Frankfurts bewegte Turnfest-Geschichte

Um ein Haar wäre der legendäre Berliner Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852) in den Wirren der Revolution 1848 in Frankfurt ermordet worden. „Turner auf zum Streite“ lautete eine seiner militanten Parolen.

Bereits zum fünften Mal findet das Deutsche Turnfest in Frankfurt am Main statt.
Bereits zum fünften Mal findet das Deutsche Turnfest in Frankfurt am Main statt.

Im „Handbuch für  Revolution“ wurde die Turnerei als Staatskunst gefeiert: „Wer den besten Purzelbaum schlägt, kann Anspruch erheben, einmal ein Reichsminister zu werden.“ Zu den aufmüpfigen Turngesellen gehörte auch der Darmstädter Kupferstecher Heinrich Felsing. Der Mitbegründer der TSG 1846 Darmstadt gilt als Erfinder des klassischen Turnerkreuzes. Die vier F, Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei, sind Felsings Vermächtnis an die Turnbewegung. Frankfurt ist 2009 vom 30. Mai bis 5. Juni zum fünften Mal Herberge und Turnplatz für die streitbare Turnfamilie. 1860 begann die Turnfest-Bewegung in Coburg. Protagonisten am Main waren bei der Premiere Turnvater August Ravenstein, der Dichter und Satiriker Friedrich Stolze, beide Jahrgang 1809, damit Zeitgenossen von Dr. Heinrich Hoffmann, dem Autor des „Struwwelpeter“.

Diesem ist das 2009er-Maskottchen „Struwwel“ entlehnt. Eine Hommage an Hoffmanns 200. Geburtstag. August Ravenstein, ein Kartograph, gründete 1833 den ersten Turnplatz am Main und wurzelte mit dem „Verein für körperliche Ausbildung der Jugend“, der 1847 schon 820 Mitglieder mobilisierte. Mit diesen unternahm Ravenstein schon mal „Entbehrungsmärsche“ auf den Feldberg und entwickelte nebenbei hervorragendes Karten-Material. Nach den Wirren im Revolutionsjahr 1848 und dem denkwürdigen Konvent in der Paulskirche (Wiege der Demokratie, die Turner begleiteten ihn mit 110 Abordnungen), war das fünfte Deutsche Turnfest 1880 erstmals zu Gast in Frankfurt. Auf der „Dicken Öde“ prägten nicht länger politische Demonstrationen und Kundgebungen das Bild, sondern Leibesübungen (Sechskampf). Das erste Bundesbanner wurde gestiftet.

1908 war Frankfurt Gastgeber des 11. Turnfestes. Im Fünfkampf und volkstümlichen Turnen setzte die Main-Metropole turnerische Akzente. Im Rohbau der Festhalle hielten die Heer-scharen (55.000 Aktive aus 3.326 Vereinen) Hof - Frankfurts Gud Stubb wurde dann am 19. Mai 1909 nach 18 Monaten Bauzeit eingeweiht. „Die schönste Halle Deutschlands“, damals ein kühner Entwurf des Münchner Architekten Friedrich von Tiersch, feiert damit 2009 hundertsten Geburtstag. Am 11./12. Dezember 1940 brannte sie aus. 1949/50 folgte der Wiederaufbau, 1986 wurde sie für 40 Millionen Mark runderneuert. Turnerinnen spielten übrigens 1908 eine Nebenrolle. Erst am Nachmittag des letzten Tages erhielten sie eine Stunde für ihre Vorführungen. 1894 erst waren sie zu Turnfesten zugelassen worden.

Im April 1948 erstand Frankfurt aus Ruinen. Spuren und Leid des zweiten Weltkrieges hatten sich tief in die Stadt eingegraben bei der dritten Turnfest-Episode. Dennoch übten sich 30.000 Turner in Solidarität und sportlichem Miteinander. Von 141 Turnhallen vor dem Krieg standen nach dem Bombenhagel  noch neun. Improvisieren und Zusammenrücken hieß das Gebot der Stunde. Freude paarte sich mit neuem Lebenswillen. 100 Jahre nach dem Paulskirchen-Fanal standen die Turner - diesmal friedlich - wieder an der Wiege der Demokratie. 1950 wurde Frankfurts erster Oberbürgermeister nach dem Hitler-Albtraum, Walter Kolb, der erste Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB), heute nach Fußball der zweitgrößte Fachverband der Republik.

Frankfurts viertes Turnfest 1983 war geprägt von olympischer Heiterkeit und spielerischer Leichtigkeit. Mainhattan zeigte sich ebenfalls von seiner Schokoladenseite. „Die Demonstration der Freude“ (Bundeskanzler Helmut Kohl) adelte der damalige Bundespräsident Carl Carstens als „Größe Friedensbewegung der Welt“. Die Stadt setzte einmal mehr Marksteine für die Turnbewegung. 65.000 Aktivisten bevölkerten sie. 50.000 ließen im Festzug die Tradition hochleben. Die erste Turnfestmeile im Herzen der City (von der Konstabler Wache bis  zur Alten Oper) impfte den Bürgern die Begeisterung ein. Und auch sportlich tat die Turnbewegung mit 300 Veranstaltungen einen Schritt in die Zukunft. Gymnastik, Tanz und Fitnesstrends (Aerobic) hielten Einzug. Das Turnfest gewann bunte, heitere und feminine Züge: Die Frauen beherrschten nun die Szenerie. Längst ist die Minderheit von 1908 die treibende Kraft der deutschen Turnbewegung und selbstbewusste kreative Mehrheit.

Die fünfte Heerschau der Turner in Frankfurt vom 30. Mai bis 5. Juni setzt mit der Flussfest-Meile einen zeitgeistigen Eventtupfer. Das Bekenntnis des aktuellen DTB-Präsidenten Rainer Brechtken zur sozialen Leistungsbereitschaft und gesellschaftspolitischen Verantwortung der Turner und die sportliche Qualität der Demonstration von 65.000 Aktiven künden von der Lebendigkeitund Lebensfreude der Zunft.  Beharrlich und fleißig pflegt sie den Spagat zwischen Tradition und Moderne.Und wieder ist die Paulskirche am Samstag historischer Schauplatz der Eröffnung.


  • Bereits zum fünften Mal findet das Deutsche Turnfest in Frankfurt am Main statt.
    Bereits zum fünften Mal findet das Deutsche Turnfest in Frankfurt am Main statt.