Verein als Heimat

Hans-Jürgen Schulke wirft im Zusammenhang mit dem viel diskutierten Begriff Heimat in seinem aktuellen Kommentar einen Blick auf den Alltag und die praktizierten Werte des Vereinssports.

Sportvereine schaffen Integrationsmöglichkeiten und sind deshalb für viele Flüchtlinge ein Heimatort geworden. Foto: LSBNRW
Sportvereine schaffen Integrationsmöglichkeiten und sind deshalb für viele Flüchtlinge ein Heimatort geworden. Foto: LSBNRW

Als die große Koalition im Februar dieses Jahres den Zuschnitt der Bundesministerien veröffentlichte, gab es zum Bundesministerium des Inneren durchaus Erstaunen, gelegentlich ironische Kommentare. Das Ministerium wurde auch Heimatministerium, die Bezeichnung Sport hingegen – anders als in manchen Bundesländern – fehlte. Orientierte man sich am US-amerikanischen Modell, das ein Heimatschutzministerium u.a. zur Abwehr von Flüchtlingen betreibt? Das war nicht abwegig, denn der öffentlich wahrnehmbare Schwerpunkt des neuen Innenministers lag offensichtlich auf der Flüchtlingsfrage, genauer der geordneten Zulassung einiger weniger der weltweit 70 Millionen Heimatlosen nach Deutschland.

Dass Heimat und Sport eng zusammenhängen, hat beim traditionellen parlamentarischen Empfang des DOSB dessen Präsident Alfons Hörmann in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt. Er betonte nachdrücklich wie pointiert die beiden Beine, auf denen der organisierte Sport seit 200 Jahren so überaus erfolgreich wächst: Die aus der Jahnschen Turnbewegung erwachsenen lokalen Vereine mit ihren volkstümlichen Angeboten für Jeden und Alle und die nach sportlichen Höchstleistungen strebenden Sportarten mit ihrer komplexen weltweiten Wettkampforganisation. Sie haben sich 1950 in Hannover zur Einheitssportbewegung im DSB gefunden. Auch heute gehören die Initiativen zur Spitzensportreform und die Anerkennung der Vereinssportbewegung als immaterielles Weltkulturerbe auf die beiden Seiten der vom DOSB geprägten Medaille.

Damit hat der Sportpräsident auch die Vorlage für eine andere Diskussion, nämlich zur Heimat- und Flüchtlingsfrage gegeben. Er betonte, dass es gerade die Vereine mit ihrer Offenheit und egalitären Selbstorganisation sind, die entwurzelten und globalisierten Menschen einen Ort zur Verheimatung geben können – bei vielen lebenslang (das gilt selbstverständlich auch für Musik-, Theater-, Bildungs- oder eben Heimatvereine). Laut einer Umfrage sind rund 30.000 von den mehr als 90.000 Sportvereinen in Deutschland, die aktiv Menschen aus anderen Ländern integrieren. Sie können das, weil Sport und Spiel eine Sprache sprechen und im Verein jeder mit einer Stimme zu seinem Recht kommt.

„Wo man verstehen und verstanden werden will, muss man sich begegnen und austauschen“, sagte Alfongs Hörmann. „Unsere Vereine geben mehr als 27,4 Millionen Mitgliedschaften in unserem Land eine Heimat, ein Zuhause. Im Verein werden wir gemeinsam groß, werden gemeinsam älter, entwickeln gemeinsame Ziele. Gerade im Verein vermitteln wir die Werte, von denen Deutschland in einem Höchstmaß profitiert.“

Zahl und Zuwendung ist beeindruckend, die gelebte Willkommenskultur nicht neu. Es gibt sie seit 150 Jahren. Damals sind Millionen hungernde Menschen aus Osteuropa ins Ruhrgebiet gezogen, haben über Kirchengemeinden und Vereine Halt gefunden – Borussia Dortmund und Schalke 04 können das belegen. Nach dem ersten Weltkrieg musste ein verkleinertes Deutschland Heimatsuchende aufnehmen, 25 Jahre später waren es 7 Millionen Vertriebene. Italiener, Spanier und Türken folgten, in den 90er Jahren Russlanddeutsche, Verfolgte aus Balkanländern und nahem Osten. Immer waren es Vereine, die sie angenommen haben, sofern diese Gruppen nicht selbst welche gründeten und bei Fußball oder Kampfsportarten in Ligen und Turnieren Mitspieler fanden.  

Nicht zu vergessen politische und wirtschaftliche Flüchtlinge deutscher Herkunft, die insbesondere im 19. Jahrhundert auswanderten. Viele gründeten in den USA oder in Südamerika deutsche Turnvereine, die dort noch heute bestehen und belebender Teil der dortigen Staaten sind. Für sie alle war der Verein als Heimat nicht Abgrenzung und Ausschluss gegenüber Fremden, sondern Anfang für ein Aufeinander-zu-gehen, für Hilfestellung – zentraler Begriff der frühen Turnbewegung. Und Start für den Eintritt in die Welt des globalen, toleranten Wettkampfsports, der letztlich den friedlichen Wettstreit von Menschen und Nationen organisiert. Die aktuelle WM der Fußballer in Russland liefert trotz mancher Verwerfungen dafür durchaus Bilder und Vorbilder.

Die kontroversen Diskussionen in der sicheren EU drehen sich vorrangig um den zahlenmäßigen Zugang von Flüchtlingen. Im wohlhabenden Deutschland wird mitunter eine Regierungs- oder gar Staatskrise beredet (manche rechnen das Abschneiden der DFB-Elf dazu). Die Bundeszentrale für politische Bildung hat verlässliche Zahlen vorgelegt. Derzeit liegen beispielsweise die Asylanträge bei etwa 15.000 pro Monat, weniger als 1979, 1989ff und 2012ff. Oder 0,05 Prozent der derzeitigen Bevölkerung in Deutschland. Dem Abendland droht nicht der Untergang, nur Flüchtlingsbooten im Mittelmeer.

Für die Lösung der insgesamt überschaubaren Probleme wäre ein Blick auf den Alltag und die
praktizierten Werte des Vereinssports hilfreich. Hier Integrationsmöglichkeiten zu erhalten, dürfte hilfreicher und humaner sein als isolierte Zonen und hohe Zäune. Insofern macht es vielleicht doch Sinn, in einem Ministerium Inneres, Heimat und Sport zusammenzufassen.

(Autor: Prof. Dr. Hans-Jürgen Schulke)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Sportvereine schaffen Integrationsmöglichkeiten und sind deshalb für viele Flüchtlinge ein Heimatort geworden. Foto: LSBNRW
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