Soziales Umfeld
Der Einfluss des sozialen Umfeldes und damit der erschwerte Zugang zu Sportvereinen ist vermutlich eine der ersten Ursachen für die Sportabstinenz bestimmter Gruppen. Schnell wird man dabei bei der Suche nach Gründen für die Abstinenz von Ausländerinnen in Sportvereinen auf das teilweise unterschiedliche Religions- und Kulturverständnis stoßen. Insbesondere, wenn sich Religion und Alltagskultur grundlegend von der deutschen und westlichen Lebensweise unterscheiden. So leben die Mütter oft eine traditionellere Frauenrolle vor und weibliche Familienmitglieder sind auch in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland noch in Familienaufgaben eingebunden. Dies wirkt sich auch auf die Freizeitgestaltung aus, da die häusliche Bindung einer Teilhabe an den vielfältigen Möglichkeiten der Aufnahmegesellschaft gegenübersteht. Besonders bei älteren Migrantinnen zeigt sich dies auch Erwerb deutscher Sprachkenntnisse. Die 13. Shell Jugendstudie kommt zu dem Ergebnis, dass man „bei jungen Türkinnen in Bezug auf Zugang zu öffentlichen Räumen […] und ungezwungenem Zusammensein eine deutliche Zurückhaltung“ findet, während bei den männlichen Deutschen und gleichaltrigen Migranten der „gemeinsame Jugendstatus und das Jugendleben mit seinen Freizeitaktivitäten den ethnischen und kulturellen Status der Ausländer überformt.“
Rollenspezifisches Lernen
Gerade für Migrantinnen und Migranten ist die Familie der erste und wichtigste Rückhalt. Deshalb wird ihre Sozialisation stark von der Familie geprägt. Eltern haben gerade bei Migrantenkindern, die noch wenig Beziehungen zur Aufnahmegesellschaft aufgebaut haben, besonderen Einfluss auf die Entwicklung. "Da Kinder hauptsächlich am gleichgeschlechtlichen elterlichen Modell die Geschlechtsidentität erwerben, lernen sie auch am jeweiligen Vorbild die sportspezifischen Einstellungen und Motive." (KRÖNER 1976, 148) Väter schenken dem Sport oft mehr Aufmerksamkeit und interessieren sich ausführlicher für Sportereignisse. "Wie wichtig die konkreten Vorbilder in der sozialen Nahumwelt sind, wird auch dadurch belegt, dass der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen hinsichtlich dem Sport treiben umso geringer ist, je stärker die Sportaktivität beider Eltern ist." ( KLEIN 1983, 65 ). Die Möglichkeit und Auswahl sich mit Leistungssportvorbildern des gleichen Geschlechts zu identifizieren ist für Jungen leichter. Hinzu kommt dass die Sportberichterstattung von Sportereignissen mit weiblicher Beteiligung im Vergleich zu den Männern nur einen Bruchteil ausmacht. Durch den fehlenden direkten Bezug halten Mädchen Sport auch nicht für so interessant.
Sport, Kultur und Religion
Falsch wäre aus diesen Erkenntnissen die Vorstellung zu entwickeln, allein Religion und Kultur würden eine Eingliederung in den Sportverein verhindern. Der Einfluss von Religion und Tradition ist je nach Glaubensrichtung und persönlicher Entscheidungsfreiheit höchst unterschiedlich. So ist zum Beispiel der Islam, als am weitesten unter den Migrantinnen verbreitete Religionen entgegen vieler Annahmen sehr bewegungsfreundlich. Er stellt dem westlichen auf Sieg, Niederlage und Leistung eingestellten Sportverständnis jedoch ein anderes Körperkonzept, eine ganzheitlich auf Körper, Seele und Geist eingerichtete Bewegungsorientierung gegenüber. Der kulturelle Hintergrund ist also nur eine von mehreren Ursachen für das unterdurchschnittliche Engagement von Migrantinnen im Sport. Eine weitere Ursache dürfte das eher auf Jungen ausgerichtete Sportangebot der Vereine sein. Sportliche Interessen von Jungen und Mädchen gehen manchmal sehr weit auseinander. Wo es Jungen um Kampfgeist, Kraft und Sieg nach Punkten geht, legen Mädchen oft mehr Wert auf Teamgeist, Ästhetik und Steigerung des persönlichen Wohlbefindens. Ein adäquates Sportangebot berücksichtigt dies und schafft dafür geeignete Rahmenbedingungen. Dazu können zum Beispiel nicht einsehbare Räumlichkeiten gehören, besonders für Schwimmangebote, oder auch geschlechtlich homogene Gruppen und Betreuung. Auch kann nachgedacht werden, ob für „Schnupper“- oder Einsteiger-Angebote nicht ein zeitlich begrenztes Kurssystem als Organisationsform gewählt werden kann.
Sportangebote
Als geeignete Sportangebote haben sich in verschiedenen Projekten und Umfragen Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungsangebote und tänzerische Angebote (z.B. HipHop, Folklore) erwiesen. Schwimmen, Inline-Skating, Fitness und Aerobic gehörten ebenfalls zu beliebten und gewünschten Sportarten. Ein Wunsch nach reinen Mädchensportgruppen wurde häufig geäußert. Erwachsene Migrantinnen haben auch Interesse an gesundheitsorientierten Angeboten wie Walking, Gymnastik, usw.
Die geringe Beteiligung am organisierten Sport liegt demnach vielleicht gar nicht so sehr an der mangelnden Sportbereitschaft der Migrantinnen, sondern in der gegenseitigen Akzeptanz der bestehenden Angebote in den Sportvereinen. So kennt der Sportverein die sportlichen Bedürfnisse der Migrantinnen vielleicht noch nicht genügend, und umgekeht erfahren Migrantinnen oft nicht von Angeboten.
Für den Sportverein bedeutet dies, zielgruppenorientierte Sportangebote zu schaffen und eventuelle vorhandene Vorurteile oder Vorbehalte bezüglich des Mehraufwandes zu überwinden. Eine persönliche Ansprache der Migrantinnen ist wichtig, um Vertrauen und Aufmerksamkeit zu gewinnen. Als nützlich erweist sich die Kooperation mit Jugendhäusern, Schulen, Sportämtern oder auch kommunalen Mädchen- und Frauenbeauftragten. Haben Starthelfer, Übungsleiter und andere Multiplikatoren einen Migrationshintergrund, erleichtert dies den Zugang zumeist. Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen für Übungsleiter, Sportreferenten und weitere Beteiligte im Verein sind wichtig und helfen, ein optimales und nachhaltiges Angebot zu schaffen. Die Zielgruppe selbst muss entsprechend animiert werden, das jeweilige Sportangebot wahrzunehmen. Dazu gehört auch die Aufklärung und Information über die Vorteile des Sports wie soziale Kontakte, Körpererfahrung und Gesundheitsförderung.
Fazit
Auch bei Mädchen und jungen Frauen aus Zuwandererfamilien ist der Wunsch und das Bedürfnis mehr Sport zu treiben vorhanden. Es eröffnet sich der deutschen Sportlandschaft durch diese Situation ein weiteres Handlungsfeld mit viel Potenzial. Für interessierte Vereine könnten folgende Aufgaben anstehen:
Zu einem konkreten Handlungsablauf für Vereine könnten also gehören:
- Überprüfung der eigenen Angebote und der Infrastruktur
- Schaffung von mädchen- und migrantinnengerechten Angeboten
- Gezieltes Ansprechen von Migrantinnen auf bestehende Angebote
- Werbung für den Verein in Einrichtungen, die von Migrantinnen aufgesucht werden (internationale Treffs, Jugendhäuser, usw.)
- Kooperationen mit solchen Einrichtungen (z. B. Vereinssport-Angebot in deren Räumlichkeiten)
- Einbindung von Migrantinnen in Übungsleitertätigkeit und Organisation
Ausblick
Die türkische 1500m Läuferin Sürreyya Ayhan, soeben in Paris Vizeweltmeisterin geworden, hat sich einen festen Platz in den Herzen der türkischen Frauen erlaufen. Die Autorin Vivet Kanetti widmete ihr ein Buch über Frauenportraits, indem sie es unter dem Titel „Lauf, Sürreyya, lauf!“ erschienen ließ. Sürreyya Ayhan ist ein Idol für ihre türkischen Landsleute - gerade auch unter den in Deutschland lebenden Türkinnen. Es wäre zu wünschen, wenn viele ihrem Beispiel folgen würden.
Literatur
Hrsg.: Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Düsseldorf
Integration durch Sport – Migrantinnen im Sport, 2001