Impressionen aus Afghanistan

Projektleiter Holger Obermann übermittelt erste Bestandsaufnahme zum Wiederaufbau des afghanischen Fußballs

Erste Bestandsaufnahme von Holger Obermann

Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund und dem Auswärtigen Amt Ende Mai ein Fußball-Kurzzeitprojekt in Afghanistan aufgenommen. Ziel ist es den Strukturaufbau im afghanischen Fußball zu fördern und mit Hilfe von Verbandsberatung und Trainerausbildung Nationalmannschaften zu etablieren. Projektleiter Holger Obermann übermittelt im folgenden erste Eindrücke:

 

 

"Nach dem Ende des Taliban-Regimes haben viele Länder Hilfe für den Aufbau des Sports versprochen hätten, doch nur Deutschland hat Wort gehalten habe". Die mit Applaus bedachte Äußerung stammt von Anwar Jegdalek, Bürgermeister der Stadt Kabul und gleichzeitig NOK-Präsident.

 

Nach unserer Ankunft Ende Mai in Kabul haben wir uns gleich in die Arbeit gestürzt und neben vielen Vorstellungsgesprächen auch eine erste Pressekonferenz durchgeführt, bei der Anwar Jegdalek als Ehrengast zu den Anwesenden spricht. Der kleine Raum im Stadionbereich kann die vielen Gäste kaum fassen, die meisten müssen stehen. Aber die Resonanz ist umwerfend. An meiner Seite befindet sich Ali Askar Lali, der als Technischer Berater und Trainer mit in das Deutsche Projekt integriert wurde, 1980 mit der afghanischen Nationalmannschaft nach Deutschland immigrierte, wo er seitdem lebt. Er ist wirklich eine große Hilfe.

 

Anstoß durch Kanzler Schröder und Franz Beckenbauer

 

Den Anstoß zu unserem, von Auswärtigem Amt, Deutschen Fußball-Bund und Nationalem Olympischen Komitee unterstützten Entwicklungs-Projekt für den Wiederaufbau des Fußballs in Afghanistan hatten im Jahr 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder und Franz Beckenbauer bei einem Besuch in der Hauptstadt Kabul gegeben.

 

Bei der Suche nach einem geeigneten Projektleiter fiel die Wahl auf mich. Meine Erfahrungen als deutscher Fußball-Experte in verschiedenen Krisengebieten Asiens, zuletzt in Nepal und Ost-Timor, mögen dabei eine Rolle gespielt haben.

 

Schlechte Ausrüstung, kaum Sportanlagen

 

Vieles kommt mir jetzt hier in Afghanistan zugute. Das Land liegt wirklich in Schutt und Asche, die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen, darunter hat natürlich auch der Fußball gelitten. Im einzigen Stadion, das diesen Namen verdient, im Olympic Stadium von Kabul, spielen und trainieren täglich 400 Jugendliche und Mannschaften. Während des Taliban-Regimes wurden dort Menschen und Regime-Gegner hingerichtet. Außerhalb des Stadions, also im Großraum Kabul, gibt es allerdings unzählige freie Plätze, sogenannte Bolzplätze, auf denen tausende von jungen Menschen täglich stundenlang Fußball spielen, größtenteils ohne richtige Ausrüstung, keine Schuhe, Trikots, Tore markiert durch Steine, Plätze mit knüppelhartem Untergrund, und oft haben 50 Spieler nur einen Ball. Es wird geschätzt, dass es im Großraum Kabul bereits 90 Straßenmannschaften gibt, aber sie haben alle die gleichen Probleme.

 

Unterstützung durch DaimlerChrysler

 

Hier werden wir natürlich auch tätig sein und mit Hilfe von DaimlerChrysler die Infrastruktur der Bolzplätze verbessern. Mercedes lässt in seinem Werk in Kabul die notwendigen Tore anfertigen (Hilfe zur Selbsthilfe) stellt dem Projekt einen Minibus zur Verfügung (neben 200 Trikots) und - ganz wichtig diese soziale Komponente - wird sechs Arbeitsplätzen für jene Nationalspieler anbieten, die wir aus den Provinzen holen, aus Herat, Kandahar und Mazar-e-Sharif. Ich hoffe, weitere Hauptsponsoren gewinnen zu können.Und natürlich werde ich auch wieder Franz Beckenbauer um Hilfe bitten wie vorher in Aktionen für Nepal, Bangladesch und Ost-Timor. Ohne Sponsorship werden wir hier in Afghanistan nicht das Ziel erreichen. Es schwebt mir ein "Football and Food-Programme" vor. Grund: wenn wir die Kinder und Jugendlichen zum Fußball bringen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass Ernährungsdefizite ausgeglichen werden.

 

Projektschwerpunkt Kinder- und Jugendfußball

 

Schwerpunkte unserer Arbeit in Kürze: Förderung des Kindern - und Jugendfußballs, des Straßenfußballs, des Schulfußballs, Ausbildung von Fußball-Übungsleitern, Aufbau von Amateurliegen, Verbesserung der Bedingungen im Bereich der beiden höchsten Liegen im Großraum Kabul (A- und B-Division), Aufbau von Nationalmannschaften U 16, U 19 und den Senioren, mit denen war ich bereits beim Südasiencup in Dhaka, Bangladesh, wo es gegen in dieser Region renommierte Mannschaften wie Pakistan und Sri Lanka nur knappe 0:1-Niederlagen gab. Aus Deutschland waren fünf Spieler dabei, Afghanen, die in deutschen Oberligen spielen, nur für den Anfang. Wenn hier der Neuaufbau beginnt, müssen die einheimischen Spieler (nicht die Legionäre) den Vorrang haben und das Spiel der Mannschaften prägen, sonst entsteht Unruhe. Das Problem der ethnischem Gruppen in Afghanistan ist ja bekannt, führte auch zu dem schrecklichen Bürgerkrieg, bevor das Taliban-Regime die Macht übernahm. Zwar baut der Sport (hier der Fußball) immer wieder Brücken, doch es ist auch bei unseren Aktionen wichtig, dieser Problematik Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Nächstes Ziel ist der Aufbau einer starken U 19 für den Asien-Cup im Dezember in Katar. Spielen gegen Klubs, aber auch Militärmannschaften der ISAF (Schutztruppen), auch gegen deutsche Auswahlmannschaften der ISAF, obwohl nach den Anschlägen vor 10 Tagen, bei denen vier deutsche Soldaten getötet wurden, strengere Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden.

 

Reise nach Parwan

 

Insgesamt ist es eine Arbeit rund um die Uhr, auch mit Aufgaben in den Bereichen Erste Hilfe, Ernährung, Management etc. Die Bevölkerung nimmt großen Anteil an unseren Aktivitäten. Natürlich muss es eines Tages möglich sein, die Arbeit über den Großraum Kabul auszudehnen, was zur Zeit aus Sicherheitsgründen noch nicht möglich ist. Wir haben uns kürzlich dennoch "ins Land gewagt", sind nach Parwan gefahren und haben dort, 60 km nördlich von Kabul, mit dem herrlichen Hindukusch-Gebirge im Hintergrund, in der Heimat unseres Präsidenten Abdul Halim Kohestani (der General hatte bei der Vertreibung der Taliban als Mitglied der Nord Allianz eine ganz wichtige Rolle gespielt) ein Fußballspiel gesehen. Er ist ein absolut seriöser Mann, mit dem wir glänzend zusammen arbeiten und der uns auch alle Sicherheit gibt durch seinen Stab, ob mit oder ohne Uniform. Aber die Sicherheit in Kabul kann keiner hundertprozentig garantieren, wir bewegen uns auch vorsichtig, eben so gut es geht.

 

Zu der Reise nach Parwan wurde ihm und uns zu Ehren ein Spiel zwischen zwei Dorfmannschaften ausgetragen wurde, dem 3000-4000 Zuschauer beiwohnten. Schon Kilometer vor dem Ort standen junge Menschen am Straßenrand und empfingen uns mit Blumen. Unsere Kolonne war total abgesichert durch Kräfte des Militärs, dem ja der General nach wie vor angehört.

 

Ein fußballverrücktes Land

 

Afghanistan liebt den Fußball über alles, früher, vor der russischen Invasion, war Afghanistan in der Region, überhaupt in Asien, eine gefürchtete Mannschaft, war zuhause in Kabul (1.800 m Höhe) kaum zu schlagen . Natürlich will man da wieder hin kommen, auch wenn es einige Jahre dauern wird. Alle kennen den deutschen Fußball aus den guten, alten Zeiten, die Menschen fragen nach Müller, Beckenbauer, Rummenigge. Ganz fußballverrückt ist der Besitzer unseres kleinen Guesthouses, Abdul Rahman. Er hat einen großen Wunsch: Gerd Mueller kennen zu lernen, ich habe ihm versprochen, erst mal ein Foto mit Autogramm von Gerd zu besorgen, das will er über die Eingangstuer hängen. Alle können jetzt über Satellit mehr über den deutschen Fußball erfahren, denn ARD, ZDF und viele Privatsender sind zu empfangen, auch die Deutsche Welle natürlich. Viele sprechen deutsch, waren in Deutschland oder haben Verwandte dort. Deutschfreundlichkeit - das ist eher untertrieben, es gibt immer Umarmungen, auch mit den Trainern, die ich erst seit ein paar Wochen kenne. Ali ist ja hier zu hause und die älteren Fans erkennen ihn nach wie vor auf der Strasse.

 

Dieses Projekt widmet sich so intensiv den Kindern und Jugendlichen, weil in den fünf Jahren Taliban-Regime das Ausüben jeglicher Sportart verboten war, so unglaublich das klingt. Betroffen davon natürlich die jungen Menschen, die daran gehindert wurden, sich auszutoben, ihrem natürlichen Freiheitsdrang nachzugehen etc.

 

Jetzt ist das für sie wie eine Erlösung, daher spielen sie überall, sogar in bzw. auf den Trümmergrundstücken. Gefahren lauern nach wie vor durch Landminen.

Weil viele Kinder und Jugendliche durch sie im Krieg schwere Verletzungen erlitten, oft einen Fuß oder ein ganzes Bein verloren, möchten wir auch eine humanitär ausgerichtete Maßnahme "Behindertensport" einrichten.

 

Dass der Fußball viele soziale Komponenten hat wie Lebensfreude, Steigerung des Selbstwertgefühls, Disziplin, Kameradschaft, Charakterbildung etc, ist ja bekannt. Und junge Menschen, die Fußball spielen, sich fit halten, sind - das meine Erfahrungen in Entwicklungsländern - weniger gefährdet, dem Alkohol oder den Drogen zu verfallen.