„Ich habe sofort das Besondere des Sports gespürt.“

Eine Ära geht zu Ende. Im DOSB-Interview spricht Heike Kübler, die langjährige Leiterin des Bundesprogramms „Integration durch Sport“, über prägende Momente, das außergewöhnliche Potenzial des Sport und die Zukunft des IdS-Programms.

Eine Ära geht zu Ende. IdS-Programmleiterin Heike Kübler (links) verlässt den DOSB nach 28 Jahren. Foto: DOSB/ Annette Riedl.
Eine Ära geht zu Ende. IdS-Programmleiterin Heike Kübler (links) verlässt den DOSB nach 28 Jahren. Foto: DOSB/ Annette Riedl.

Du schaust auf eine lange, erfolgreiche Laufbahn im Bundesprogramm zurück. „Integration durch Sport“ (IdS) wird dieses Jahr 35 Jahre alt, du selbst prägst IdS seit 1996. Wenn du auf diese Zeit blickst, was war für dich die gravierendste Veränderung?

Das lässt sich natürlich schwer auf einen Nenner bringen. Es sind mehrere Veränderungen und Ereignisse, die fürs Programm und für mich eine große Rolle gespielt haben. Zum einen der formale und inhaltliche Wandel, den IdS in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen hat. Etwa der Namenswechsel um die Jahrtausendwende, von „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ in „Integration durch Sport“. Das hat nicht nur den Blick über eine Gruppe von Zuwanderern hinaus geweitet, sondern auch einen grundsätzlich anderen Ton gesetzt gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte. Und es hat den Umgang mit ihnen neu geformt, deutlich gemacht, dass Zuwanderung ein kontinuierlicher und kein Ausnahmeprozess ist, dass Deutschland als Einwanderungsland verstanden werden muss. Damit einhergehend sind die Inhalte des Programms überarbeitet worden, ein wichtiges Stichwort dazu ist unter anderem die Schulung der „interkulturellen Kompetenzen“ der Bundesprogrammmitarbeiter*innen, was einen Austausch auf Augenhöhe befördert hat.

Und welches prägende Ereignis würdest Du nennen?

Eindeutig die herausfordernde Flüchtlingssituation in den Jahren 2015 und 2016. Sie hat den Fokus auf das Bundesprogramm, auf die Themen Zuwanderung und Integration insgesamt gerichtet. Alles, was wir gemacht haben, war plötzlich öffentlich, die Erwartungshaltung extrem hoch. Im Bundesprogramm ist so viel Erfahrung und Wissen versammelt, dass sich die Politik dankbar dieser Expertise bedient hat. Das hat mich auch ein bisschen stolz gemacht. Ich behaupte: Ohne den organisierten Sport hätte die gesellschaftliche Situation damals andere, noch krisenhaftere Formen angenommen.

Die Entwicklung geht weiter. Seit letztem Jahr ist, ausgehend von einem sogenannten Innovationspanel, ein Reformprozess angestoßen. Es geht um eine neue Vision für das Bundesprogramm. Welche Erwartungen verbindest Du damit?

Aus meiner Sicht zeigt es zunächst die Stärke des Programms, immer wieder auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen zu reagieren und sich selbst infrage zu stellen, sich zu überprüfen. In einer interkulturell geprägten Gesellschaft wie der deutschen, in der Einwander*innen und ihre Nachkommen in der vierten Generation leben und rund ein Viertel der Bevölkerung stellen, muss sich auch das Bundesprogramm fragen: Wen sprechen wir eigentlich an? Und wie? Denn Sprache formt Wirklichkeit, und der Begriff „Integration“ formt ein sehr unscharfes Bild von ihr. Weil er die Frage hinterlässt: Wer ist eigentlich gemeint? Ich bin mir aber sicher, dass meine Kolleg*innen mit externer Unterstützung gute Antworten finden und strategische Anpassungen vornehmen werden. Denn ohne diese eingangs erwähnter Fähigkeiten wäre wohl auch gar nicht vorstellbar gewesen, dass das Programm trotz wechselnder Regierungen und politischer Koalitionen seit 1989 stetig vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert und begleitet worden ist.

Kannst du dich an deinen ersten Tag im DOSB erinnern, ist Dir was besonders im Gedächtnis geblieben?

Wenn es um Einzelheiten geht, muss ich passen. Da spielt mein Gedächtnis nicht mit. Was ich aber sagen kann: Von Beginn meiner Tätigkeit an, wurde ich intensiv von meinem Vorgänger, Oliver Schwarz, inhaltlich und strategisch begleitet. Ich habe sofort das Besondere des Sports gespürt, der Umgang miteinander, das Thema, das ganz verschiedene Menschen so barriere- und urteilsfrei zusammenführt, wie es sonst vielleicht in keinem anderen Bereich der Fall ist. Das hat ein sehr starkes und nachhaltiges Gefühl bei mir hinterlassen. Ich kam aus einem ganz anderen Bereich des Lebens, hatte bis dahin in der Finanzverwaltung gearbeitet. Insofern haben sich mir völlig neue Lebensdimensionen erschlossen.

In fast 30 Jahren kommt eine Menge zusammen, du hast viele Vereine, Organisationen und engagierte Menschen kennen gelernt. Was hat dich besonders beeindruckt, bewegt oder berührt?

Ich kenne diese Frage aus meiner Arbeit, oft schwirren den Menschen dann spektakuläre Fluchtgeschichten wie die von der Schwimmerin Yusra Mardini im Kopf herum. Sie, die gemeinsam mit ihrer Schwester das liegengebliebene Flüchtlingsboot schwimmend nach Griechenland zogen und die dann später als Mitglied des IOC-Refugee-Teams an den Olympischen Spielen in Rio teilnahm. Aber davon mal abgesehen, dass Yusra nie vom Bundesprogramm gefördert wurde, habe ich in meinen knapp 30 Jahren gelernt, dass das Besondere sich eigentlich überall findet. Ich bin so vielen außergewöhnlichen Menschen begegnet, die ich für ihren Mut, die Kraft und die Beharrlichkeit bewundere, es gegen alle Widerstände und trotz aller Gefahren, geschafft zu haben, in ein anderes Land zu gehen und sich dort eine Existenz aufzubauen. Und natürlich so viele Menschen, die sie dabei unterstützt haben, in den Vereinen und in den Verbänden.

Gibt es etwas, das Du im Rückblick als verpasste Chance für IdS und DOSB ansiehst?

Ich würde es so sagen: Sport bietet ohne Zweifel eine der einfachsten Möglichkeiten, sich jenseits der Frage nach Herkunft, Hautfarbe und Glauben und ohne diesen Legitimitätsdruck zu begegnen, auf Augenhöhe, wie es immer so schön heißt. Das Bundesprogramm ist dabei gewissermaßen der ins Konzept gegossene Ausdruck für dieses Potenzial. Ich hätte mir immer gewünscht, dass dieses außergewöhnliche Potenzial, die große Expertise und die zahlreichen Erfahrungen stärker genutzt werden, um sich an den aktuellen Debatten zu beteiligen. Dass man den Sport – und die Erfahrungen aus dem Programm – nutzt, um die Entwicklung voranzutreiben. Dass man sich als gesellschaftlicher Motor versteht, und es nicht nur behauptet. Das habe ich in der Vergangenheit leider vermisst. 

Mit Dir geht eine Instanz im Bundesprogramm, du hast IdS auf- und ausgebaut, für viele ist „Integration durch Sport“ automatisch mit dir verknüpft. Was stellst Du Dir für die Zukunft vor? Welche Möglichkeiten und Herausforderungen siehst Du?

Ich denke, die Herausforderungen sind klar: Wie schaffen wir es, eine tatsächliche Teilhabe aller Menschen in Deutschland zu ermöglichen? Wie gelingt es uns, den grassierenden rechts(extremistischen) Tendenzen wirkungsvoll zu begegnen und den sich ausbreitenden Rassismus zu bekämpfen. Der Sport hat zwar begonnen, sich zu positionieren und Ideen zu entwickeln, wie man verhindern kann, dass die dem Sport innewohnende Gleichheit durch Kräfte von Rechts zerstört wird. Was auch am Kern des Bundesprogramms rühren würde. Aber das wird absehbar eine Herausforderung bleiben. Und es geht darum, den Sport allen Menschen zu erschließen und ich denke, dafür wird er sich kulturell weiter öffnen müssen. Aber mit dem Reformprozess sehe ich IdS auf einem guten Weg.

Möchtest Du dem Bundesprogramm, dem Team im DOSB und den Kolleg*innen in den Bundesländern etwas mit auf den Weg geben?

Nein, das hielte ich für vermessen. Auch wenn ich die Leitung des Bundesprogramms innehatte, ich habe es immer als Teamarbeit verstanden, so haben wir gearbeitet und funktioniert. Ich bin wirklich stolz auf die IdS-Kolleg*innen hier beim DOSB. Sie haben tolle Ideen und die werden und können sie hoffentlich auch umsetzen. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Energie.

Auf was freust Du Dich am meisten, jetzt, wo der Abschied bevorsteht?

Die Arbeit fürs Bundesprogramm war schon eine große Herausforderung, zeitlich und persönlich. Nach 2015 hat das Ganze noch einmal eine Dimension bekommen. Die Förderung ist gestiegen, mehr als 12 Millionen Euro pro Jahr, an denen viele, viele Projekte und Menschen, und mittlerweile auch mehr als 100 Kolleg*innen in den Programmleitungen der Bundesländer hängen. Auch wenn ich formal nicht deren Chefin bin, so habe ich mich doch für sie verantwortlich gefühlt. Zugleich geht es auch darum, gewissenhaft mit den Fördermitteln umzugehen, es handelt sich ja um Steuergelder. Kurzum: Diese Jahre sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen: Jetzt möchte ich mehr unterwegs und mit meinem Mann zusammen sein, die Natur intensiver erleben, Kunst- und Kulturveranstaltungen besuchen. Ohne Verantwortung für andere. Darauf freue ich mich.

Nun sucht der DOSB für das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n Nachfolger*in für die Leitung und den Fachbereich Integration. Noch bis Sonntag, den 31. März 2024 können Bewerbungen eingereicht werden. Zur Stellenbeschreibung.  

„Integration durch Sport“: Ein Programm, das immer in Bewegung ist

Schon seit 1989 ist der organisierte Sport einer der größten aktiven Integrationshelfer in Deutschland. Bundesweit gibt es ca. 1.531 programmnahe Vereine, darunter 890 Stützpunktvereine, die durch das IdS-Programm in der Lage sind, Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete anzubieten. Durch die engagierte Arbeit in den Vereinen entstehen oft lokale Netzwerke, die über das reine Sporttreiben hinausgehen und zahlreiche Menschen aus unserer Gesellschaft zusammenbringt. Die Landessportbünde und -jugenden sind dabei diejenigen, welche die Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern koordinieren und umsetzen.

Weitere Informationen zum Programm finden Sie hier.


  • Eine Ära geht zu Ende. IdS-Programmleiterin Heike Kübler (links) verlässt den DOSB nach 28 Jahren. Foto: DOSB/ Annette Riedl.
    Eine Ära geht zu Ende. IdS-Programmleiterin Heike Kübler (links) verlässt den DOSB nach 28 Jahren. Foto: DOSB/ Annette Riedl.
  • "Ich habe das IdS-Programm immer als Teamarbeit verstanden", sagt Heike Kübler (dritte v.l.) Foto: DOSB/ Annette Riedl.
    "Ich habe das IdS-Programm immer als Teamarbeit verstanden", sagt Heike Kübler (dritte v.l.) Foto: DOSB/ Annette Riedl.