Sport und Krebs – zwei Gegensätze ziehen sich an

Sportliche Betätigung während der Krebstherapie hilft vielen Patienten bei der Regeneration und kann die Nebenwirkungen von Medikamenten lindern.

Nordic Walking ist bei fast allen Krebsarten möglich und bringt die Patienten in die Natur. Foto: picture-alliance
Nordic Walking ist bei fast allen Krebsarten möglich und bringt die Patienten in die Natur. Foto: picture-alliance

Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Todesangst - Krebspatienten mit solch körperlichem und seelischem Befinden während einer Chemotherapie, denken kaum daran im nächsten Moment Sport zu treiben. Aber Krebs und seine Behandlungstherapien sind kein Grund auf körperliche Aktivität zu verzichten. Im Gegenteil: „Bewegungsprogramme während oder direkt nach einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung sind hilfreich“, sagt Dr. Freerk Baumann, Leiter der „Arbeitsgruppe Sport und Krebs“ am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln. „Und auch nach einer Operation können die Betroffenen schon nach ein bis zwei Tagen – betreut von einem Therapeuten - wieder aktiv werden“, so der Sportwissenschaftler.

Tatsächlich mit Studien belegt wurde der positive Effekt von Bewegungsprogrammen vor, während und nach einer Krebserkrankung jedoch erst für Brust-, Darm- und Prostatakrebs. Die Kölner Forscher sind aber sicher, dass ein individuell angepasstes Training bei nahezu allen Krebsformen dem Immunsystem eines Kranken dient, seine Regenration fördert und die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapien abgemildert werden können. Gemeinsam mit den Medizinern des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) an der Universität Köln, wollen die Wissenschaftler nun beweisen, was sie und ihre Kollegen seit Jahren in der Praxis erleben. „Ich sehe die positiven Effekte auch bei Leukämiepatienten“, sagt Professor Michael Hallek, Direktor der Klinik 1 für Innere Medizin an der Universität Köln, „aber das sind Erfahrungswerte. Jetzt geht es darum nachzuweisen, dass Muskelaufbau das Leben verändert“, so der Professor. Deshalb seien nun - gemeinsam mit der DSHS Köln – weitere kontrollierte Studien vorgesehen, die die Wirkung von Sport auf sämtliche Krebsarten belegen. Damit die Patienten direkt mit Bewegung versorgt werden können, sind nun an der Universität Köln Trainingsräume geschaffen worden, in denen die Schwerkranken beim Sport angeleitet werden. Aktuell profitieren hier zunächst die Studienteilnehmer, ab November öffnen sich die Räume für alle interessierten Krebspatienten.

Versorgung - Forschung - Lehre

Konkret heißt das für die Betroffenen, dass sie am CIO von den Kölner Sportwissenschaftlern individuelle Trainingspläne erhalten. In speziell ausgerichteten Trainingsräumen sollen die an Krebs erkrankten Menschen ihre Fitness aufbauen, bewahren oder wieder herstellen. Einerseits mit Kraft- und Ausdauertraining an Geräten – fast wie im Fitness-Studio, andererseits durch Sportangebote in der Natur. Das Konzept beinhaltet auch Koordinationsübungen und Entspannungsmethoden. Ärzte und Sporttherapeuten wollen sich regelmäßig über die Belastungen, die man dem Patienten zumuten darf, austauschen. Dabei sollen die Patienten in die Gespräche einbezogen und beim Training engmaschig betreut und angeleitet werden. Die Trainingsform und die Sportarten werden dann dem jeweiligen Krebsstadium, dem aktuellen physischen Zustand der Betroffenen und der Krebsart angepasst. Ziel des Projektes ist es, diese sogenannte „onkologische Trainingstherapie“ als Standard bei der Behandlung von Krebserkrankungen und in der direkten Versorgung der Patienten zu etablieren.

Außerdem wollen die Wissenschaftler Praxis mit Lehre und Wissenschaft eng verzahnen, damit Sport- und Medizinstudenten direkt von den Ergebnissen aus der täglichen Arbeit profitieren. „Dieses Vorhaben ist in diesem Umfang bundesweit einmalig und wir können dabei Leitlinien für die Sporttherapie entwickeln“, so Baumann. Andere Institute beschäftigten sich beim Thema Sport und Krebs überwiegend mit den präventiven Wirkungen oder mit der Nachsorge, so der Sportwissenschaftler. Zentren, die ihren Krebspatienten durch Sport Gutes tun wollen und ähnliche Ansätze wie die der Kölner verfolgen, sind etwa die Universitätskliniken in Heidelberg und München oder die Sportmediziner der Goethe-Universität Frankfurt.

Mehr Informationen für Ärzte und Patienten notwendig

Eine Untersuchung der Frankfurter Sportmediziner zeigt jedoch auch, dass beispielsweise in Hessen tumorerkrankte Patienten nicht ausreichend über die Wirkungen und die Vorzüge körperlicher Aktivität aufgeklärt sind. Demnach sind weder die bestehenden Sport- und Bewegungsangebote für viele Patienten präsent noch fließen ihnen entsprechende Informationen zu. Die Frankfurter Sportärzte plädieren deshalb ebenso für eine Sportgruppe mit Anschluss an die behandelnde Klinik sowie weitere Informations- und Beratungsangebote über die Sporttherapie für onkologische Patienten. Eine Kooperation besteht mit der  2. Medizinischen Klinik im Krankenhaus Nordwest in Frankfurt.

Die Idee des sportiven Krebskranken klingt gut und innovativ. Schließlich holt man die Betroffenen durch die angeleitete Therapie aus der Isolation, kann sie vielleicht mit Freude zum Sport motivieren und ihnen ein Stück Normalität zurückgeben. Dennoch bleibt es schwer vorstellbar, dass ein todkranker, womöglich tief deprimierter Mensch auf dem Fahrradergometer in die Pedalen tritt oder an Fitnessgeräten fleißig Gewichte stemmt. Zumal sich die Patienten auch durch Nach- und Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung mitunter so elend fühlen, dass sie sich kaum auf den Beinen halten können.

„Patienten und Mediziner sind oft skeptisch, weil der Glaube an die Wirkung der Medikamente und an die Operation tief verwurzelt ist“, sagt Professor Hallek. Bei den Medizinern führe außerdem die hohe Spezialisierung auf einem Gebiet dazu, dass der Blick über den Tellerrand fehle. „Dabei ist beispielsweise für Dickdarmkrebs belegt, dass die Bewegung konkrete Auswirkungen auf das Überleben der Menschen hat und diese Effekte wichtiger sein können als die Wirkung der Medikamente.“ Viele Patienten lehnten im Laufe der Krankheit ihren Körper ab, weil sie das Gefühl hätten, der Krebs fresse sie auf und ihr Körper arbeite gegen sie. Der Sport helfe ihnen indes, selbst bestimmt zu agieren. Sobald die Patienten das Training annehmen, so Hallek, spürten sie, dass sie durchaus noch etwas leisten könnten, dass sie tatsächlich fitter würden und nicht nur krank seien. „Ich bin immer wieder tief beeindruckt, wie positiv der Sport auf die Psyche der Patienten wirkt“, so der Mediziner.

Wirkungen des Sports

Ganz eindeutig sei beispielsweise, dass Krafttraining an Geräten dem sogenannten Fatigue-Symptom entgegenwirke – ein Syndrom, das für Erschöpfungszustände verantwortlich ist, erklärt Sporttherapeut Baumann. „Etwa 80 Prozent der Patienten sprechen darauf an, und zwar unabhängig von der Krebsart“, sagt der Sportwissenschaftler. Auch Nordic Walking sei bei fast allen Krebsarten möglich, sogar während der Chemotherapie. Bei Prostatakrebs sei es hingegen viel wichtiger ein Beckenbodentraining zu absolvieren, um die Inkontinenz als Nebenwirkung der Krankheit zu verringern. Leukämiepatienten benötigten ein leichtes Ausdauertraining, etwa auf dem Fahrradergometer, da ihre Lungen, durch das lange Liegen schlecht belüftet würden. Erste Studien zeigten auch Tendenzen, dass Infektionen, wie etwa Lungenentzündung, durch die körperliche Aktivität und die damit einhergehende bessere Immunabwehr, verringert werden könnten. Sogar bei Knochenmetastasen sei eine individuelle Bewegungstherapie möglich – je nachdem wie fortgeschritten die Erkrankung bereits sei, so Baumann.

Nach der Diagnose Krebs ziehen sich die meisten Menschen aber erst einmal zurück, was gleichzeitig bedeutet, dass sie sich weniger bewegen. Bereits bei einer Woche Bettruhe verringere sich, Experten zufolge, die Muskulatur innerhalb einer Woche um rund ein Viertel des Ausgangswertes. Um das wieder aufzuholen, seien gut sechs Wochen intensives Krafttraining nötig. Beginne der Patient dann mit der medikamentösen Therapie erhöhe sich zudem das Osteoporoserisiko und die Ausdauerleistungsfähigkeit sinke. Schließlich steige der Betroffene mit schlechteren Voraussetzungen in die Therapie ein, als sie vor der Diagnose gegeben waren. Appetitlosigkeit, Übelkeit, muskelraubende Tumore sorgen zudem für massiven Gewichtsverlust. „Diesem Prozess kann man aber mit Krafttraining entgegenwirken“, sagt Sporttherapeut Baumann, „rund ein Viertel aller Patienten erreichen nach der Heilung nicht mehr ihre frühere körperliche Leistungsfähigkeit, sie trauen sich nicht mehr, zeigen psychische Probleme.“ Mit angepassten Bewegungsprogrammen sei dies alles vermeidbar, meint der Wissenschaftler, ganz abgesehen von der möglichen Schutzfunktion des Sports erneut am Krebs zu erkranken.

Natur erleben hilft den Körper zu spüren

So könne regelmäßige moderate Aktivität besonders bei Brustkrebs und bei Darmkrebs vor einer neuen Erkrankung schützen. Konkret heißt das: wenigstens drei Mal pro Woche, für eine halbe Stunde, intensive körperliche Aktivität. Ganz gleich welche Sportart, nur Freude solle sie bereiten und herausfordern. Ältere Patienten, die keine größeren Anstrengungen mehr bewältigen können, seien mit Nordicwalking gut beraten, drei Mal pro Woche etwa eine Stunde. Damit blieben sie fit und beugten Überlastungen vor, da der Einsatz der Stöcke die Intensität der Belastung begrenze und den Lauf sichere. Der Weg nach draußen habe aber noch andere Effekte: „Die Verbindung zur Natur geht über die Therapie meist verloren“, sagt Baumann, „man geht einfach seltener raus und verliert überdies soziale Kontakte.“

Wenn das Körpergefühl schwindet, weil sich alles nur noch um die Krankheit dreht, ist es gut nachvollziehbar, dass unmittelbare Sinneserlebnisse – der kalte Wind oder die wärmende Sonne auf der Haut – helfen sich selbst wieder als Ganzes zu spüren. Baumann empfiehlt deshalb auch, je nach Krankheitsstadium sich auf Trekking, Klettern, Kanufahren, Berg- oder Winterwanderungen einzulassen. Übertreiben dürfe man es aber nicht, zwei bis drei Erholungstage in der Woche seien wichtig, weil Krebspatienten einfach längerer Regenerationsphasen benötigten, als gesunde Menschen. Deshalb sei von Leistungssport für die Betroffenen abzuraten. Lieber, so Baumann, sollte man die Regeneration mit autogenem Training, Yoga oder Qigong fördern.

(Quelle: Yvonne Wagner/DOSB-Presse, Ausgabe 21)


  • Nordic Walking ist bei fast allen Krebsarten möglich und bringt die Patienten in die Natur. Foto: picture-alliance
    Nordic Walking ist bei fast allen Krebsarten möglich und bringt die Patienten in die Natur. Foto: picture-alliance