornherein freigesprochen werden. Sie selbst, die alle zwei bis vier Wochen kontrolliert werde und deren Trainingsproben zum Teil eingefroren wurden, sei zu keiner Zeit „in Versuchung gebracht“ worden. Einerseits, weil von außen unlautere Mittel nie an sie herangetragen worden ist und andererseits, weil sie als Sportlerin klare Maßstäbe für sich anlege. „Was im Leben zählt, das ist in allererster Linie die Gesundheit“, betonte Steffen. Eine feminine Sicht der Ablehnung von Doping, die sich mit Aussagen zum Beispiel von Radweltmeisterin Hanka Kupfernagel decken: „Für mich persönlich ist Doping nie ein Thema gewesen, das kann ich mit gutem Gewissen sagen. Ich denke, dass auch die anderen Mädels schlau genug sind, es genau so zu machen, denn bei Frauen hat die Einnahme von Dopingmitteln noch eine ganz besondere Dimension. Ich denke, dass alle Frauen gesunde Kinder zur Welt bringen wollen und schon deswegen von vornherein auf Manipulationen verzichten.“ 

Ohne Zögern wäre Steffen damit einverstanden, auch von den Akteuren im Schwimmsport lückenlose Blutprofile anzulegen. Um der Glaubwürdigkeit von Leistungen und Medaillen willen wäre sie sogar bereit, die Grenzen der persönlichen Freiheit vom Kontrollsystem so weit wie möglich einschränken zu lassen. Damit sie von Kontrolleuren jederzeit unangemeldet angetroffen werden kann, ist Steffen derzeit Woche für Woche etwa 90 Minuten allein damit befasst, dem Welt-Schwimmverband bzw. der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) ihre Aufenthaltsorte zu melden und diese Angaben zu aktualisieren. „Man muss bereit sein, sich gläsern zu machen“, lautete die persönliche Botschaft der besten deutschen Schwimmerin und die 25-Jährige wartete bei dieser Gelegenheit gleich noch mit einem Verbesserungsvorschlag auf. Man könnte doch am Schlüsselbund oder anderswo einen Chip anbringen, um damit noch besser zu orten, wo sich eine Sportlerin und ein Sportler gerade aufhalten. Gut möglich, dass die „elektronische Fußfessel“ der Preis ist, den die modernen Helden der Arena im Ringen um einen sauberen Sport und zum Schutz der ehrlichen Leistung zu zahlen bereit sein müssen. „Letztendlich“, unterstrich Britta Steffen, „kann ich nur mich selbst beeinflussen und nicht die Anderen. Man muss mit sich selbst im Reinen sein.“


  • Doping-Labore sind gefragter denn je. Copyright: picture-alliance
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