Die Beziehung zur Natur überdenken

Die aktuelle Ausgabe "Sport schützt Umwelt" legt den Fokus auf Sport, Gesellschaft, Gesundheit und Umwelt. In einer dreiteiligen Serie kommen verschiedene Akteure zu Wort.

Der WWF fordert zu einem resilienten, nachhaltigen und gerechten Wirtschaften auf. Foto: picture-alliance
Der WWF fordert zu einem resilienten, nachhaltigen und gerechten Wirtschaften auf. Foto: picture-alliance

Im zweiten Teil zeigt Marco Vollmar, Mitglied der Geschäftsführung von WWF Deutschland, im Interview auf wie Umweltzerstörung und Gesundheit zusammenhängen. 

Der Wald und die Parks in den Städten waren in den vergangenen Monaten die einzigen „Sportstätten“, die wir betreten durften, um uns zu bewegen. Die Schließung der Sportstätten hat uns allen sehr zugesetzt. In der Berichterstattung der vergangenen Monate tauchte der Hinweis auf, dass generell das Pandemie-Risiko durch Umweltzerstörung wächst. Wie hängt das zusammen?

MARCO VOLLMAR: Eine intakte Natur ist ein Bollwerk gegen neue Krankheitserreger und Pandemien und muss endlich als entscheidender Schlüsselfaktor für unsere Gesundheit wahrgenommen werden. Covid-19 oder die Corona-Pandemie ist eine globale Gesundheitskrise, verbunden mit dramatischen Einschnitten in unserem Alltagsleben. Doch zur bitteren Wahrheit gehört auch: Das ist eine Krise mit Ansage. Seit Jahren warnen Mediziner wie Umweltschützer, dass durch massive Naturzerstörung und den illegalen Wildtierhandel nicht nur die Gesundheit unseres Planeten, sondern auch unsere eigene Gesundheit in Gefahr ist. Eine neue WWF-Analyse mit dem Titel „The Loss of Nature and Rise of Pandemics“ warnt vor wachsenden globalen Gesundheitsrisiken aufgrund von Umweltzerstörung. So nimmt laut unserer Analyse die Gefahr weiterer Zoonosen zu – also von Krankheitserregern, die von Wild- und Haustieren auf Menschen überspringen. Ausbrüche anderer Infektionskrankheiten, wie etwa Malaria, stehen zudem im direkten Zusammenhang mit Waldrodungen. Untersuchungen aus Brasilien belegen zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen Waldrodungen und der Zunahme von Malaria-Erkrankungen. Eine brasilianische Studie aus dem Jahr 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass die Abholzung von vier Prozent eines Waldes mit einer fast 50-prozentigen Zunahme der Malariafälle beim Menschen einher ging. Ähnliches wurde in Afrika beobachtet: Durch den Bau von Staudämmen nahm die Population wandernder Süßwassershrimps drastisch ab. Dies führte dazu, dass sich die Beutetiere der Shrimps, bestimmte Schneckenarten, vermehrten. Die Schnecken wiederum sind Zwischenwirt des Bilharziose-Erregers. In der Folge kam es zu einer Zunahme der Erkrankung beim Menschen. Die Gesundheit von Menschen, Wildtieren und Umwelt muss konsequent zusammen gedacht werden. Wir müssen unsere Beziehung zur Natur überdenken und korrigieren. Die Zusammenhänge zwischen gesunden, vielfältigen Lebensräumen einerseits und der menschlichen Gesundheit andererseits müssen bei der globalen Gesundheitsvorsorge in den Fokus gestellt werden.

Wissenschaftler* innen haben schon seit Jahren gewarnt: Insbesondere der Klimawandel sei eine massive und bedrohliche, globale Umweltveränderung. Die Folgen des Klimawandels stünden in enger Wechselwirkung mit Entwicklungen wie dem Verlust von Biodiversität, Wasserkrisen und der stärkeren Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Müssen wir in der jetzigen Situation befürchten, dass von der Politik kurzfristig gedacht wird und aus wirtschaftlichen Gründen der Klimaschutz hintenangestellt wird?

VOLLMAR: Die Covid-19-Pandemie hat unmittelbare Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, die Sozialsysteme und die Wirtschaft: Dort ist in der aktuellen Phase schnelles und entschlossenes Handeln erforderlich, um die direkten Folgen zu begrenzen. Neben den Soforthilfen werden bereits jetzt von der EU-Kommission und auch der Bundesregierung Konjunkturpakete entwickelt, mit denen nach Überstehen der schlimmsten Phase die Wirtschaft wieder angekurbelt werden soll, um einen langfristigen Abschwung zu vermeiden. Die unmittelbare Priorität besteht jetzt darin, Leben zu retten und die Schwächsten zu schützen. Die Klimakrise und der Verlust der biologischen Vielfalt und von intakten Naturräumen sind und bleiben aber weiterhin sehr reale Bedrohungen – auch für unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist wichtig, dass die kommenden Konjunkturprogramme auf unsere Zukunftsfähigkeit einzahlen. Deutschland muss hier mit gutem Beispiel vorangehen und in Bildung und Forschung investieren, in moderne nachhaltige Technologien und Infrastrukturen, erneuerbare Energien, umweltfreundliche Verkehrssysteme, und so insgesamt einen Übergang zu einem neuen, gerechten und nachhaltigeren Wirtschaften fördern. Wir alle lernen aus der Corona-Krise, wie wichtig Vorbeugung und frühzeitiges, entschlossenes Handeln sein können. Der WWF fordert die Europäische Kommission und die Regierungen ihrer Mitgliedstaaten auf, jetzt Führungsstärke und Weitsicht zu zeigen, indem sie die Pfade hin zu einem resilienten, nachhaltigen und gerechten Wirtschaften stärkt und verfolgt. Der European Green Deal, das Pariser Klimaabkommen, die UN-Biodiversitätsziele und die Ziele für nachhaltige Entwicklung der globalen Agenda 2030 (SDGs) bieten den hierfür erforderlichen Rahmen. Wirtschaftliche Entwicklung und Klima- und Umweltschutz können und müssen Hand in Hand gehen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Investitionen müssenin die Zukunftssicherheit unserer Volkswirtschaften gelenkt und diese dadurch langfristig widerstandsfähig gemacht werden. Wir müssen schädliche Subventionen beenden, die nachhaltige Finanzpolitik beschleunigen und nachhaltige Produktions- und Lieferketten sicherstellen.

Jogi Löw brachte uns schon vor Wochen zum Nachdenken, in dem er Machtgier und Profit im Profisport anprangerte, während Umweltkatastrophen uns nur am Rande berührt hätten. Haben Sie Ratschläge für den Sport, wie wir die Lehren aus der Pandemie in zielgerichtetes, nachhaltiges und umwelt- und klimafreundliches Handeln umsetzen können?

VOLLMAR: Ich finde es immer schwierig, anderen Ratschläge zu erteilen. Aber ich werbe gerne auch unter Sportlern dafür, unsere Ziele zu unterstützen. Sportler haben eine wichtige Stimme im öffentlichen Diskurs. Wir wären sehr dankbar, wenn der Sport und die Sportler unsere Forderungen unterstützen und in ihren Foren und Gremien ebenfalls dafür Sorge tragen, dass die Bundesregierung unbedingt an den Klimazielen festhält und die notwendigen staatlichen Investitionen für eine schnelle wirtschaftliche Erholung mit Anreizprogrammen für Energieeffizienz, erneuerbaren Strom, klimafreundliche Mobilität, klimaneutrale Gebäude und hocheffiziente Industrieprozesse verknüpft werden. Deutschland muss hierbei eine Vorreiterrolle in Europa und der Welt einnehmen.

(Quelle: DOSB/Sport schützt Umwelt Ausgabe 132)


  • Der WWF fordert zu einem resilienten, nachhaltigen und gerechten Wirtschaften auf. Foto: picture-alliance
    Turnschuhe mit Grafik zu Klimaschutz "Let's flatten this curve, too" Foto: picture-alliance