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15. Shell-Studie: Junge Generation stellt sich tapfer den Verhältnissen

Jugendliche zeigen Leistungsbereitschaft, Engagement, Motivation, Ehrgeiz und ein ausgeprägtes Problembewusstsein. Sie finden die Familie gut, interessieren sich wieder mehr für Politik, stehen auf Geselligkeit ob beim Sport, in Kneipe oder Disco.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

07.10.2006

Doch sie fühlen sich mehr und mehr unter Druck. „Unter der Oberfläche einer immer noch erstaunlich konstruktiven Einstellung zur Gesellschaft entstehen Unruhen und Irritationen“, sagte der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, einer der Autoren der 15. Shell-Jugendstudie, die in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie „zeichne das Portrait einer bemerkenswerten jungen Generation, die sich tapfer den Verhältnissen stellt“, so der Bielefelder Professor. Der Optimismus der Jugendlichen sinkt weiter: 53 Prozent sehen die Zukunft der Gesellschaft ziemlich düster. Vor vier Jahren, als der letzte Bericht vorgestellt wurde, waren es 45 Prozent. Persönliche Ängste haben die Jugendlichen etwa um ihren Arbeitsplatz (69 Prozent 2002 noch 55 Prozent), fürchten, ihn zu verlieren. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und steigender Armut machen sich 66 Prozent Sorgen.

 

Deshalb sind sich die Jugendlichen auch sehr bewusst, wie wichtig Bildung ist. Doch in keinem anderen Land hat die soziale Herkunft so einen Einfluss auf die Bildungs- und somit Zukunftschancen. Mädchen und Jungen aus sozial privilegierten Elternhäusern wollen höhere Bildungsabschlüsse und sehen optimistischer in die Zukunft: 57 Prozent der Gymnasiasten sind zuversichtlich, aber nur 38 Prozent der Hauptschüler. „Bildung wird in Deutschland sozial vererbt“, ist ein deprimierender Satz in dieser Studie.

 

Mädchen auf dem Bildungs-Vormarsch 

Dennoch: Bange machen gilt nicht. Vor allem die Mädchen hängen sich beim Thema Bildung richtig rein und sind nun auf der Überholspur vorbeigezogen. Der Erfolg der Mädchen „kommt auf leisen Sohlen. Die Jungen müssen sich warm anziehen“, sagt Hurrelmann. 55 Prozent der Mädchen streben das Abitur an, aber nur 47 Prozent der Jungen. Mädchen und Frauen sind, so Hurrelmann, die neue Leistungselite: Durchsetzungswillig und leistungsstark stellen sie an sich selbst hohe Anforderungen und wollen weder auf einen interessanten Beruf noch ein glückliches Familienleben verzichten. Bisher schlagen sich dieses weibliche Erfolgsstreben und der „doppelte Einsatz“ im beruflichen Alltag allerdings noch nicht nieder.

 

Deutsche Jungen sind im Gegensatz zu den Mädchen unflexibler und sehen sich noch immer in der traditionellen Männerrolle: Der Mann arbeitet, die Frau kümmert sich um den Rest. Was Bundesministerin Ursula von der Leyen zu der Erkenntnis bringt: „Entscheidend ist, dass wir uns nicht genügend um die jungen Männer kümmern.“ Das müsste eigentlich politische Konsequenzen haben.

 

Familien: Glück und Halt 

Halt suchen die jungen Männer und Frauen in der Familie - 72 Prozent sehen sie als sicheren Hafen in einer unsicheren Welt. Familie ist aber für sie nicht nur Halt, sondern auch der Garant, um glücklich zu sein. 39 Prozent der Jugendlichen finden heiraten „klasse“, doch auf Kinder wollen sie sich noch nicht einlassen, weil sie sich nicht vorstellen können, Kinder und Job unter einen Hut zu bringen. Drei Viertel aller Jugendlichen zwischen 18 und 21 leben  noch bei den Eltern und kommen - so der Tenor - gut miteinander aus. Dabei genießen vor allem die Jungen  das „Hotel Mama“. Auch die Großeltern stehen bei den Jugendlichen hoch im Kurs. Nicht nur, weil sie deren Lebensleistung respektieren - den Aufbau des Landes nach dem Krieg -, sondern auch Oma und Opa als fitte Oldies erleben, die mit neuen Techniken gut zurecht kommen, sich fit und gesund durch Sport halten und für Neuerungen offen sind. Allerdings sehen 70 Prozent der Jugendlichen den demographischen Wandel als großes, wenn nicht sogar sehr großes Problem.

 

Dieses Problembewusstsein ist vielleicht auch ein Grund, warum sich wieder mehr Jugendliche um Politik kümmern. Seit Mitte der 80er Jahre hatte das Interesse stets abgenommen und vor vier Jahren mit 34 Prozent den Tiefstand erreicht. Um fünf auf 39 Prozent ist nun ein leichter Aufwärtstrend zu verzeichnen. Je besser die Schulbildung ist, desto interessierter sind Jugendliche an diesem Thema. Das Vertrauen in die Politik ist jedoch gering. 41 Prozent der 2532 befragten Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahren meinen, dass keine Partei die Probleme in Deutschland lösen könne. Auch und vor allem extreme Vereinigungen nicht, wie etwa die NPD. Die Distanz zu den etablierten Parteien schätzt Hurrelmann so groß ein, dass es für die Demokratie langsam riskant werden könnte. So schaffte es die NPD mit einer Mischung aus dem Schüren von Existenzängsten, Ausländerfeindlichkeit und nationaler Volkstümelei, junge Menschen zu „fischen“. Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern machten Jugendliche  teilweise bis zu 20 Prozent ihr Kreuz bei den Rechtsextremen.

 

Immer mehr Gewaltbereitschaft 

Erschreckend in der Studie ist auch die Erkenntnis, dass die Gewaltbereitschaft weiter steigt. 22 Prozent der Befragten waren schon mal in eine Schlägerei verwickelt - in der Schule, auf dem Sportplatz oder in der Disco. Gewalt wird oft als einzige Möglichkeit empfunden, sich mit der eigenen Perspektivlosigkeit auseinanderzusetzen. Junge Männer sind doppelt so oft in Schlägereien involviert wie junge Frauen. „Die Angst, ausgeschlossen zu werden, hat die junge Generation erreicht“, sagt Hurrelmann. Mit den zunehmenden Versagensängsten etwa, die Schule nicht zu schaffen, steigt die Gewaltbereitschaft.

 

Junge Leute wollen Sicherheit, zugleich große Unabhängigkeit und individuelle Verwirklichung. Sei den 90er Jahren erleben konservative Werte eine Renaissance: Fleiß, Ordnung, Disziplin, soziales Engagement. Besonders Mädchen mit gutem Bildungsstandard sind die „engagierten Idealisten“, denen als Extrem die „materialistischen Jungen“ mit niedriger Bildung gegenüberstehen. Dazwischen gibt es die Macher und Macherinnen, die mit Tatkraft und Lebensfreude zupacken. Eigenverantwortung hat für 89 Prozent der Jugendlichen eine große Bedeutung für die Lebensgestaltung, ebenso wie die Familie. Nur Freundschaft wird mit 97 Prozent noch deutlich höher bewertet.

 

Warum nehmen dann die doch die tatkräftigen Jugendlichen alles einfach so hin? Um Protest aufzubauen, so der Sozialwissenschaftler Hurrelmann, brauche man eine stabile Basis. Armut und Unsicherheit machen Menschen unsouverän. Doch die Rebellion kommt. Hurrelmann sagt: „Es ist ein brüchiger Friede, den diese Generation mit der Gesellschaft geschlossen hat.“

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