Tipp des Monats: Sport ist auch für Diabetiker kein Tabu

In der Ausgabe Juli/August 2012 von "Gesund + fit" gibt es Informationen zum Thema "Sport ist auch für Diabetiker kein Tabu".

Dieses Gerät misst den Insulinwert vor und nach sportlicher Betätigung. Foto: Andrea Bowinkelmann / LSB NRW
Dieses Gerät misst den Insulinwert vor und nach sportlicher Betätigung. Foto: Andrea Bowinkelmann / LSB NRW

Lange galt die Zuckerkrankheit oder auch Diabetes (mellitus) als ausschließliches Leiden der älteren Bevölkerung. Doch mittlerweile ist Diabetes längst kein Phänomen der Alten mehr. Vielmehr sind immer häufiger junge Menschen - sogar Kinder - davon betroffen. Sport muss dabei aber kein Tabu sein - wenn bestimmte Regeln beachtet werden. Welche das sind, wird in diesem Artikel beschrieben.

Diese kleine Artikelserie beschäftigt sich mit dem in Deutschland immer häufiger auftretenden Krankheitsbild des "metabolischen Syndroms". Im letzten Monat ging es um den Zusammenhang zwischen Bluthochdruck und Sport. Heute wird das für das metabolische Syndrom typische Krankheitsbild der Typ-2-Diabetes in den Blickpunkt genommen.

Was ist Diabetes überhaupt?

Der Diabetes mellitus gehört mit rund sieben Millionen Patienten und mit einer vermutlich ebenso hohen Dunkelziffer nicht identifizierter Zuckererkrankungen zu den größten Volkskrankheiten in Deutschland. Diabetes ist eine chronische Stoffwechselstörung, bei der die Konzentration von Zucker im Blut erhöht ist. Diabetes ist dabei ein Sammelbegriff für verschiedene Formen dieser "Zuckerkrankheit" bzw. für verschiedene Störungen des Kohlehydratstoffwechsels. Wenn man von Diabetes spricht, hat man jedoch in aller Regel die Typ-1- oder Typ-2-Diabetes im Kopf. Beide Formen haben gemeinsam, dass die Prozesse der Bereitstellung von Energie (also Zucker) aus der Nahrung für die Zellen und der Speicherung von Energie gestört sind. Dies liegt entweder daran, dass die Prduktion des dafür notwendigen Hormons Insulin nicht richtig funktioniert oder aber die Körperzellen zunehmend unempfindlich auf das Insulin reagieren.

Insulin ist ein Hormon, es wird von der Bauchspeicheldrüse gebildet und in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Besonders hoch ist die Insulinproduktion direkt nach dem Essen, denn das Hormon hat die Aufgabe, sich Andockstellen an den Zellen, also zum Beispiel Muskel-, Fett- oder auch Leberzellen, zu suchen. Dort angedockt sorgt es dafür, dass die Zellen dies als Signal dafür verstehen, Zucker (Glucose) aus dem Blut in die Zellen einzuschleusen, weil dieser dort als Energielieferant benötigt wird. In den Zellen ist der Zucker also vonnöten, während er in zu hohen Konzentrationen im Blut nichts zu suchen hat, weil er dort - wenn die Konzentration dauerhaft zu hoch ist - Schaden anrichtet. So verursacht er Verklebungen der Blutkörperchen oder auch kleinsten Blutgefäße und führt auf Dauer zu Organschädigungen.

Unterschied Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes

Bei der Typ-1-Diabetes kommt es zu einer Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Diese können mit Beginn des selbstzerstörerischen Autoimmunprozesses des Körpers erst immer weniger, irgendwann dann gar kein Insulin mehr bilden, das heißt, es liegt ein absoluter Insulinmangel vor. Diese Form des Diabetes entsteht meist im Kindes- und Jugendalter. Bis die Erkrankung den Patienten auffällt, vergeht oft viel Zeit, weil typische Krankheitssymptome wie Durst, häufiges zur Toilette müssen etc. erst auftreten, wenn die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen schon sehr weit fortgeschritten ist.

Typ-1-Diabetiker müssen Insulin von außen zugeführt bekommen. Auch Typ-1-Diabetiker können Sport treiben, wie bekannte Beispiele, z.B. Fußballer Dimo Wache oder Gewichtheber Matthias Steiner, zeigen.

Beim Typ-2-Diabetes sind die Muskel-, Fett- und Leberzellen unempfindlich gegenüber dem Insulin, sie verstehen also die Botschaft nicht oder nur unzureichend, was als Insulinresistenz bezeichnet wird. Diese kann zwar angeboren sein, wird aber meist erst im Laufe des Lebens erworben, z.B. durch ein permanent zu reichhaltiges und zuckerreiches Essen. Dadurch wird dauerhaft für eine extrem hohe Insulinausschüttung gesorgt und die Empfindlichkeit der Rezeptoren an den Zellen nimmt ab oder ihre Zahl wird sogar reduziert. Das vom Körper produzierte und ausgeschüttete Insulin reicht dann nicht mehr aus, um den Zucker abzubauen.
-PageBreak-

Sport und Bewegung: Was passiert im Körper?

Wenn wir Sport treiben, benötigt der Körper mehr Energie im Vergleich zum Ruhezustand. Diese Energie wird aus dem Blutzucker zur Verfügung gestellt, weil dieser besonders schnell verfügbar ist. Bei körperlicher Aktivität sinkt der Insulinspiegel: Das ist ein Zeichen für den Körper, vermehrt Zucker aus den Glykogenspeichern in der Leber auszuschütten. Darüber hinaus verstärkt sportliche Aktivität die Wirkung von Insulin, sodass noch mehr Zucker in die Muskelzellen gelangen kann, bzw. diese den Zucker besser aufnehmen können. Nach Beendigung der körperlichen Aktivität werden die Zuckerspeicher wieder aufgefüllt, sodass sich ein Gleichgewicht des Blutzuckerspiegels einpendelt.

Was ist bei Diabetes-Patienten anders, was gilt es zu beachten?

Nehmen Diabetes-Patienten Insulin ein, so reagiert der Körper anders: Da das Insulin von außen zugeführt wird, kann der Insulinspiegel bei Aufnahme der körperlichen Aktivität nicht absinken, d.h. die Menge an Insulin, die ein Diabetiker spritzt, hat eine festgelegte Wirkungszeit und Stärke, die nicht durch körperliche Veränderungen wechselbar ist. Infolgedessen fehlt das Signal, Zucker aus den Speichern freizusetzen, der Blutzuckerspiegel fällt ab und es droht eine Unterzuckerung. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass durch die körperliche Aktivität die Muskelzellen den Zucker jetzt noch besser aufnehmen können, der Blutzuckerspiegel also besonders schnell sinkt.

Bei den erörterten komplexen Vorgängen im Stoffwechsel eines Diabetikers versteht es sich von selbst, dass vor der Aufnahme einer sportlichen Aktivität eine eingehende Untersuchung und Beratung durch einen erfahrenen Diabetologen stattfinden muss, der nicht nur die Sporteignung feststellt, sondern auch Tipps zur Steuerung der Insulinmenge vor, während und nach der Belastung gibt. Um eine Unterzuckerung zu vermeiden, muss der Diabetiker bereits im Vorfeld einer körperlichen Belastung den Blutzuckerspiegel messen und weniger Insulin zuführen und/oder zusätzlich Kohlenhydrate essen. Um hier das richtige Maß zu finden, bedarf es viel Erfahrung, einer guten Dokumentation des Blutzuckererhaltens und eines guten Körpergefühls.

Eine Unterzuckerung ist deshalb kritisch, weil das Gehirn dann nicht mehr ausreichend mit Energie versorgt wird. Bei manchen Menschen geht die Unterzuckerung mit so plötzlichen Symptomen einher, dass sie davon völlig überrascht werden und die Folgen gar tödlich sein können. Tritt trotz einer verminderten Insulingabe eine Unterzuckerung beim Sport auf, gilt: Erst essen, dann messen. Der Diabetiker sollte zunächst ein paar "schnelle Kohlenhydrate" zu sich nehmen, also solche, die besonders schnell im Blut bereitgestellt werden, wie beispielsweise Traubenzucker oder süße Limonade/Cola. Dann sollte der Blutzucker gemessen werden und noch "langsame Kohlenhydrate" wie beispielsweise eine Banane nachgelegt werden. Nach weiteren 15 und 30 Minuten sollte der Blutzuckerspiegel für einige Zeit stetig kontrolliert werden. Wichtig ist, dass der Diabetiker selbst zum Sport Traubenzucker und süße Getränke mitführt. Dieses empfiehlt sich aber auch für den Übungsleiter, wenn er weiß, dass Diabetiker zur Gruppe gehören.

Um eine Unterzuckerung zu vermeiden, ist es wichtig, den sogenannten Muskelauffülleffekt zu beachten: Nach der Belastung werden aus dem Blut die leeren Speicher der Muskel- und Leberzellen wieder aufgefüllt. Da dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nehmen kann, ist es möglich, dass es auch Stunden nach dem Sport, in der Nacht oder am nächsten Tag zu einer Unterzuckerung kommt. So kann es notwendig sein, dass nach dem Sport das Insulin noch reduziert werden muss. Außerdem wird empfohlen, dass in einem solchen Fall der Blutzuckerwert vor dem Zu-Bett-Gehen etwas höher als üblich eingestellt wird, um nicht von einer nächtlichen Unterzuckerung überrascht zu werden.

Die beschriebenen Effekte sollten jedoch nicht missverstanden werden, dass mit Sport extrem hohe Blutzuckerwerte einfach "weggerannt" werden können. Im Gegenteil: Wird ein Training mit einem zu hohen Blutzuckerwert aufgenommen bzw. im Vorfeld zu wenig Insulin gespritzt, droht eine Übersäuerung des Blutes (Ketoazidose), da trotz der erhöhten Insulinempfindlichkeit nicht ausreichend viel Zucker in die Muskelzellen eingeschleust werden kann, da zu wenig Insulin vorhanden ist. Ein Energiemangel tritt ein! Da die Leber in hohen Mengen Glykogen abbaut und Glucose freisetzt, ist zwar viel Zucker im Blut vorhanden, kann jedoch nicht genutzt werden und der Blutzuckerwert steigt. Durch den Insulinmangel fehlt in den Fettzellen Glucose und es wird Fett abgebaut. Die in diesem Prozess vermehrt entstandenen Ketosäuren werden als Aceton im Urin ausgeschieden und sind dort nachweisbar. Da diese schwerwiegende Stoffwechselentgleisung tödliche Folgen haben kann, ist bei sehr hohen Blutzuckerwerten vor dem Sport ein Acetontest angeraten. Ist das Ergebnis positiv, gilt absolutes Sportverbot! Das fehelnde Insulin muss ersetzt und erst beim Rückgang des Blutzuckerwertes kann mit dem Training begonnen werden. Bei hohen Zuckerwerten nach dem Sport ist an diese Stoffwechsellage zu denken und ein Acetontest durchzuführen.

-PageBreak-

Sport in der Rehabilitation

Wer bereits an Typ-2-Diabetes erkrankt ist, profitiert enorm von regelmäßigem Ausdauersport, denn dieser führt dazu, dass sich die Empfindlichkeit der Muskelzellen verbessert. Das heißt, dass das vorhandene Insulin wieder besser wirkt und der Zucker aus dem Blut eher verwertet werden kann. Regelmäßiger Ausdauersport kann dazu führen, dass ein Diabetes im Anfangstadium zurückgeht oder aber bei einem manifesten Diabetes die Menge an Insulin, das zugeführt werden muss, reduziert werden kann.

Sport(art)spezifische Empfehlungen und Besonderheiten

Für Diabetiker empfiehlt sich moderates Ausdauertraining durch Wandern, (Nordic) Walking, Radfahren, Laufen oder Skilanglauf, denn bei diesen Betätigungen ist die Belastung gut planbar und relativ einfach zu dosieren, da Intensitätssteigerungen nicht überraschend auftreten, bzw. sich nach einiger Erfahrung mit dem eigenen Blutzucker verhalten gut in das Training einbauen lassen. Neben den beschriebenen Effekten auf die Insulinsensibilität der Zellen haben die positiven Einflüsse, die moderater Ausdauersport für das gesamte Herz-Kreislaufsystem bewirkt, gerade auch für Diabetiker eine besondere Bedeutung, da nicht selten durch die Erkrankung das Herz-Kreislaufsystem bereits in Mitleidenschaft gezogen ist. Auch der vermehrte Fettabbau beim Ausdauersport wirkt sich günstig auf das häufig mit dem Diabetes einhergehende Übergewicht aus - dazu mehr in unserem Beitrag im November/Dezember 2012. In den Sportvereinen gibt es spezielle Kurse für Diabetiker, die gerade Sportanfängern zu empfehlen sind. Übungsleiter, die Interesse an der Durchführung solcher haben, können beim Deutschen Behindertensportverband (www.dbs-npc.de), beim Deutschen Turner-Bund (www.dtb-online.de) oder einigen Landessportbünden an einer speziellen Übungsleiterfortbildung zum Sport bei Diabetes teilnehmen.

Schwimmen

Schwimmen als klassischer Ausdauersport ist für Diabetespatienten sehr geeignet, da die Belastung sehr gut planbar und auch konstant zu gestalten ist. Es sind lediglich einige Besonderheiten zu beachten. So ist bei hohen Wassertemperaturen wie im warmen Meer, an Warmbadetagen oder in Thermalbädern weniger Insulin vonnöten, da durch die warme Umgebung die Haut besser durchblutet wird und das Insulin so schneller wirkt. In besonders kaltem Wasser steigt der Energiebedarf - dies ist ebenfalls ein Grund, die Insulinmenge zu reduzieren. Gerade Schwimmanfänger sollten aufgrund dieser Einflussfaktoren bei Aufnahme des Trainings häufig den Blutzucker messen, da zudem eine Unterzuckerung im Wasser nicht so leicht bemerkt wird wie an Land. Wer mit Diabetes tauchen möchte: Auch das ist kein Problem, sofern die üblichen Regeln (nie alleine tauchen, Kenntnis der Tauchzeichen) beachtet werden. Es gibt Flüssigzucker, die unbedingt gegen drohende Unterzuckerung mitgeführt werden sollten.

Wettkampfsport

Im Wettkampf, bei Überanstrenung oder wenn der Sport mit viel Aufregung verbunden ist, schüttet der Körper Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin oder Cortiso aus. Diese können dafür verantwortlich sein, dass der Blutzucker - trotz körperlicher Bewegung - steigt, denn sie fördern den Abbau von Glykogen in der Leber und steigern ebenso deren Glukoseproduktion. Dies führt zu einem Anstieg des Blutzuckers und muss beachtet werden.

Sport in der Prävention

Für eine Diabeteserkrankung ist einerseits der Lebensstil verantwortlich, es gibt aber auch eine genetische Veranlagung. Bewegung schützt auch präventiv vor Diabetes, wie Studien belegen: Regelmäßiger Sport kann das Risiko einer Diabetes-Erkrankung um bis zu 30 Prozent senken. Dafür ist die Tatsache verantwortlich, dass durch Bewegung die Wirkung von Insulin gesteigert wird. Auch die Tatsache, dass regelmäßige Bewegung Übergewicht vermeiden hilft, ist Bestandteil der Diabetesprävention. Deshalb sollten gerade Menschen, in deren Familie Diabetes gehäuft vorkommt, schon präventiv auf gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung achten. Dies bedeutet, sich möglichst 30 Minuten am Tag zu bewegen und dies mindestens 5-mal pro Woche.

Zum Weiterlesen
www.diabetes-programm-deutschland.de
www.idaa.de
www.sport-mit-diabetes.de

Dieser Artikel erscheint auch in der Zeitschrift SportPraxis 7+8/2012 www.sportpraxis.com


  • Dieses Gerät misst den Insulinwert vor und nach sportlicher Betätigung. Foto: Andrea Bowinkelmann / LSB NRW
    Dieses Gerät misst den Insulinwert vor und nach sportlicher Betätigung. Foto: Andrea Bowinkelmann / LSB NRW