"Rekorde sind wichtig in der Leichtathletik"

Im Interview spricht der zweifache Olympiasieger, Armin Hary, über Handlungsbedarf in der Leichtathletik, Rekorde und die Ausnahmeerscheinung Usain Bolt.

Armin Hary der erste Sprinter, der die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden (1958 auf der Aschenbahn) lief. Foto: picture-alliance
Armin Hary der erste Sprinter, der die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden (1958 auf der Aschenbahn) lief. Foto: picture-alliance

Am Samstag, den 10. August startet die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau. Neun Tage lang werden die Leichtathletik-Fans die Leistungen der besten Athleten der Welt im Olympiastadion Luschniki verfolgen. Nach den Dopingfällen in den vergangenen Wochen muss sich die Leichtathletik aber auch vermehrt kritische Fragen gefallen lassen.

Herr Hary, haben Sie angesichts der immer wiederkehrenden Doping-Meldungen noch Spaß an der Leichtathletik?

ARMIN HARY: Wer einmal erfolgreich war, wird immer an ihr hängen. Die Leichtathletik ist nicht nur die Königsdisziplin der Olympischen Spiele, sie ist die Grunddisziplin aller Sportarten. Jedes Kind will laufen, springen und auch werfen. Unbestritten allerdings ist, dass die „Königin“ zur Zeit tot krank ist, zerfressen vom Doping-Krebs. Wenn wir nicht jetzt etwas unternehmen, etwas Grundsätzliches, verkommt diese historisch, ethisch, kämpferisch und ästhetisch wichtigste Sportart zum puren Zirkusrummel. Wenn saubere Athleten keinen Spaß mehr an ihr haben, weil sie den Doping-Konkurrenten ewig hinterherlaufen, wird schon den Kindern, erst recht den Jugendlichen der Spaß an dieser Sportart genommen werden.

Sie haben vor kurzem eine Annullierung der Weltrekordzeiten im Sprint gefordert, damit dieser wieder gesunden könne…

HARY: Dies war nur die notwendige Zuspitzung der Tatsache, dass jetzt, nach Bekanntwerden der neuesten Perversitäten, der Zeitpunkt „da“ ist, etwas zu tun – Grundlegendes, wie ich eben schon sagte. Unser Diskus-Olympiasieger Robert Harting fordert fünf Jahre für Doping-Täter, m.E. können es auch zehn werden; das Mindeste aber ist, Ausschluss jeglicher Doping-Täter von den Olympischen Spielen. Und zwar für alle Zeiten. Betrüger dürfen nicht mehr in die Arenen zurückkehren. Das setzt aber auch eine strikte Haltung der Verbände voraus und nicht so eine lasche wie die der Briten, die dann doch ihren Doping-Sprinter Dwain Chambers in London 2012 starten ließen. Die Streichung der Rekorde wäre nur eine Folge dessen, dass acht der zehn schnellsten Sprinter der Welt mittlerweile des Dopings überführt sind.

Waren Ihnen persönlich Rekorde in Ihrer aktiven Zeit wichtig?

HARY: Rekorde sind wichtig in der Leichtathletik. Um mit Jesse Owens zu sprechen: Sie sind schon deswegen da, um  gebrochen zu werden – aber doch nur von sauberen Athleten. Wo liegt denn sonst der Vergleich? Schafft die Rekorde ab und lasst Doping-Monster ran. Und Sie werden sehen, wie sich die Akzeptanz gen Null bewegt. Rekorde gehören zur Historie – einer jeden Sportart. Dass für den Einzelnen unter Umständen der Sieg höher steht als jeder Rekord, ist individuell richtig und gilt mit Sicherheit für den Olympiasieger (daher das strikte Verbot für Doping-Überführte, an OS teilzunehmen). Es gilt auch für den Sensationssieger.

Aber noch mal: Da Sie mich fragen. Für mich übertrifft der Olympiasieg alles. Olympiasieger ist man für immer und ewig. Alles andere als der Olympiasieg wäre für mich eine große Enttäuschung gewesen. Ich bin nach Rom gefahren, um zu gewinnen. Die Einstellung, „dabei sein ist alles“, hat mich nie überzeugt. Obwohl natürlich auch die Teilnahme individuell ein toller Erfolg sein kann. Gar keine Frage. Dennoch würde ich mich mehr darüber freuen, dass es nach gut 50 Jahren auch mal wieder einen deutschen Nachfolger für mich gäbe.

Die deutschen Sprinter sind zwar aktuell keine Medaillenkandidaten über die 100 Meter, aber sie nähern sich Ihrer 10-Sekunden-Marke an.

HARY: Na gut – ein kompliziertes Thema: „Meine“ Zehn-Sekunden-Marke hat man heute ja schon mit elektronischen 10,15 Sekunden hauchweise unterschritten. Dennoch ist ein Vergleich nahezu unmöglich: Schaut man sich nur die Schuhe an, damals 390 Gramm schwer, heute nur noch 80 Gramm. Ich habe mir immer gewünscht, auch einmal auf einer Tartanbahn zu laufen. Das ist etwas völlig anderes als auf Asche. Tartan bringt – Minimum – zwei, drei Zehntel. Auch ein Usain Bolt, für mich (bis zum Beweis des Gegenteils) eine Ausnahmeerscheinung, würde sich auf Asche wahrscheinlich schwerer tun, allein weil er so groß und so schwer ist.

Werden Sie die Weltmeisterschaften vom 10. bis 18. August in Moskau verfolgen?

HARY: Ja, am Fernseher. Aber nicht nur die 100 Meter, mich interessieren alle Laufdisziplinen. Und auch bei den technischen Disziplinen drücke ich dem deutschen Team die Daumen. Ich hoffe nur, dass unsere Athleten sauber sind. Das ist das Wichtigste. Aber für sie muss eben mehr getan werden.

(Quelle: Deutsche Sporthilfe)


  • Armin Hary der erste Sprinter, der die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden (1958 auf der Aschenbahn) lief. Foto: picture-alliance
    Armin Hary der erste Sprinter, der die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden (1958 auf der Aschenbahn) lief. Foto: picture-alliance