Nestor der Sportwissenschaft - Zum Tode von Prof. Ommo Grupe

Am Donnerstag (26. Februar) ist der Tübinger Sportwissenschaftler Prof. Ommo Grupe im Alter von 84 Jahren gestorben.

Ommo Grupe prägte über Jahrzehnte die deutsche Sportwissenschaft. Foto: privat
Ommo Grupe prägte über Jahrzehnte die deutsche Sportwissenschaft. Foto: privat

Er war nicht nur der erste, der in der Bundesrepublik in Sportwissenschaft habilitierte. Er bahnte den Weg für die Entwicklung dieser neuen Disziplin an deutschen Universitäten, prägte sie über Jahrzehnte und verlor doch nie die Verbindung zur Sportpraxis in den Vereinen und Verbänden.

Ommo Grupe werde zu Recht als Nestor der Sportwissenschaft bezeichnet, heißt es im Nachruf seiner Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen. "Grupe war aber nicht nur ein großartiger Wissenschaftler, sondern auch ein sehr warmherziger und liebevoller Mensch mit einem unglaublichen Charisma."

Die Nachricht vom Tode des früheren langjährigen Vizepräsidenten des Deutschen Sportbundes erfüllt auch den DOSB mit tiefer Trauer. Es sei kaum möglich, die Lebensleistung dieses außergewöhnlichen Pädagogen und Wissenschaftlers in Worte zu fassen, sagte Prof. Gudrun Doll-Tepper, DOSB-Vizepräsidentin für Bildung und Olympische Erziehung. "Ommo Grupe hat mich und viele andere Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler mit seinen werteorientierten Arbeiten zu Themen des Sports, des Schulsports und der Olympischen Erziehung stark geprägt. Für viele von uns war er ein Freund und kritischer Wegbegleiter, den wir dankbar in Erinnerung behalten werden."

1960 war Grupe zum Direktor des damaligen Instituts für Leibesübungen in Tübingen ernannt worden. Als erster promovierter Leiter habe er sich von Anfang an bemüht, die Leibeserziehung zu einem wissenschaftlichen Fach weiterzuentwickeln.

Schüler in vielen Ländern der Welt

Nach seiner Ernennung zum ordentlichen Professor für „Theorie der Leibeserziehung“ 1968 kamen viele ambitionierte Sportwissenschaftler nach Tübingen, um hier bei Ommo Grupe zu promovieren und zu habilitieren. Seine Schüler wurden Professoren nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern der Welt.

"Ommo Grupe war einer der weltweit wichtigsten Sportwissenschaftler im 20. Jahrhundert", erklärte das Tübinger Institut. "Er war es, der die Sportwissenschaft in der Praxis des Sports hoffähig machte, nicht nur im Spitzensport, sondern auch im Hinblick auf die Lehrplanentwicklung für den Sportunterricht oder die Weiterentwicklung der Sportorganisationen."

Als Willi Daume, der damalige Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) 1968 den frischgebackenen Ordinarius für dessen Untersuchungen über „Die Leiblichkeit des Menschen und die Aufgaben der Leibeserziehung“ mit der Carl-Diem-Plakette des DSB auszeichnete, ehrte er damit auch einen jungen Wissenschaftler, der in den folgenden Jahrzehnten die führende Rolle als Sportwissenschaftler, aber auch als pädagogischer und moralischer Wegweiser im deutschen Sport spielen sollte.

Es war die Zeit, wie es Grupe selbst beschrieb, in der Sport zu einem Massenphänomen zu werden begann. "Immer mehr Menschen wurden sportlich aktiv. Die Bedeutung von Spiel, Sport und Gymnastik für Gesundheitsförderung und Freizeitverbringung nahm zu, Medien und Wirtschaft entdeckten seine ökonomischen und medialen Möglichkeiten." Zudem standen die Olympischen Spiele 1972 in München vor der Tür, bei denen, so Grupe, der Welt ein anderes Deutschland gezeigt werden sollte. "Und die politische Instrumentalisierung des Sports als Folge der Ost-West-Konflikte führte dazu, zur Förderung des Leistungssports alle Ressourcen einzufordern, auch die der Sportwissenschaft."

Vielseitiger, aktiver Sportler

Ommo Grupe wurde am 4. November 1930 als ältestes Kind des Lehrers Christian Grupe und dessen Ehefrau Erna im Dorf Warsingfehn bei Leer in Ostfriesland geboren, machte in Jever 1950 das Abitur und gewann seine ersten sportlichen Erfahrungen als Schüler im TuS Esens in der Leichtathletik, im Turnen und im Handball. An der Deutschen Sporthochschule in Köln erhielt er als bester Absolvent des Jahrgangs für sein Diplomexamen 1953 die August-Bier-Plakette. An den Universitäten Köln und Münster studierte er Sport, Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Anglistik und promovierte 1957 in Münster über „Leibesübung und Erziehung“ mit „magna cum laude“, ehe er 1958 als Wissenschaftlicher Assistent nach Tübingen wechselte.

Viele seiner wissenschaftlichen Arbeiten gelten als bahnbrechend. Mit seinem Werk „Grundlagen der Sportpädagogik“ habe er eine neue Disziplin geschaffen, heißt es in Tübingen. Sein Essay zur "Versportlichung der Gesellschaft und Entsportung des Sports" aus dem Jahre 1988 beispielsweise sei "geradezu visionär". Dieses Lebenswerk würdigte im September 2009 auch die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), als sie Grupe als Erstem in ihrer Geschichte die Ehrenmitgliedschaft verlieh.

Dabei war der Wissenschaftler Grupe immer auch Funktionär. Seit 1953 war er in der Lehrerfortbildung und der sportlichen Jugendarbeit tätig, zeitweise auch als Jugendsekretär der Deutschen Turnerjugend. Ab 1958 arbeitete er ehrenamtlich in der Deutschen Sportjugend mit, wurde 1962 in den Deutschen Sportbeirat berufen und 1974 als Vorsitzender des Bundesausschusses für Wissenschaft und Bildung in das DSB-Präsidium gewählt. Von 1986 bis 1994 war Grupe Vizepräsident des DSB, von 1990 bis 1994 Vorsitzender des Beirats für Grundsatzfragen und von 1980 bis 2006 Vorsitzender des Kuratoriums für die Verleihung der Carl-Diem-Plakette, eine Auszeichnung, die seit Gründung des Deutschen Olympischen Sportbundes als DOSB-Wissenschaftspreis vergeben wird.

Langjähriger Vorsitzender des BISp

Von 1970 bis 1997 engagierte sich Grupe als ehrenamtlicher Vorsitzender des Direktoriums des damals noch in Köln ansässigen Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp). Dabei habe er sich stets um die Unabhängigkeit des Sports von der Ministerialbürokratie gesorgt und immer wieder betont, dass die Interessen des Sports nicht immer auf einer Linie mit den Interessen der Ministerien lägen und man um Unabhängigkeit kämpfen müsse.

Grupe war seit 1982 auch Mitglied des Ausschusses für Strukturfragen des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für Deutschland und seit 1994 persönliches Mitglied. Von 1990 an war er stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Olympischen Instituts in Berlin und seit 1994 dessen Vorsitzender. Auch international wirkte er seit 1982 im Exekutivkomitee des Weltrates für Sportwissenschaft und Leibeserziehung (ICSSPE) mit.

Grupe war Begründer und über mehr als drei Jahrzehnte bis 2005 geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift "Sportwissenschaft" und Mitherausgeber der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des DSB. Über Jahrzehnte gestaltete, beeinflusste und prägte er im deutschen Sport Grundsatzpapiere, Leitlinien, Kongressstrategien und Publikationen und wirkte insbesondere für die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Sports.

Das Wirken dieses Pioniers der deutschen Sportwissenschaft der Nachkriegszeit wurde national und international gewürdigt, etwa mit dem "Philip Noel Baker Research"-Preis des Weltrates für Sportwissenschaft und Leibes-erziehung (1975), der International Fellowship der "American Academy of Physical Education" (1990), dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1980) und der Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Sportbundes (1994). Für seine Verdienste um die olympische Erziehung und die Interpretation moralischer Inhalte des Sports wurde ihm 1998 der Ethik-Preis des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) verliehen. Die dvs-Sektion Sportpädagogik vergibt seit 2007 alle zwei Jahre einen Ommo-Grupe-Preis für herausragende Arbeiten in der Sportpädagogik an Nachwuchskräfte.

(Quelle: Uni Tübingen / DOSB)


  • Ommo Grupe prägte über Jahrzehnte die deutsche Sportwissenschaft. Foto: privat
    Ommo Grupe prägte über Jahrzehnte die deutsche Sportwissenschaft. Foto: privat