Trainerin mit Leib und Seele

In Vancouver ist Gunda Niemann-Stirnemann ZDF-Expertin, ansonsten gibt sie die Leidenschaft am Eisschnelllaufen weiter.

Gunda Niemann-Stirnemann nimmt sich für den interessierten Nachwuchs gerne Zeit. Copyright: picture-alliance
Gunda Niemann-Stirnemann nimmt sich für den interessierten Nachwuchs gerne Zeit. Copyright: picture-alliance

Auf eine ganze Liste mit Namen sehr erfolgreicher Sportler vergangener Tage wird stoßen, wer das „Team hinter der deutschen Mannschaft“ bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver unter die Lupe nimmt. In fast jeder Sportart gehören frühere Olympioniken und Medaillengewinner zum Betreuerstab: Mark Kirchner bei den Biathleten, Wolfgang Hoppe und Carsten Embach bei den Bobfahrern, Rene Lohse bei den Eiskunstläufern, Michael Künzel im Eisschnelllaufen, Norbert Hahn bei den Rennrodlern, Uwe Bellmann bei den Skilangläufern oder Jens Müller bei den Skeletonis. Auch Gunda Niemann-Stirnemann, die Jahrhundert-Eisschnellläuferin, hat einen beruflichen Weg ganz im Sinne der „Traineroffensive“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) eingeschlagen – wenngleich die Erfurterin in Vancouver als TV-Expertin im Einsatz ist. Ihre Nachwuchsathleten zu Hause sind frühestens für 2014 bei den Winterspielen in Sotschi ein Thema.

Hellblaue Trainingsjacke, schwarze lange Hose, die berühmten „Spargelschlittschuhe“ an den Füßen, das blonde Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden und eine Stoppuhr in der Hand: So steht die weltweit einzige Eisschnelllauf-Trainerin in der Eishalle, die draußen in großen Lettern unübersehbar ihren Namen trägt. Das Einmalige ihres Arbeitsplatzes streift Gunda Niemann-Stirnemann „nur noch manchmal“ in Gedanken. Ein halbes Dutzend 17- bis 19-jähriger Talente sind der 43-Jährigen anvertraut, die im März vorigen Jahres an der Trainer-akademie in Köln ihre Diplomprüfung mit der Note „2“ ablegte. Ihre Teenager üben gerade Starts aus der langsamen Bewegung heraus. „Oberkörper runter, Knie weiter vor“, ruft Gunda Niemann-Stirnemann, und man merkt ihr sofort den guten Draht zu dieser Altersklasse an. Als Volleyballerin zu klein, als Leichtathletin ebenfalls ausgemustert, war sie einst als 17-Jährige zum Eisschnelllaufen gekommen. „Deswegen kann ich mich in diese Altersgruppe besonders gut hineinversetzen. Ich weiß, wie man in dieser Phase tickt“, sagt die Frau, die nach der deutschen Einheit zum gesamtdeutschen Sportstar wurde und zwischen 1992 und 1998 insgesamt acht olympische Medaillen gewann, darunter drei goldene.

Freude beim Verband

Schon lange bevor sie das Ende ihrer grandiosen sportlichen Laufbahn im Oktober 2005  bekannt gab, wusste sie, dass sie anschließend den Trainerberuf ergreifen würde. Die Verantwortlichen bei der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) waren froh, als sie ihren Entschluss an den Verband herantrug. Was käme dem unweigerlich bevorstehenden Generationswechsel bei den „Olympiasieger- und Weltmeister-Machern“ gelegener, als dass eine solche Athletin ihre Erfahrungen weitergibt und selbst die Stoppuhr in die Hand nimmt? Dazu beigetragen hat nicht zuletzt der enge Kontakt zur Riege ihrer eigenen Trainer. Von ihrer Entdeckerin Andrea Höse über Gabi Fuß und Stephan Gneupel bis zu Klaus Ebert „alle äußerst erfolgreich“, haben sie so ganz nebenher den Berufswunsch in der prominenten Sportlerin wachsen lassen. Es habe für sie das Angebot gegeben, in einem Thüringer Wintersportort ein Hotel zu übernehmen. Die Tür zu einer Karriere beim Fernsehen stand weit offen. Sogar in die TV-Unterhaltung habe sie einsteigen sollen. „Doch Trainerin, das passt am besten zu mir. Da fühle ich mich am besten aufgehoben, und da kann ich mich optimal einbringen“, sagt die heimatverbundene Frau, die es mit Ehemann Oliver bei einigen Gastspielen als ZDF-Eisschnelllauf-Expertin bewenden lässt.

Schon bevor sie ihr Fernstudium in Köln begann, hatte sie bei Nachwuchs-Bundestrainer Peter Wild in Erfurt assistiert. Nun gehört sie, über den Olympiastützpunkt, den Landessportbund Thüringen und die DESG „mischfinanziert“, zum Team der fest Angestellten und „will die Freude und die Leidenschaft am Eisschnelllaufen weitergeben“. Ehrgeizig wie als aktive Kufenflitzerin möchte sie im neuen Metier von ihren Schützlingen natürlich respektiert werden wie früher von der Konkurrenz. Zugleich aber möchte sie „keine Autorität von oben herab ausstrahlen“, sondern als Psychologin, Beraterin und „Mädchen für alles“ ihren Teenagern als Freundin und Vertrauensperson gegenübertreten. „Sie sollen wissen, dass mit all ihren Fragen und Sorgen zu mir kommen können.“

Energische Forderungen

Telefonate mit den Eltern und intensive Gespräche mit den Lehrern an der nahe gelegenen Eliteschule des Sports, die sie einst selbst besuchte, gehören für sie nunmehr zum Alltag wie das akribische Protokoll jeder Trainingseinheit. Energisch weist sie gleich zu Beginn ihrer zweiten Karriere darauf hin, dass die jungen Sportler im Alltag der Spezialschule ausreichend Zeit für das notwendige Training brauchen. „Mit zwei Stunden pro Tag schafft es niemand in die Weltklasse“, sagt Gunda Niemann-Stirnemann.

Mit dem 18-jährigen Franz Weickert ist ihr das schon gelungen. Nach einem Testwettkampf wurde er kürzlich in die Trainingsgruppe von Peter Wild delegiert. „Das ist ja meine Aufgabe. Das ist etwas ganz Normales, wenn ich gut gearbeitet habe“, sagt Gunda Niemann-Stirnemann, die im Trainerberuf aufzugehen scheint. Um der Stadt etwas näher zu sein, zog sie mit Ehemann Oliver und dem siebenjährigen Töchterchen Victoria aus der ländlichen Idylle nahe Erfurt wieder zurück mitten in die Stadt. Statt ständig die Koffer zu packen, gestaltet sich der Alltag nun eher geregelt. Oliver, der Schweizer, jahrelang als ihr Manager bekannt, arbeitet in seiner physio-therapeutischen Praxis, während seine Frau die kommenden Medaillengewinner zu formen versucht. Dank der neuen Bedingungen konnte Gunda Niemann-Stirnemann 2009 sogar in die Tat umsetzen, was ihr schon länger vorschwebte: Ein großes Familiensportfest auf dem Erfurter Domplatz, um Knirpse und deren Eltern an ganz verschiedene Disziplinen und vor allem an den Spaß am Sport heranzuführen. „Das soll es jetzt jedes Jahr geben“, sagt die Initiatorin.

So gerne sie Nachwuchstrainerin sei, so gerne würde sie künftig „mehr Verantwortung übernehmen“, zum Beispiel im Frauenbereich. Noch ist dies Zukunftsmusik. „Pap, pap, pap, explosiver, aggressiver sein“, ruft die Trainerin den Läufern Johannes Kahlich und Gregor Grothe zu. In diesem Moment wirkt sie sehr ernst. Für einen Augenblick blitzt in ihrem Gesicht dieses willensstarke, eiserne Element auf, ohne das sie unmöglich zur „Eisschnellläuferin des Jahrhunderts“ geworden wäre.


  • Gunda Niemann-Stirnemann nimmt sich für den interessierten Nachwuchs gerne Zeit. Copyright: picture-alliance
    Gunda Niemann-Stirnemann nimmt sich für den interessierten Nachwuchs gerne Zeit. Copyright: picture-alliance