Zum Inhalt springen

Aufeinander zugehen - das nützt China und den Menschenrechten

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschens Bundestages über Menschenrechte in China.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

09.05.2008

Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz a.D., ist auch Vorsitzende des Komitees für Rechtsangelegenheiten und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Dieser Artikel ist im Olympischen Feuer, Heft 2/2008, erschienen.

Noch nie ist über China und seine Erfolge, aber auch über die Menschenrechte in China und ihre Veränderung und über seinen Umgang mit Tibet und anderen Minderheiten so viel berichtet und gestritten worden wie in diesen Monaten vor den Olympischen Spielen in Peking. Das war zu erwarten und ist an sich zu begrüßen, weil China eben nicht allein wirtschaftliche Großmacht, sondern auch wichtiges Mitglied der Weltgemeinschaft ist, die ohne China keine durch Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte geprägte globale Ordnung aufbauen kann. 

China profitiert von der mit den Olympischen Spielen verbundenen weltweiten Publicity. Allerdings sollten nur seine vielen, Respekt gebietenden Erfolge dargestellt werden. Jetzt treten auch die Konflikte um Tibet und fehlende Menschenrechte in den Vordergrund. Das stört Manche in der Regierung, gehört jedoch zum realistischen Gesamtbild Chinas. 

Auch die Exiltibeter und andere Minderheiten haben, wie ihre Internet-Präsentationen zeigen, die Olympischen Spiele und den olympischen Fackellauf längst in ihre Kampagnen um weltweite Aufmerksamkeit für ihre Anliegen eingeplant - das ist ihr Recht. 

Die Niederschlagung des Aufstands und der Demonstrationen der Tibeter und die Unterbindung jeder unabhängigen Berichterstattung durch China haben jetzt vieles kompliziert. Zusätzlich sehen wir in den letzten Wochen, dass sich die kontroversen Positionen immer mehr verhaken, was den Interessen einiger Akteure entsprechen mag, der Stärkung der Menschenrechte und den berechtigten Anliegen der Tibeter jedoch wenig nützt.  

Hier in Deutschland ist auch über einen Boykott der Olympischen Spiele oder der Eröffnungsfeier oder darüber diskutiert worden, den Sportlern Protestäußerungen zu gestatten. Im Chor der Forderungen dringen meist die besonders schrillen Vorwürfe gegen die Regierung der VR China, gegen das IOC und den DOSB durch, die natürlich Wirtschaft und Politik einbeziehen. Auch das nützt den Menschenrechten nicht. Dafür entrüsten sich jetzt in China immer mehr Menschen mehr oder minder offiziell, weil sie nur hören, „der Westen“ gönne China weder seine Erfolge noch die Spiele. Diese Welle des Nationalstolzes droht, die kritischen Forderungen in China zu übertönen und die nötige Bereitschaft der Machthaber zu Dialog und Diskussion über die Verbesserung der Menschenrechte zu bremsen.  

Was also tun? Wie soll das Olympische Komitee, wie sollen sich die Sportler wegen Tibet verhalten? Was sind die richtigen Forderungen an die chinesische Regierung? Haben die Olympischen Spiele als weltweites offenes Fest der Begegnung und des Sports in Peking überhaupt noch eine Chance? Und was ist mit den Menschenrechten in China?  

Um mit letzterem anzufangen: Ich halte es für wichtig, die Entwicklung der Menschenrechte in China wie in den vergangenen Jahren auch in der nächsten Zeit genau im Auge zu behalten und an der Verbesserung mitzuarbeiten. Das darf mit dem Ende der Olympischen Spiele auch nicht aufhören. Dabei wissen alle Interessierten, dass die Umsetzung der Menschenrechte zunächst einmal Sache der Chinesen selbst sein muss. Man muss jedoch die Regierung auf jeden kritischen Fall ansprechen – und es gibt leider mehr davon als uns lieb sein kann. Dieses Verhalten ist auch keineswegs eine Einmischung in innere Angelegenheiten, denn China hat Menschenrechtspakte ratifiziert; China ist ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und Mitglied im UN-Menschenrechtsrat. Damit ist es dem universalen Prüfungsverfahren unterworfen wie Deutschland auch. Als Großmacht hat es geradezu die Pflicht, Vorbild zu sein, auch wenn das China ebenso wenig gefallen mag, wie anderen großen Staaten auf unserem Planeten.  

Ich halte die Lage in Tibet für eine Tragödie, und es ist zusätzlich ärgerlich, sicherlich zugleich eine wichtige Ursache für die weltweit kritische Berichterstattung, dass China die Möglichkeit zu unabhängiger Information unterbunden hat. Genau das verhindert ja die gemeinsame Grundlage für die Bewertung der Gewalttaten dort, die auch niemand verteidigen wird, der die Tibeter als den kleinen David ansehen, der sich kulturell und religiös gegen den riesigen Goliath China behaupten muss. Gerade wer nicht nur die wirtschaftlichen Erfolge Chinas, sondern auch die Veränderungen beim Aufbau der Zivilgesellschaft und den Weg zu mehr Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit in China mit großem Respekt verfolgt, muss diese falsche Informationsstrategie als gravierenden politischen Fehler ansehen, der umgehend korrigiert werden muss.  

Deutsche Journalisten haben berichtet, dass wohl alle Seiten den Hass und das Gewaltpotenzial vieler junger Tibeter unterschätzt haben, die sich aus dem Gefühl der Diskriminierung, der Unterlegenheit und der Überfremdung aufgestaut haben. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die Strafverfolgung der Gewalttäter nachweisbar rechtsstaatlich erfolgt und dass die friedlich Demonstrierenden mit Respekt und Achtung behandelt werden, auch wenn ihre religiösen oder kulturellen Forderungen den Machthabern nicht gefallen. Die chinesische Führung hat seit Beginn ihrer Öffnungspolitik viel berechtigten Respekt für die Veränderung ihres Landes erfahren. Jetzt könnten die Erfahrungen etwa aus Frankreich bei der Bewältigung der Gewaltaufstände junger Migranten in französischen Vorstädten hilfreich sein: Auch dort war Befriedung erst erfolgreich, als die Ursachen von Hass und Gewalt politisch mit den Betroffenen aufgearbeitet wurden. Deshalb ist der Dialog mit den Verantwortlichen in Tibet und mit dem Dalai Lama als dem heute noch anerkannten religiösen Führer, der weder Gewalt noch die Herauslösung Tibets aus dem Staatsverband Chinas akzeptiert, schlicht eine Frage der Klugheit.  

Ich hoffe, dass die Monate bis zu den Olympischen Spielen nicht durch immer mehr gegenseitige Vorwürfe und dann geradezu zwangsläufig steigende Abgrenzung vertan werden.  

Jetzt ist die Zeit, aufeinander zuzugehen. Dazu sind alle aufgefordert, die sich beteiligen können: Das IOC und die NOKs, ganz ohne Zweifel, die mit ihren chinesischen Partnern, aber auch mit den einflussreichen Sponsoren besprechen müssen, wie die Forderung nach Transparenz und Offenheit und nach Fairness mit Tibet umgesetzt werden können. Wenn das gelingt und die chinesische Regierung davon überzeugt werden kann, umgehend wieder unabhängige Journalisten zuzulassen, auch freie Gespräche mit Sportlern und neugierigen China- Touristen, dann können die Spiele noch das werden, was sie sein sollten: Ein weltweites Fest, bei dem Sportler miteinander wetteifern und viele tausend Menschen neue Kontakte knüpfen und Freundschaften schließen. Das nützt China, das hilft den Menschenrechten.  

Und wenn der eine Sportler oder die andere Sportlerin, die China mit seinen Erfolgen und Problemen kennen, ein Zeichen von Protest von sich geben will, dann gehen davon weder China, noch die Welt, noch die Olympischen Spiele unter. Ich jedenfalls habe die schwarzen Olympiasieger bewundert, die auf dem Siegerpodest gegen die Rassenpolitik der USA protestierten, auch wenn das ein Verstoß gegen den Comment des IOC war. Ich bin sicher, das ging auch vielen anderen Menschen so. Auch in China.

Title

Title