Vesper: Ich bin alles andere als deprimiert

Chef de Mission Michael Vesper zieht im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) eine erste Bilanz der Olympischen Winterspiele von Sotschi.

Michael Vesper (r.) und DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei der Bilanz-Pressekonferenz am Samstag. Foto: picture-alliance
Michael Vesper (r.) und DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei der Bilanz-Pressekonferenz am Samstag. Foto: picture-alliance

Herr Vesper, haben Sie sich von Evi Sachenbacher-Stehle wie von einer Dopingsünderin verabschiedet oder wie von einem Menschen, der einen Fehler begangen hat?

MICHAEL VESPER: Ich habe mich von ihr verabschiedet wie von einer Athletin, denn sie war Teil unserer Mannschaft. Sie hat auch Anspruch auf ein faires Verfahren. Das wird jetzt von der Internationalen Biathlon-Union durchgeführt. Ich verstehe halt nicht, dass und wie sie mit diesem Thema Nahrungsergänzungsmittel als erfahrene Athletin umgegangen ist.

Denken Sie, dass sie mit einer Strafe von weniger als zwei Jahren davonkommen könnte?

Es gibt ja die Möglichkeit, je nach Schwere des Dopingvergehens die Strafe zu reduzieren oder zu erhöhen. Sogenannte spezifische Stimulanzien, die nicht im Training, aber im Wettkampf verboten sind, sind sicher nicht der Gruppe der ganz harten Dopingmittel zuzurechnen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, das zu bewerten, das müssen die zuständigen Kommissionen tun, die dann ein Urteil zu sprechen haben.

Es laufen bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Wie sind diese zustande gekommen?

Ich denke, dass die Staatsanwaltschaft jetzt das Umfeld untersucht, um zu klären, wie dieses Dopingmittel in die Hände der Athletin gelangt ist und ob dabei strafbare Handlungen gegen das Arzneimittelgesetz durchgeführt wurden. Wir werden jetzt mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung treten und mit ihr die weiteren Schritte besprechen.

War der Dopingfall Sachenbacher-Stehle der Tropfen, der Ihnen in der zweiten Woche noch gefehlt hatte, um schlechte Laune zu bekommen?

Ich bin alles andere als deprimiert. In den ersten eineinhalb Wochen haben wir eine hervorragende Leistung vorgelegt. Unsere Sportler haben tolle Erfolge erzielt, wir haben tagelang die Nationenwertung souverän angeführt. Meine ausländischen Kollegen haben mir dazu immer wieder gratuliert. Dann kam der sportliche Einbruch seit vergangenen Mittwoch, der uns dann hat abrutschen lassen. Und deswegen haben wir am Ende unser Ziel nicht erreicht. Aber es ist auch nicht alles Schatten, es ist nur zu wenig Licht da.

Es hat heftige Kritik seitens der Sportausschuss-Vorsitzenden Dagmar Freitag gegeben, die angesichts des Abschneidens ein Umdenken im deutschen Sport gefordert hat und eine stärkere Förderung ablehnt. Was entgegnen Sie ihr?

Ich finde das ein bisschen seltsam, dass sie jetzt, ohne hiergewesen zu sein, ohne Kontakt zur Mannschaft zu haben oder zu suchen, einen solchen Rundumschlag macht. Sie ist ja selber als Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes Teil des Sportsystems. Der DLV weist auch selbst immer wieder darauf hin, dass die Fördergelder nicht ausreichen. Da finde ich es schon bemerkenswert, wenn sie in ihrer Doppelfunktion mal so und mal so redet. Aber das ist auch eine Frage des Stils. Dem will ich mich nicht anschließen. Ich diskutiere gerne mit ihr direkt und nicht über die Medien.

Wo liegen denn die Gründe für das schlechte Abschneiden in Sotschi?

Es ist eben Sport. Der Sport ist keine Mathematik. Wenn es Mathematik wäre, könnte man alles genau berechnen und vorhersehen. Das geht im Sport nicht, das macht aber auch den Reiz des Sports aus. Wir haben viele vierte Plätze erzielt, die nur einen Wimpernschlag von einem Medaillenrang entfernt waren. Es war also auch ein Stück Pech. Wir hatten auch Krankheitsfälle unter unseren Leistungsträgern. Wir haben auch sehr starke Mitbewerber gehabt. Es waren Wettkämpfe auf sehr, sehr hohem Niveau.

Gibt es strukturelle Probleme im deutschen Sport?

Natürlich sehe ich auch strukturelle Probleme. Aber es ist zu früh, das jetzt noch vor der Schlussfeier definieren und solche Konsequenzen konkret bezeichnen zu wollen. Wir müssen mit unseren Verbänden reden. Es gibt ja vier Verbände, aus denen, Stand heute, noch keine Medaillen gekommen sind. Und wenn man da an solche Traditionssportarten wie den Eisschnelllauf denkt, muss man diese Probleme aufarbeiten. Da muss man mit ihnen darüber reden, was sich zu ändern hat auf dem Weg zu den Spielen 2018.

Was muss bis Pyeongchang passieren?

Wir werden das sehr genau diskutieren und auch ausarbeiten und aufarbeiten in Verbindung mit unseren Instituten. Und dann werden wir das mit unseren Bundestrainern diskutieren und dann entsprechende Konsequenzen ziehen. Aber geben sie uns dafür etwas mehr Zeit als bis zur Schlussfeier 2014.

Wie unangenehm wäre es Ihnen, wenn uns die Niederlande alleine mit ihren Erfolgen im Eisschnelllauf im Medaillenspiegel abhängen würden?

Ich bin ein großer Fan der Niederlande, von daher ist das jetzt kein kulturelles oder anders geartetes Problem. Mir ist die Breite des sportlichen Wettbewerbs und Auftritts wichtig. Sich nur auf eine Sportart zu konzentrieren, und da dann alle Medaillen abzuräumen, ist nicht unser Weg. Wir möchten breit aufgestellt und in möglichst vielen Sportarten erfolgreich sein, weil das auch unserer Sportkultur in Deutschland entspricht. Und weil sich unser großes gesellschaftliches Ziel, nämlich die Menschen in Bewegung zu bringen und Vorbilder für die Jugend und Kinder zu produzieren, so viel besser erreichen lässt, als wenn man sich nur auf einen Sport konzentriert.

Muss man sich denn nicht angesichts der Spezialisierungen der in Sotschi führenden Nationen vom Ziel Podium im Medaillenspiegel verabschieden?

Höre nie auf, ehrgeizig zu sein. Das ist unser Prinzip. Wir wollen natürlich als große Wirtschaftsnation, als eine der wichtigsten Industrienationen der Welt auch im Sport möglichst weit vorne stehen. Das ist unser Ziel, und zwar nicht aus Selbstzweck, sondern weil es einerseits der Repräsentanz unseres Landes dient, andererseits Menschen in Bewegung bringt. Sie glauben ja nicht, welch große Vorbildfunktion auf Kinder und Jugendliche gerade der olympische Sport hat. Und deswegen sage ich nochmal: Höre nie auf, ehrgeizig zu sein.

Muss dann der deutsche Sport nicht bei der Regierung um Entwicklungshilfe bitten?

Wir sind ja im Gespräch mit der Bundesregierung, weil wir glauben, dass die Förderung noch mehr bewirken sollte, als es bisher der Fall ist. Das ist auch eine Frage des Geldes. Aber über Geld zu sprechen, ist in diesen Zeiten der haushalts- und finanzpolitischen Konsolidierung schwierig. Aber wir finden in Bundesinnenminister Thomas de Maizière einen dem Sport sehr zugeneigten und den Anliegen des Sports auch sehr verständnisvoll gegenüberstehenden Sportminister. Und diese Gespräche werden wir intern weiterführen.

(Quelle: Sport-Informations-Dienst)


  • Michael Vesper (r.) und DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei der Bilanz-Pressekonferenz am Samstag. Foto: picture-alliance
    Michael Vesper (r.) und DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei der Bilanz-Pressekonferenz am Samstag. Foto: picture-alliance