Kinderturnen gehört in unsere Grundschulen

Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes Rainer Brechtken kommentiert die Bewegungssituation an unseren Schulen und betont, dass neben schreiben, lesen, rechnen Schüler sich auch bewegen lernen müssen.

Kinder sollen auch bewegen lernen. Copyright: picture-alliance
Kinder sollen auch bewegen lernen. Copyright: picture-alliance

Die Sommerferien gehen zu Ende, ein neues Schuljahr beginnt, und bundesweit werden viele tausend Kinder in die Grundschulen eingeschult. Sie sollen dort schreiben, lesen und rechnen lernen als Grundlage für ihre weitere schulische und später berufliche Ausbildung. Und was ist mit bewegen lernen? Schön, wenn es die Möglichkeit dafür gibt, aber es ist zunächst sekundär. Spielen und sich bewegen können die Kinder auch nach der Schule, zum Beispiel im Verein. Schon mal gehört, die Argumentation? Von Eltern, Lehrern, Schulträgern, Bildungspolitikern? Bestimmt.

Als Präsident des Deutschen Turner-Bundes erhebe ich Einspruch gegen diese Auffassung: Bewegen lernen ist unverzichtbar im Fächerkanon der Schule! Wenn Sportunterricht in der Schule ausfällt oder gar nicht unterrichtet wird, dann ist dies genauso schlimm wie fehlender Mathematik-Unterricht.

Warum dies so ist, wird deutlich mit einem Blick auf die aktuelle Hirnforschung: Sie stellt einen kausalen Zusammenhang her zwischen Bewegung und geistiger Entwicklung. Sie weist nach, dass bereits in der frühkindlichen Entwicklung sich körperliche Bewegung positiv auf die Synapsenbildung im Hirn auswirkt, also entscheidend auch für das spätere kognitive Können ist. Und es heißt in der heutigen Hirnforschung auch, dass nicht das Gehirn denkt und fühlt, sondern der ganze Mensch mit allen Muskeln, Nerven und Sinnen. Insofern ist das ganze Leben eine Leibesübung.

Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu, wenn man sich zum Beispiel der alten Weisheit von „einem gesunden Geist in einem gesunden Körper“ erinnert. Oder wenn man an die Philanthropen zurück denkt wie Johann Christoph Friedrich GutsMuths, dessen 250. Geburtstag wir gerade im August 2009 gedacht haben. Bereits diese Pädagogen begründeten einen ganzheitlichen Erziehungsansatz: „Ihr lehrt Religion, Ihr lehrt Bürgerpflicht, auf Ihres Körpers Wohl und Bildung seht Ihr nicht.“ Auf die heutige Zeit bezogen bedeutet dies: In die Grundschule gehört das Kinderturnen!

Jeder kennt das Kinderturnen aus den Turnvereinen und Turnabteilungen, das mit Eltern-Kind-Turnen und Kleinkinderturnen schon im frühen Lebensalter ansetzt, mit spielerischen Mitteln elementare Bewegungs- und Körpererfahrungen vermittelt sowie körperliche Aktivität in sozialer Gemeinschaft bietet. In der Altersstufe von 6 bis 11 Jahren gehen die spielerischen Elemente über in die kognitive Phase des Kinderturnens, das Erlernen und Beherrschen von komplexeren Alltagsbewegungen, verbunden mit einer vielseitigen körperlichen Grundlagenausbildung. In dieser Altersstufe - genau der Zeitraum der Grundschule - werden mit dem vielseitigen Kinderturnen die Grundlagen gelegt für jegliche spätere, sportliche Betätigung und für alle Sportarten. Kinderturnen wirkt einer einseitigen Muskelbelastung entgegen, wie sie bei zu frühzeitiger Spezialisierung auf eine einzige Sportart auftritt. Kinderturnen entlastet die Gelenke durch gleichmäßige Stärkung der Muskulatur, beugt damit Verletzungen und späteren Gesundheitsschäden vor.

Nun könnte man einwenden, als Präsident des Deutschen Turner-Bundes sei mir daran gelegen, mit meiner Forderung nach Kinderturnen in der Grundschule den Schulsport instrumentalisieren zu wollen für eine umfassende und frühzeitige Talentförderung, um lauter Nachfolger für einen Fabian Hambüchen zu gewinnen. Sicherlich freuen wir uns über jedes Talent, das im Verein aus dem Kinderturnen heraus beim Gerätturnen bleibt und vielleicht später einmal das Turn-Team Deutschland stärkt. Doch nicht jedes Kind hat das Zeug, ein Fabian Hambüchen zu werden. Allerdings hat jedes Kind, und ich betone jedes Kind, das Zeug dazu, im Kinderturnen mit zu machen. Weil Kinderturnen Alltagsbewegung, Vielseitigkeit sowie gesunde körperliche und geistige Entwicklung bedeutet.

Kinderturnen in der Grundschule bedeutet neben schreiben lernen, lesen lernen und rechnen lernen auch bewegen lernen. Für alles Lernen werden ausgebildete Lehrer benötigt. Auch für bewegen lernen. Deshalb reicht es - erst recht in der Grundschule - nicht aus, Kinder einfach unter Aufsicht spielen und toben zu lassen. Kinderturnen in der Grundschule ist Bewegungserziehung, und Bewegungserziehung erfordert qualifiziert ausgebildete Pädagogen. Mit Aufsichtspersonal ist es hier nicht getan. Insofern begrüße ich die aktuelle Erklärung der Kultusministerkonferenz der Länder vom April 2009, indem die Kultusminister aller Bundesländer zur Qualitätssicherung des Sportunterrichts im Primarbereich qualifizierte Lehrkräfte für erforderlich halten und die Notwendigkeit unterstreichen, diese umfassend und auf der Höhe der Zeit fortzubilden. Für Fortbildungen in Zusammenhang mit Kinderturnen stehen der Deutsche Turner-Bund und seine Landesturnverbände als kompetente Partner gern zur Verfügung. Zum Wohle unserer Kinder.


  • Kinder sollen auch bewegen lernen. Copyright: picture-alliance
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