Seit Jahren beklagt der DOSB den Ergänzungs- und Modernisierungsstau beim Sportstättenbau.Der von allen getragene „Goldene Plan“, Ende der 50er Jahre eine starke Triebkraft für normier-ten Sportstättenbau nach der Wiederaufbauphase der Kriegszerstörungen, hat sich überholt: Vielmehr Menschen als seinerzeit berechnet treiben mittlerweile in allen Altersklassen Sport, die Freizeit- und Sportbedürfnisse haben sich in Sportarten und Sporträumen erheblich geändert, mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft wie Sporttradition leben in Deutschland als je zuvor, und sie gehen länger zur Schule und damit zum Schulsport. Für Kindergärten gilt das Gleiche, die spielerisch Bewegungsräume suchen.
Neuer Sportstättenbau tut not. Der DOSB hat das gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag unddem Städte- und Gemeindebund bereits beziffert: 31 Milliarden Euro sind erforderlich. Das ent-spricht dem Dreifachen der für Olympia 2024 in Deutschland veranschlagten Summe, das Dop-pelte des Jahresetats einer Großstadt wie Hamburg oder etwa dem Hundertfachen, was mit der Spitzensportreform jährlich für Trainer, Olympiastützpunkte, Forschungsinstitute und Wettkämpfefür erforderlich gehalten wird. Ein starkes Stück Sportdeutschland ist zu machen – manchem Vorstand der 60.000 Kleinvereine mag bei solchen Summen schwindelig werden, Finanzminister schließen vielleicht reflexartig den Geldbeutel. Woher soll das Geld kommen? Der Vertrag der Großen Koalition bekennt sich zwar allgemein zur Notwendigkeit des Sportstättenbaus, bleibt aber bei den Zahlen eher vage. Und verweist auf Zuständigkeit der Länder.
Die sich selbst gerne so verstehende Freie und Sportstadt Hamburg wollte diesem Hin und Her nicht länger zusehen. Nach Olympiadesaster und Abstieg traditionsreicher Mannschaften aus den großen Bundesligen will man sich vorerst an der Basis bewegen. Nach internationalem Vor-bild setzen die Hanseaten die „Active City“ ganz oben auf ihre Agenda – Sport für Alle und über-all in der Stadt.
Zunächst galt es den hohen sportlichen Zielen erst mal festen Grund zu geben – Hamburg baut Sport. Und das aus guter Erfahrung. Der älteste Turnverein der Welt, die HT 1816, eröffnete 1849 seine erste Halle, kurz zuvor der (damals noch unter dänischer Verwaltung) Altonaer TV, dann der St. Pauli-Turnverein und 1888 wieder die HT 1816 mit der seinerzeit größten Turnhalle in Deutschland (separate Umkleiden für Frauen ermöglichte Frauenturnen). Ähnlich sah es mit Bootshäusern für Ruderer und Segler, Hockey- und Tennisplätzen bei den ersten deutschen Ver-einen in diesen Sportarten aus. Immer waren es Vereine, die für Planung und Finanzierung sorg-ten – es gab noch keine allgemeine Schulpflicht und demzufolge kaum schulische Sportstätten. Sie alle folgten dem Grundsatz des Turnvaters Jahn, dass es für alle Leibesübungen zunächst um Bereitstellung geeigneter Flächen geht – damals wurden aus eigener Kraft fast 200 Turn-plätze errichtet. Räume statt Träume.
Das Vereinsprinzip „Selbsthilfe“ beim Sportstättenbau greift bis heute. In den letzten Jahren wur-den in Hamburg 10 bis 15 Millionen Euro jährlich von Vereinen für Neu- und Ergänzungsbauten aufgebracht – die Stadionbauten des HSV und FC St. Pauli sowie Ausbau des Olympiastütz-punktes nicht mitgerechnet. Entsprechend hat die Stadt in dem jetzt anstehenden neuen Sportfördervertrag mit dem Landessportbund (HSB) hier eine millionenschwere Priorität gesetzt – erst Steine, dann bewegende Beine.
Beflügelt vom Konzept der „Active City“ wagen Hamburgs Vereine den Vorstoß in neue Dimen-sionen. Mindestens acht große Vereine planen Baumaßnahmen mit einem Volumen von weit mehr als 100 Millionen Euro, am fortgeschrittensten das Stadtteilzentrum der HT 1816 (ca. 20 Millionen Euro) mit Sporthallen, Kindergarten, Theater, Bücherei. Der ETV will demnächst die Planung für ein neues Zentrum in ähnlicher Größenordnung abschließen. In Altona, Eidelstedt, der HafenCity und andernorts bauen und planen Vereine mit siebenstelligen Summen. In mittel-fristiger Planung steht ein Sportzentrum der TSG Bergedorf im neuen Stadtteil Oberbillwärder, die von vornherein den ganzen Stadtteil mit annähernd 20.000 neuen Bewohnern in Bewegung bringen will – „Active City first“.
Der Mut für solche Vorhaben resultiert aus der von der Stadt behördenübergreifend verabschie-deten Zehnjahresplanung für den Sportstättenbau mit einem Volumen von immerhin 400 Millio-nen Euro, wobei der Schulbau den Hauptanteil trägt. Bei entsprechender Koordination können Erfordernisse von Schulen, anderen Bildungsträgern, Kultur- und Sozialeinrichtungen und Ver-einen frühzeitig zusammengefasst werden, was sich durch zunehmende Aktivitäten der Vereine im Nachmittagsangebot der Ganztagsschulen wie Betrieb von bewegenden Kindergärten oder Jugendhäusern mit sportlichem Schwerpunkt anbietet. Hinzu kommt die Besicherung mit dem „Förderkredit Sport“ durch eine Investitions- und Förderbank für gemeinnützige Vereine.
Das reicht der Stadt noch nicht, denn die sportliche Infrastruktur ist lokal sehr unterschiedlich. Jetzt gibt es einen kräftigen Impuls seitens des Bundes von 100 Millionen Euro für finanz- und sozialschwache Stadtteile. Jeweils 50 Millionen Euro wollen Bund und Land beisteuern, woran der Hamburger Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages nach Kräf-ten mitgewirkt hat. Jetzt sind Vereine mit dem HSB berufen, Bedarfe und Konzepte anzumelden. An der Umsetzung wird es bei den traditionsreichen wie innovativen Vereinen nicht scheitern. MitMehrwert: Hier entstehen ressortübergreifende Kooperationskonzepte für die Stadtentwicklung, an denen es gerade im Sport lange gemangelt hat. Auch für den Leistungssport, wie eine millio-nenschwere Planung für ein neues Zentrum des Basketballvereins „Hamburg Towers“ zeigt.
Denn das ist die Schlussfolgerung aus dem hanseatischen Sportstättenboom: Bei der Regional- und Stadtplanung muss der Sport von vornherein und gleichberechtigt einbezogen sein. Vereine verlassen ihre Inseln, suchen Verbündete in anderen Vereinen, Verbindung mit Schulen, Kultur, Grünanlagen, Jugend- und Sozialarbeit, Bauunternehmen.
„Großes Werk gedeiht nur durch Einigkeit“ sangen schon vor 175 Jahren die wackeren Turner auf ihren Turnplätzen und Turnhallen. Die heutigen Sportwissenschaftler verschriftlichen das nüchterner in ihrem „Memorandum zur kommunalen Sportentwicklungsplanung“ der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs). Hoffentlich wird es in den Amtsstuben der Bundeslän-der wie den Referaten der Landessportbünde intensiv studiert. Dafür gibt es vielerorts hoffnungsvolle Signale und Beispiele wie die Stadt Hamburg. Die wurde gerade mit dem Titel „Global Active City“ vom Breitensportweltverband TAFISA geadelt. Allen an-deren Kommunen zur Nachahmung empfohlen.
(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.