Kleines Feld, große Wirkung

Beim Turkcell Europe Cup erlebt Straßenfußball für Toleranz einen Höhepunkt seiner Entwicklung. Das IdS-Konzept hat über Jahre gezeigt, welche integrative Kraft es entfalten kann: Auf die Spieler und vor allem die „Teamer“.

Das Konzept Straßenfußball für Toleranz hat ein zentrales Ziel: Vermittlung sozialer Kompetenzen. (Foto: DOSB)
Das Konzept Straßenfußball für Toleranz hat ein zentrales Ziel: Vermittlung sozialer Kompetenzen. (Foto: DOSB)

Die Konstablerwache ist ein Knotenpunkt Frankfurts. Hier treffen sich junge Bewohner der Vielvölkerstadt am Main täglich zu Tausenden zum Shoppen, Babbeln, Abhängen. Wenn man will, ist dieser trubelige Teil der Zeil eine Zone des meist oberflächlichen Dialogs. So interkulturell, konzentriert und ruhig wie an diesem Freitag, den 14. September, läuft die Kommunikation auf der „Konsti“ jedenfalls selten ab. Am Rande eines improvisierten Sportplatzes finden sich an diesem Tag mit schöner Regelmäßigkeit Jugendliche zusammen. Nicht um einfach zu reden – um zu diskutieren, sich zu einigen.

Zwanzig Teams spielen hier heute Straßenfußball, zusammen knapp 200 Jungs, Mädchen und junge Erwachsene. Auf einem 20 mal 15 Meter großen Feld ermitteln sie die Teilnehmer am Finale des Turkcell Europe Cup. Es ist das dritte von fünf Qualifikationsturnieren für Berlin, wo am 20. Oktober das Finale der Eventserie gespielt wird, Mainz und Stuttgart werden folgen. Und jetzt mal stopp: Straßenfußball – ruhig und konzentriert? Ja, denn das hier ist Straßenfußball für Toleranz, ein Spiel mit besonderen Vorzeichen und einer wahren „Dialogzone“. In ihr legen die Teilnehmer unter Vermittlung eines so genannten Teamers zunächst einen Teil der Regeln fest, diskutieren während der Partie über Foul und Aus oder nicht, und vergeben nach dem Abpfiff Fairness-Punkte an den Gegner (siehe Kasten). Dass das erstaunlich gut klappt, stellt man in Frankfurt ebenso fest wie zuvor in Hamburg und Köln. Ein Fluch hier, eine unzufriedene Miene dort, mehr Dissens wird nicht sichtbar.

Ein Cup der Toleranz

Der Opens external link in new window Turkcell Europe Cup (TEC) ist eine Veranstaltungsserie in Straßenfußball für Toleranz. Das Konzept fußt auf soziale Kompetenzen schulenden Regeln, die zum Teil fix sind, zum Teil vor den Spielen ausgehandelt werden, zwischen den Mannschaften und den sogenannten Teamern. In die Spielwertung gehen nicht nur die Tore ein, sondern auch Fairness-Punkte, die die Teams einander nach dem Spiel geben, gemessen an der Einhaltung der Regeln. Beim TEC stellen auch die allgemeinen Opens external link in new windowVorgaben einen Kompromiss dar: die an der Serie beteiligten Landeskoordinationen spielen zwar nach ähnlichen, in manchem Detail, etwa der Mannschaftsstärke und Spielfeldgröße, aber leicht variierenden Regeln. Allgemein typisch ist zum Beispiel der Umstand, dass von Mädchen geschossene Tore doppelt zählen.


Den Turkcell Europe Cup gibt es 2012 zum ersten Mal. Vom DOSB respektive dem Programm „Integration durch Sport“ und dem Mobilfunkunternehmen Turkcell Europe initiiert, werden die sechs Turniere von der Burda Sports Group und den örtlichen Landeskoordinationen umgesetzt. Für beide strategischen Partner markiert das Projekt einen Schritt voraus: Turkcell Europe, im April 2011 gegründete Tochter des in Istanbul beheimateten Konzerns Turkcell, nutzt das erste größere Sportprojekt in Deutschland, um das bürgerschaftliche Selbstverständnis der Mobilfunkmarke zu demonstrieren (siehe Opens external link in new windowInterview). Und IdS zieht Straßenfußball für Toleranz in größerem Rahmen auf als bisher.

Das Konzept hat sich seit Jahren bewährt: Der Doppelpass der Geschlechter funktioniert in der Regel ebenso wie das Zusammenspiel der Kulturen. Aber eine bundesweite Reihe unter Beteiligung verschiedener Landeskoordinationen und eines Wirtschaftspartners, das ist neu im Programm. Die Ausstattung ist komfortabler, die Öffentlichkeit größer; auf seiner Website machte Turkcell Europe prominentestmöglich auf den Cup aufmerksam. 

Vom Teilnehmer zum Teamer

Alle IdS-Landeskoordinationen haben Erfahrung mit der Methode, manche besonders umfangreiche. Die Außenstelle des Programms in Brandenburg zum Beispiel, bei der dortigen Sportjugend verankert, nutzt den Kleinfeldkick seit 2000, die Kollegen beim Landessportverband Baden-Württemberg seit 2002. „Nutzen“ heißt in dem Fall: wiederkehrender, vielfältiger, systematischer Einsatz.

Und das nur zum Teil im Rahmen regionaler Turnierserien, wie sie im Nordosten (jährlich) und Südwesten (nahezu jährlich) ebenso stattfinden wie in anderen Ländern. Die Priorität des Konzepts liegt nicht darin, möglichst viele kickende Teilnehmer zu gewinnen; es geht vor allem darum, Teamer auszubilden – die freilich oft ehemalige Turnierteilnehmer sind. Uwe Koch, IdS-Koordinator in Brandenburg, sagt: „Es geht uns vorrangig um die Methode Straßenfußball, nicht um das Spielen. Der Sport selbst ist eine wichtige und schöne Nebensache, mit der wir neue Jugendliche erreichen. Aber unser Hauptziel ist die Selbstorganisation der Jugendlichen vor Ort und die Förderung sozialer Kompetenzen.“

Und beides, Selbstorganisation und soziale Kompetenz, trifft sich in der Funktion des Teamers. Als Mediatoren, die Schiedsrichter während des Spiels mehr überflüssig machen denn ersetzen sollen und die Entscheidungsfindung sanft unterstützen, bringen sie die integrative Kraft des Prinzips Streetsoccer zum Tragen. Wobei das nur der naheliegende Teil des Aufgabenprofils ist. Die Teamer sollen reinwachsen in die Organisation von Events an Streetsoccer-Standorten. Sie übernehmen schrittweise Verantwortung und werden dabei begleitet“, sagt Julia Sandmann, Landeskoordinatorin in Baden-Württemberg. Das Bestreben sei, „die Turniere zu Turnieren der Jugendlichen zu machen“ – Partizipation ist das Stichwort. „Es ist schön zu sehen, welche Selbstbestätigung die Kids in dieser Rolle erfahren, wie manche zu Vorbildern wachsen“.

In Brandenburg gilt ähnliches. Die dortige Sportjugend unterhält im Moment 14 Straßenfußballstandorte, deren Akteure sich etwa zweiwöchentlich treffen, je einmal im Monat sitzt der Experte der Sportjugend dabei, der die rund 60 Teamer des Landes zudem zweimal im Jahr zentral schult. „Unsere Teamer organisieren offene Veranstaltungen für die Jugend am Ort, vertreten uns in lokalen Netzwerken und können auch mal ein kleineres Seminar leiten“, erklärt Uwe Koch. „Das ist unsere Methode, um junge Menschen in der Region zu halten.“ Abwanderung ist rund um Potsdam und Berlin bekanntermaßen ein Kernproblem.

Toleranz tut immer Not

Wie in Baden-Württemberg sind Brandenburgs Straßenfußballzentren nur zum Teil bei IdS-Stützpunktvereinen verortet. Andere werden frei organisiert oder von Netzwerkpartnern getragen, die nicht speziell Menschen mit Migrationsgeschichte ansprechen. Das hat mit der Sportjugend-Struktur zu tun, scheint aber auch sinnvoll: in Teilen des Landes gibt es praktisch keine Migranten, und trotzdem, ja deswegen tun toleranzfördernde Maßnahmen Not, um die Mehrheitsgesellschaft zu öffnen (siehe Thema des Monats März Opens external link in new window„Es gibt viel zu tun“). Ohnedies betont Koch den Anspruch, „möglichst viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einzubinden, die in den Straßenfußballstandorten leben“, natürlich geschehe das in enger Kooperation mit den Stützpunkten.

Straßenfußball für Toleranz geht hier und da über das Programm hinaus, um es rückkoppelnd zu stärken: So läuft das auch in Baden-Württemberg. Seit einigen Jahren arbeitet die Landeskoordination bei dem Thema mit der Organisation Kickfair als Bildungspartner. Bei der Turnierreihe anlässlich der Frauen-WM in Deutschland 2011 wurden junge Menschen mit Migrationsgeschichte als Teamer eingesetzt, die in Kickfair-Projekten Erfahrungen gesammelt hatten. Früher erfüllten Pädagogik- oder Sportstudenten diese Aufgabe. 

In diesem Jahr versuchte die Landeskoordination etwas Neues. „Wir haben in unsere Tour Standorte eingebunden, die bereit waren, selbst potenzielle Teamer zu suchen“, sagt Julia Sandmann. Die Idee ließ sich umsetzen, allerdings vor allem mit hauptamtlich strukturierten Partnern. „Die Ausbildung durch Kickfair fußt auf regelmäßiger Teilnahme und Organisation von Events. Da geraten ehrenamtlich geführte Sportvereine häufig an ihre Grenzen.“ Der Sportkreis Heidelberg hingegen brachte ein halbes Dutzend Interessenten zusammen. Kickfair-Teamer gaben ihr Wissen an sie in speziellen Schulungen weiter. 

Die Suche läuft: Nach Möglichkeiten, den Partizipations-Ansatz in Vereine zu tragen. „Unser Ziel ist es ja, in der Sportstruktur etwas zu bewegen“, sagt Sandmann. Das Konzept biete die Chance „aufzuzeigen, wie es funktionieren kann, vermeintlich schwierige Jugendliche zu Engagement zu bewegen“. Aufzeigen, in diesem Sinne ist auch der Turkcell Europe Cup wichtig. Aber nicht nur in diesem: „Für unsere Teamer ist das sicher ein Höhepunkt. Da lernen sie Kollegen aus anderen Bundesländern kennen und können sehen, wie die das so machen“, sagt Uwe Koch. Darum geht’s am Ende ja immer: Austausch. 

(Quelle: DOSB / Nicolas Richter)


  • Das Konzept Straßenfußball für Toleranz hat ein zentrales Ziel: Vermittlung sozialer Kompetenzen. (Foto: DOSB)
    Das Konzept Straßenfußball für Toleranz hat ein zentrales Ziel: Vermittlung sozialer Kompetenzen. (Foto: DOSB)