Mit dieser Fragestellung hatte sich das internationale Gemeinschafts-Projekt „Sport at School“, an dem die nationalen Karate-Verbände Italiens, Frankreichs, Portugals, Spaniens, Polens und Deutschlands beteiligt waren, insgesamt drei Jahre lang beschäftigt.
Auftraggeber und Förderer des Erasmus-Programms war die Europäische Union (EU), die rund 540.000 Euro für die wissenschaftliche Untersuchung zur Verfügung gestellt hatte. Der Deutsche Karate Verband (DKV) als ein Teilnehmer der Untersuchung partizipierte mit rund 20.000 Euro an dem Projekt, das von DKV-Seite von Volkmar Ritter (Referent für Projekt-Förderung), Gundi Günther (Geschäftsführerin) und Elmar Griesbauer (Schulsport-Referent) begleitet worden war.
Ausgangs-Punkt der Untersuchung war die These, dass „der Rückgang der körperlichen Aktivität und die damit verbundene Zunahme der Zeit, die mit sitzenden Verhaltensweisen bei Kindern in Europa verbracht wird, eine enorme Bedrohung für die Gesundheit darstellen“ (EU-Leitlinie für körperliche Aktivität, 2008). Übergewicht und Fettleibigkeit, so die Analyse einer Experten-Gruppe der EU-Kommission, seien die Folgen und führten zu einer deutlichen Verringerung der Lebensqualität und einem größeren Risiko von Mobbing und sozialer Isolation.
Sport-Unterricht als Hort der Bewegung von zentraler Bedeutung
Da „Schätzungen zufolge 80 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter nur in der Schule körperliche Aktivität und Sport ausüben“ (2. EU-Arbeitsplan für den Sport – 2014 bis 2017), hat die Experten-Gruppe die Schule als „wichtigste Institution“ anerkannt, die es „allen Kindern ermöglichen kann, sowohl durch formalen Lehrplan als auch im Zusammenwirken mit außer-schulischen Sportangeboten die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zu erreichen“.
Der Sport-Unterricht, so das Fazit, nimmt somit als Hort der Bewegung eine exponierte Stellung ein. Welchen Beitrag die Sportart Karate zur Verbesserung der motorischen Aktivitäten von Grundschul-Kindern auf Grundlage neuer neurowissenschaftlicher Forschungen leisten kann, um einem bewegungsarmen Lebensstil und der Hypokinese (hierbei handelt es sich um verminderte Beweglichkeit oder den Mangel an Spontan-Motorik) entgegenzuwirken, galt es im Rahmen der Studie „Sport at School“ zu evaluieren.
Positiver Beeinflussungs-Faktor
Die Ergebnisse, für die die Universitäten von Padua (Motorik/Koordination) und Madrid (kognitive Fähigkeiten/Sozialverhalten) unter der Leitung des italienischen Dach-Verbandes der Kampfsport-Verbände (FIJLKAM) verantwortlich zeichneten, belegen, dass Kinder, die der Trainings-Gruppe zugeordnet waren, im Vergleich zur Kontroll-Gruppe über bessere kognitive Kompetenzen verfügten und zudem in ihrer körperlichen Entwicklung weiter waren.
Konkret nachgewiesen werden konnte, dass sich die Implementierung von Karate-spezifischen, koordinativen Elementen sehr gut eignet, um alle Gehirn-Regionen bestmöglich zu stimulieren. Dadurch werde die kindlich-körperliche Entwicklung sowie die geistige Leistungsfähigkeit von Schülern bis zum Reifestadium dieser speziell angesprochenen Bereiche im Alter von etwa zwölf Jahren unterstützt.
Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass der Karatesport aufgrund seiner ganzheitlichen Körper-Beanspruchung und der intensiven geistigen Herausforderung nachweislich ein positiver Beeinflussungs-Faktor für die Entwicklung und Verbesserung der kognitiven Leistungen von Schülern ist. Insbesondere die kognitiven Funktionen dienen einer angemessenen Problemlösung und ermöglichen die Erreichung individueller Ziele.
Die Stimuli der kognitiven Bereiche sind für persönliches Verhalten, die Lernfähigkeit und die Sozial-Kompetenz von „hoher Relevanz“. Hinzu kam, dass das in der Schule angewandte Trainings-Programm dazu führt, dass sich die Schulnoten, insbesondere im muttersprachlichen Fach, verbessert hatten.
Untersuchung an 20 Schulen aus sechs Teilnehmer-Ländern
An der Untersuchung hatten sich 20 Schulen aus den Teilnehmer-Ländern mit insgesamt 688 Kindern aus der zweiten Grundschul-Klasse beteiligt. Dabei wurden 353 Kinder der Trainings- und 335 Kinder der Kontroll-Gruppe zugeordnet. Anhand eines eigens für diese Untersuchung entwickelten Trainings-Programms, das den beteiligten Trainern der sechs Karate-Verbände während zwei Ausbildungs-Wochen in Italien vorgestellt worden war, absolvierten die Grundschüler zwei Unterrichtsstunden Karate pro Woche in der Schule.
Um den Entwicklungs-Verlauf zu dokumentieren, wurden Tests zu Beginn, in der Mitte und am Ende eines Schuljahres zu den motorischen und kognitiven Leistungen in der Trainings- und der Kontroll-Gruppe durchgeführt. Ein weiterer Baustein war die Eltern-Befragung sowie der Vergleich der schulischen Leistungen.
Fünf verschiedene Bewegungs-Tests als Mess-Grundlage
Die Bewertung des „Movimente“-Trainings-Programms basierte dabei auf fünf verschiedenen Bewegungs-Tests, die von den geschulten Trainern durchgeführt wurden. Überprüft wurden dabei die allgemeine Koordination, die karate-spezifische Koordination, das Gleichgewicht und die Flexibilität.
Der DKV unter der Leitung der Schulsport-Referenten Alexander Hartmann (zum Projekt-Start) und Elmar Griesbauer (bis Projekt-Ende) hatte drei Grundschulen für die Mitarbeit gewinnen können: „Am Pürschweg“ (Bremen, verantwortliche Trainerin Sonja Wendel), „Am Regenstein“ und „Martin Luther“ (beide Blankenburg, Sachsen-Anhalt, verantwortlicher Trainer Alexander Loewe).
Weitere Informationen zum Erasmus-Projekt finden sich auf der offiziellen Homepage www.ksportatschool.eu. Die Leitlinien für „Sport at School“ in deutscher Sprache stehen Interessierten ebenfalls online zur Verfügung; eine Zusammenfassung über das Thema „Motorische Intelligenz“ hat Sonja Wendel ins Deutsche übersetzt.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 29-32)