Die Praxis in der Sportwissenschaft nicht vergessen

In einem offenen Brief appelliert der Fakultätentag Sport an die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die besonderen Bedürfnisse der Sportwissenschaft zu berücksichtigen.

Für Sportstudierende ist auch die Praxis wichtiger Bestandteil ihrer Ausbildung. Foto: picture-alliance
Für Sportstudierende ist auch die Praxis wichtiger Bestandteil ihrer Ausbildung. Foto: picture-alliance

Der Brief im Wortlaut:

Im Zuge der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Deutschland hat sich die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) frühzeitig für die Durchführung des Sommersemesters 2020 als Online-Semester mit digitalen Lehrveranstaltungen ausgesprochen und warnt aktuell vor einer frühzeitigen Rückkehr in den Präsenzmodus. Wir als Fakultätentag Sportwissenschaft respektieren und unterstützen dies ebenso wie alle länderseitigen Maßnahmen, die zur weiteren Eindämmung und zum baldigen Verschwinden der Pandemie beitragen können.

Gleichzeitig ist es uns als Fachvertretung ein wichtiges Anliegen darauf hinzuweisen, dass die Sportwissenschaft bzw. der Sport als Studienfach von den Einschränkungen an den Hochschulen in Lehre und Forschung in besonderer Weise betroffen ist. Insofern nehmen wir mit Verwunderung zur Kenntnis, dass selbst in den jüngsten Verlautbarungen der HRK zwar an mehreren Stellen von den Musik- und Kunsthochschulen, nicht aber vom Fach Sport bzw. Sportwissenschaft die Rede ist. Das Fach Sport bzw. Sportwissenschaft studieren gegenwärtig an den rund 60 Fakultäten (z. B. in München, Leipzig, Bochum) und Instituten der Universitäten (z. B. in Mainz, Frankfurt, Hamburg, Jena) einschließlich der Pädagogischen Hochschulen (z. B. in Baden-Württemberg) knapp 30.000 junge Menschen, davon rund die Hälfte in den verschiedenen Lehramtsstudiengängen. Die Deutsche Sporthochschule Köln ist mit über 6.000 Studierenden die größte Lehr- und Forschungseinrichtung in unserem Fach in Deutschland.

Das Studium im Fach Sport bzw. in der Sportwissenschaft ist originär geprägt durch einen hohen Anteil an praktischen Lehrformaten ähnlich wie in den Studiengängen der Fachrichtungen Musik und Kunst. In unserem Fach handelt es sich vornehmlich um vielfältige methodisch-didaktische Lehrveranstaltungen im Bereich der Theorie und Praxis der Sportarten (z. B. Leichtathletik, Gerätturnen, Ballspiele wie Handball, Volleyball, Hockey etc.) bzw. in Bewegungsfeldern (z. B. Ringen und Raufen, Rollen und Gleiten); ferner sind Exkursionen (z. B. im Wassersport, Skifahren) und Praktika (z. B. in der Schule, Sportverein) feste Bestandteile des Studiums. Diese Lehrveranstaltungen lassen sich nicht durchgängig online bzw. virtuell durchführen, sondern „leben“ von körperlichen Erfahrungen in Bewegung, zumal die Studierenden hier auch praktische Prüfungen zu erbringen haben.

Die Vermittlung solcher sportart- bzw. bewegungsfeldbezogenen Kompetenzen gehört seit jeher zum identitätsstiftenden Kern des Studiums mit unterschied-lichen Anteilen quer durch alle Studiengänge bzw. für alle Studienabschlüsse.

Nähere Angaben zur Ausgestaltung dieser speziellen Lehr-Lern-Formate finden sich sowohl im „Memorandum Sportwissenschaft“ (September 2017) als auch im jüngsten „Kerncurriculum Ein-Fach-Bachelor Sportwissenschaft“ (September 2017). Beide Denkschriften wurden kollegial und konsensual vom Fakultätentag Sportwissenschaft (FSW) u. a. zusammen mit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) erarbeitet und verabschiedet. Der Fakultätentag Sportwissenschaft ist bestrebt, an der Umsetzung der dort verfassten Eckpunkte und Forderungen zur weiteren Profilstärkung unseres Faches an den Hochschulen mitzuwirken.

Die Fachrichtung Sportwissenschaft ist innerhalb der Universitäten eine Wissenschaftsdisziplin unter andern und doch unterscheidet sie sich grundlegend von diesen. Innerhalb der Hochschulen existieren unterschiedliche Modelle der Organisation und Kooperation zwischen den Fakultäten und Instituten für Sportwissenschaft und den überall vorhandenen Einrichtungen des Hochschulsports, der sich als Serviceeinrichtung für alle Angehörigen der Hochschule (Studierende und Bedienstete) versteht. Auch die Angebote und Ressourcen des Hochschulsports sind derzeit von der Pandemie betroffen. An möglichen Lockerungen des Hochschulsports, die jetzt nach und nach angestrebt werden, muss auch die Sportwissenschaft bzw. das Fach Sport mit der praktischen Lehre partizipieren können.

Wir als Fakultätentag Sportwissenschaft richten daher den dringenden Appell über die HRK an die Regierungen von Bund und Ländern, bei allen künftigen Beschlüssen die besonderen Bedürfnisse des Sports bzw. der Sportwissen-schaft gezielt zu berücksichtigen. Wir sind insbesondere hier in großer Sorge für die zukünftige Gestaltung der (praktischen) Lehre in unserem Fach, weil aus einzelnen Hochschulen in Deutschland jetzt schon Signale zu vernehmen sind, die Online-Lehre im kommenden Wintersemester beizubehalten. Die Be-lange der praktischen Lehre als elementarer Bestandteil in unserem Fach finden dabei keine Berücksichtigung.

Hannover, im Juni 2020

Vorstand Fakultätentag Sportwissenschaft (FSW)

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann (Vorsitzender, Leibniz Universität Hannover)

Prof. Dr. Stefan König (stv. Vorsitzender, Pädagog. Hochschule Weingarten)

Prof. Dr. Andre Seyfarth (stv. Vorsitzender, Technische Universität Darmstadt)

Der offene Brief wird unterstützt durch das Präsidium der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.

(Quelle: Fakultätentag Sport)


  • Für Sportstudierende ist auch die Praxis wichtiger Bestandteil ihrer Ausbildung. Foto: picture-alliance
    Eine Gruppe Studenten beim Beachvolleyball Foto: picture-alliance