Erlebnisse vom ersten Paralympischen Winterjugendlager

DOSB-Autor Norbert Fleischmann beschreibt in seinem Erfahrungsbericht über das paralympische Jugendlager in Vancouver, die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens.

Das paralympische Jugendlager in Vancouver stellte die Organisatoren vor besondere Herausforderungen. Copyright: picture-alliance
Das paralympische Jugendlager in Vancouver stellte die Organisatoren vor besondere Herausforderungen. Copyright: picture-alliance

Die Frage kam während der Paralympics in Peking auf. Und sie löste bei den Verantwortlichen des deutschen Paralympischen Jugendlagers eine zwiespältige Stimmung aus zwischen Lob, Anerkennung und vielen Fragen und Zweifeln. „Weshalb“, so wollte damals Ingo Weiss, Vorsitzender der Deutschen Sportjugend wissen, „organisiert ihr nicht auch ein Jugendlager bei den nächsten Spielen in Vancouver?“

Diese Frage hatten sie sich in den letzten Jahren schon selbst gestellt, aber immer gehofft, dass vielleicht eines der alpinen Nachbarländer die Initiative übernähme und man sich dann anhängen könnte. Bei den Sommerparalympics war Deutschland der Vorreiter und hatte Österreich und die Türkei zur Teilnahme gewinnen können.

Nun war die Frage aber laut in der Öffentlichkeit gestellt und eine Antwort, möglichst doch eine positive, wurde wahrscheinlich erwartet.

Dem Autor dieses Berichtes schoss nun eine ähnliche Situation aus dem Jahre 1991 durch den Kopf, als er als Vertreter der Deutschen Sportjugend dem damaligen Jugendwart der Deutschen Behindertensportjugend (DBSJ) die Frage stellte: „Weshalb macht ihr kein Jugendlager bei den Paralympics in Barcelona? Ein Olympisches Jugendlager gibt es doch dort auch.“

Was eine solch einfache Frage auslösen kann, hatte er nun seit 1992 persönlich miterleben können. Die gesamte Planung, Vorbereitung, Finanzierung und die Suche nach einer geeigneten Unterkunft in der Stadt der Paralympics, stellten das kleine Team der Organisatoren vor oft nur schwer lösbare Probleme.

Nun gut, die Frage war gestellt und die Antwort war nun ein klares Bekenntnis auch bei den Winterspielen unserem Nachwuchs die Chance zu geben, die Paralympics live miterleben zu dürfen und die paralympische Atmosphäre in vollen Zügen in sich aufzunehmen.

Dieses stolze „Ja“, während der Paralympics im September 2008 in Peking ausgesprochen, mit dem ruhigen Gefühl, bis Vancouver 2010 ist jetzt ja noch genügend Zeit (zwei Jahre: 2008 bis 2010!), entpuppte sich spätestens vier Monate später als naiver Denkfehler. Denn nun hatten wir „plötzlich“ 2009 und genau nur noch ein Jahr bis zu den Winterparalympics. Die bisherige Erfahrung bei den Sommerparalympics hatte gezeigt, dass eine Vorbereitungszeit für ein Jugendlager zwei Jahre benötigte.

Peking noch nicht richtig in allen Details abgeschlossen und Vancouver in Windeseile vorbereiten: Die Füße wurden schon ein wenig kalt.

Dass dieser Test nur mit einer relativ kleinen Teilnehmergruppe gestartet werden konnte war sofort Konsens. Die „kalten Füße“ bezogen sich ganz stark auf die Finanzierung und die immer wiederkehrende Frage nach einer geeigneten und bezahlbaren Unterkunft für ein Jugendlager.

In den Städten der Olympischen- und Paralympischen Spiele ist es guter Brauch, im Vorfeld die Preise für Unterkünfte, sportlich angemessen, zu neuen Rekordhöhen zu treiben. Sucht man nun noch ein Haus, welches auch, wenigstens mit einigen Räumen, dem Anspruch behindertengerecht entspricht, findet man nichts oder kommt in Preiskategorien, die nicht zu zahlen sind oder dem Anspruch eines Jugendlagers nicht mehr entsprechen. Ist dann auch keiner des kleinen Organisationsteams selbst vor Ort, ist man auf Agenturen, Berater angewiesen, denen man immer wieder die speziellen Bedürfnisse und Erwartungen verdeutlichen muss, wird die Problematik der Planung und Vorbereitung noch deutlicher.

Nach unserem Motto von Peking „One dream, one team“ und den tollen Erfahrungen von 2008, konnte es jetzt nur noch heißen: „Do it again!“

Dass Vancouver uns vor völlig neue Herausforderungen stellte, wurde schon daran klar, dass die Spiele in Vancouver und Whistler stattfanden und beide Orte gut zwei Stunden voneinander entfernt liegen. Die Unterkünfte in Vancouver waren um vieles billiger als in Whistler, aber der alpine und nordische Sport fand dort statt, und jeweils mindestens zwei Stunden Anreise und zwei Stunden Rückfahrt waren nicht zumutbar.

Kurzer Entschluss: Wir splitten das Lager! Die erste Hälfte in Vancouver mit Eishockey, Curling und etwas mehr „Kennenlernen von Land und Leuten“ und dann der Umzug nach Whistler. Eine Unterkunft, die wir uns gerade noch so leisten konnten, wurde gefunden; allerdings ohne die Möglichkeit, ein Frühstück oder eine andere warme Mahlzeit einzunehmen.

Geschockt? Nein, im Gegenteil! Beim Organisationsteam wurden alte Träume von Jugendfreizeiten geweckt, und fast schon euphorisch lautete die trotzige Antwort: Selbstversorgung und das notfalls in unseren Zimmern. Das wird uns als Team nur enger zusammen bringen!

Der Rahmen war zusammengefügt, und nun konnten die Teilnehmer und Betreuer ausgewählt und im November 2009 zu einem Vorbereitungslehrgang nach Nürnberg eingeladen werden.

Bei diesem ersten Treffen zeigte sich bereits, dass wir ein tolles Team aus Teilnehmern und Betreuern gewonnen hatten.

In Arbeitsgruppen wurden von den Teilnehmern Präsentationen u.a. zu den Themen Geschichte der Paralympics, Sportarten bei den Winterparalympics oder auch Wissenswertes über Kanada und Vancouver erarbeitet und vorgestellt. Erste Lied- und Musikbeiträge für den in Whistler geplanten Jugendabend wurden diskutiert und schon einmal geprobt.

Der Jugendabend sollte für uns eine besondere Herausforderung werden, denn neben Xavier Gonzalez dem Generalsekretär des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), hatten sich zwei Mitglieder des Governing Boards, Rita van Driel und Ann Cody, angesagt. Letztere für uns ganz wichtig, denn mit ihrer Unterstützung erhoffen wir uns für die Zukunft mehr Unterstützung vom IPC für die Realisierung eines internationalen Jugendlagers bei den Paralympics und Anerkennung unserer bisherigen Vorleistungen,

Die größte Überraschung erlebten alle bei der Ausgabe der Einkleidung, die einfach nur mit „absolute Spitze“ kommentiert wurde.

Für die Zeit bis zum Abflug gab es jede Menge Hausaugaben, die dann auch in vielen Anrufen und unzähligen Mails und Internetrecherchen erledigt wurden.

Vor abgedroschenen Floskeln sollte man sich hüten, aber für die letzten Tage und Stunden vor dem Abflug traf der Satz, Freud und Leid liegen eng zusammen, leider voll zu.

Wenige Tage vor dem Abflug eine Knieverletzung eines Teilnehmers, die operiert werden musste, einen Nachrücker aktivieren, dem es fast schon auf wunderliche Weise gelang, in kürzester Zeit die sehr aufwendigen Einreiseunterlagen für Kanada zu besorgen und dann direkt am Flughafen in Frankfurt die zweite Absage, wieder ein verletztes Knie.

Mit sehr gemischten Gefühlen, auf der einen Seite Vorfreude auf Vancouver, gleichzeitig aber auch betroffen vom Schicksal der Daheimgebliebenen, wurde das Unternehmen „1. Paralympisches Jugendlager der Deutschen Behindertensportjugend“ angetreten.

Dieses erste Winterjugendlager wurde für alle Beteiligten ein ganz besonderes Erlebnis. Der enge Kontakt zur deutschen Mannschaft, zu den Zuschauern und vielen freundlichen Helfern, vermittelte immer wieder das Bild einer harmonischen paralympischen Familie.

Für unsere Teilnehmer aus den Wintersportabteilungen war natürlich das Zusammentreffen mit ihren Trainern und Aktiven, die sie aus ihren Vereinen, aus Lehrgängen oder Wettkämpfen kannten, das Highlight. Mit ihnen gemeinsam an den Wettkampfstrecken fiebern und mit ihnen gemeinsam die Erfolge feiern, gaben so manchem Teilnehmer den letzten Push, den Leistungssport noch ernster zu nehmen und sich neue Ziele zu setzen. Wetten auf vordere Platzierungen für London und Sochi wurden abgegeben.

Ein wichtiges Ziel des Paralympischen Jugendlagers wurde somit schon vor Ort erreicht: Nachwuchssportler für den paralympischen Leistungssport zu motivieren.

Und die anderen Teilnehmer? Sie waren von diesem Erlebnis Paralympische Winterspiele ebenfalls vollauf begeistert, und der eine oder andere wird sich nun verstärkt ehrenamtlich in seinem Verein oder in unserem Juniorteam engagieren.

Auch die internationalen Kontakte und Gespräche mit Vertretern des IPC Governing Board zur Zukunft eines zukünftigen internationalen Jugendlagers scheinen wieder etwas Aufschwung bekommen zu haben. Ebenso wichtig waren die Zusammenkünfte mit den Präsidenten und anderen Vertretern unserer Nachbarländer Niederlande, Österreich und der Schweiz mit dem Ziel, verstärkt in der Jugend- und Nachwuchsarbeit zu kooperieren.

Einen Beweis für die einfache Realisierung und Sinn eines Jugendlagers lieferte das Zusammentreffen mit den ameri-kanischen Jugendlichen. Wer es bisher nicht glaubte, erlebte dort innerhalb weniger Minuten, dass Sport alle Sprachen spricht und Sport selbst eine einfache, aber starke Sprache  ist.

Wir wollen uns nun in London wieder treffen, möglichst mehr als für nur einen Tag und hoffentlich mit weiteren Nationen, um nicht über Jugendlager zu diskutieren, sondern sie zu leben!


  • Das paralympische Jugendlager in Vancouver stellte die Organisatoren vor besondere Herausforderungen. Copyright: picture-alliance
    Das paralympische Jugendlager in Vancouver stellte die Organisatoren vor besondere Herausforderungen. Copyright: picture-alliance