Freiburger Kreis und soziale Teilhabe

Beim Herbstseminar der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine in Hildesheim standen Integration und Inklusion auf dem Prüfstand.

Inklusion von Behinderten, Senioren und Sozialschwachen kann auch eine Aufgabe der Sportvereine sein. Foto: pciture-alliance
Inklusion von Behinderten, Senioren und Sozialschwachen kann auch eine Aufgabe der Sportvereine sein. Foto: pciture-alliance

Integration und Inklusion: Sportvereinen bescheren diese Baustellen Herausforderungen und Chancen. Das wurde beim Herbstseminar des Freiburger Kreises (FK) offenbar. Eintracht Hildesheim, der Club feierte 150. Gründungsstag, richtete den Gedankenaustausch der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine (163 Mitglieder/800.000 Mitgliedschaften) aus. „Integration im Sport geschieht nicht automatisch“, lautete ein Wegweiser von Professorin Ulrike Burmann (TU Dortmund). Die Sportsoziologin sieht die Einbindung von Menschen mit Migrations-Hintergrund im Verein als Voraussetzung für Integration durch Sport. Dabei gelte es, die Erwartungen auf beiden Seiten realistisch zu gestalten, Hindernisse abzutragen und Netzwerke aufzubauen. Die Wissenschaftlerin dokumentierte am DOSB-Projekt „Integration durch Sport“ von 2007 bis 2009 Defizite bei Frauen und Mädchen (lediglich in 27 Prozent der 2.000 Gruppen waren sie aktiv), besonders bei Muslimen.

Wo es gelang, Geschlechterrollen aufzubrechen und Übungsleiter/innen mit Migrations-Hintergrund als Vertrauenspersonen und Multiplikatoren auszubilden, war das Echo nachhaltiger. Auch die Einebnung von Sprachbarrieren und pädagogische Begleitung zählte sie zu den Entwicklungspotenzialen. Zusammenspiel mit Migranten-Vereinigungen sowie Kooperation mit Schulen und Kindergärten, um speziell Frauen und Mädchen frühzeitig zu erreichen, gehören mit zu den gedeihlichen Rahmenbedingungen. FK-Vereinsvertreter berichteten, dass es mühsam gelinge, die Zielgruppen zu erreichen und mit Migranten-Organisationen zu kooperieren. Dort seien die Toleranzschwellen weit höher als in den Vereinen.

Zusammenspiel ohne Berührungsängste

Im Gegensatz zur Integration verfolgt Inklusion die Einbindung von Randgruppen - Behinderte, Sozialschwache, Hartz4-Empfänger, Senioren. Professorin Heike Tiemann warb für das Zusammenspiel ohne Berührungsängste: „Die Verpflichtung ist da für Vereine, organisierte Teilhabe zu ermöglichen.“ Spätestens seit 2009, als Deutschland die UN-Behindertenrechtskommission unterzeichnete, ist die einbindende Willkommenskultur Pflicht: Wertschätzung der individuellen Vielfalt, die Geschlecht, Alter, Behinderung und ethnische Vielfalt respektiert. „Die anderen mit denken“, hier hinke Deutschland hinterher, tadelte die Sportpädagogin der FH Ludwigsburg – im  Gegensatz von Kanada, Norwegen, England oder Australien.

Vielfalt verlange neben der Öffnung von Vereinen und Verbänden die Änderung von Strukturen (barrierefreie Sportstätten) und Regeln, des Sportunterrichts sowie der Trainer- und Lehrerausbildung. Prozesse, die das klassische deutsche Vereinssystem neu definieren. Inklusion ist für Heike Tiemann zunächst keine Frage des Geldes, sondern der Offenheit (Willkommenskultur): „Traditionelle Strukturen müssen hinterfragt werden. Es soll ein bisschen in die Köpfe hinein wachsen.“ Kreative Qualität und frühzeitiger Einstieg, sagte sie, senkten Hemmschwellen. „Das Kindesalter ist das allerbeste Alter für Inklusion.“ 

Auch Niedersachsens Gesundheits- Familien- und Integrationsministerin Aygül Özkan, selbst Beispiel erfolgreicher Eingliederung, warb für den Abbau von Berührungsängsten und Barrieren sowie für Bewertung der Leistung statt der Herkunft. Gesellschaftliche Teilhabe an Bildung,  wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Leben ist für die türkischstämmige Politikerin Schlüssel und Türöffner: Der Mensch mit seinen Potentialen und Bedürfnissen sollte im Mittelpunkt stehen.

Vereinsarbeit in sozialen Brennpunkten

Eine Vielzahl von Aktivitäten zeigen, wie Integration und Inklusion gelingen und soziale Kompetenz, spielerisches und spaßbetontes Lernen sowie Verständigung, Erfolgserlebnisse und Selbstbewusstsein reifen können: Schwimm- und Fahrradkurse für muslimische Frauen. Mädchen-fußball und andere Projekte. Vereinsarbeit in sozialen Brennpunkten, wo sich meist keine Clubs finden. Hier dokumentierte der Oldenburger Sportwissenschaftler Ulf Gebken am Beispiel der Mädchenfußball-Grundschul-AG im Altländerviertel in Stade (80 Prozent Migranten, 50 Prozent Hartz4-Empfänger) zusammen mit dem VfL Stade fruchtbare Integrations- und Inklusionsarbeit.

In Niedersachsen haben sich aus der Idee inzwischen 36 AGs entwickelt, plus zwölf Projektgruppen im Rahmen der bundesweiten Offensive „Soziale Stadt.“ 150 ausgebildete Assistentinnen, teils aus der Zielgruppe selbst, dienen als Multiplikatoren und tragen Botschaften und Programm weiter. Gebken riet mit Förderprogrammen frühzeitig (Kitas und Grundschule) zu beginnen. Erfolgschlüssel sieht Gebken im Schulsport, sowie in der Zusammenarbeit mit Migranten-Organisationen, gerade um Mädchen zu erreichen. „Entscheidend sind die Übungsleiter.“ Das Progamm ist im Internet dargestellt unter www.fussball-ohne-abseits.de 

In der Praxis stößt Bildungs- und Teilhabepaket an Grenzen

Ein weiteres halbes Dutzend erfolgreicher Projekte wurde in Foren vorgestellt. Bei den meisten sind FK-Vereine treibende Kräfte oder Kristallisationspunkte. Aygül Özkan sagte: „Natürlich müssen diese Jugendlichen abgeholt werden.“ Das Bildungs- und Teilhabepaket, das sozialschwachen und älteren Kindern Vereinsbeiträge und musische Angebote finanziert, sahen die Ministerin und eine Diskussionsrunde mit Bundestagspolitikern und Sportbeauftragten von CDU, SPD, FDP und der Linken als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe und Einstieg in den Vereinssport.

Auch hier berichteten Vertreter der Vereine von Alltagsproblemen. Hoher Bürokratie-Aufwand bei der Abrechnung, überforderte Partner (Arbeitsagenturen/Jobcenter), stattliche Beitragsaußenstände sowie Informationslücken bei Betroffenen und große Probleme, an die Kinder heranzukommen (Armutsbekenntnis, Scham): „In der Praxis stößt man schnell an Grenzen.“ So stellen von den Familien von 2,5 Millionen bedürftigen Kindern in Deutschland erst 30 Prozent Anträge.

Auch formale Hürden des Pakets überfordern allenthalben. Für die Vereine gerät die Finanzierung zum Pferdefuß, wegen unklarer Zuständigkeiten und unterschiedlicher Finanztöpfe. Die Bundestagsabgeordneten unterstrichen die Gesamtverantwortung und appellierten an Länder und Kommunen, Mittel für Integrations- und Inklusionsprogramme einzusetzen. Sie tadelten verkrustete Schulbehörden, zu wenig für die neuen Aufgaben ausgebildete Lehrer und Übungs-leiter sowie Engstirnigkeit vieler Fachverbände. Aber auch in den Kommunen kommt die gesetz-lich legitimierte Herausforderung bisher kaum an, weil sie Sozialarbeit und -Etats noch stärker belastet. Damit werden wieder einmal die Großvereine zu Hoffnungsträgern.

(Quelle: Hans-Peter Seubert)


  • Inklusion von Behinderten, Senioren und Sozialschwachen kann auch eine Aufgabe der Sportvereine sein. Foto: pciture-alliance
    Inklusion von Behinderten, Senioren und Sozialschwachen kann auch eine Aufgabe der Sportvereine sein. Foto: pciture-alliance