Das kritische Olympiafazit 1936 aus der Feder des Sportsmanns Daume
Willi Daumes schriftliche Hinterlassenschaft ist kaum zu übersehen. Sie erstreckt sich von Reden, Interviews bis zu publizistischen Beiträgen, von den Briefen ganz abgesehen. So nimmt es nicht wunder, daß Unbekanntes auftaucht.

10.06.2009

So wurde jetzt einer der ersten Artikel des damaligen Studenten Willi Daume ausgegraben. Er machte als Mitglied des engeren Basketball-Kaders die Vorbereitungsspiele 1936 mit, kam aber beim ersten Olympiaturnier in Berlin nicht in die Kernmannschaft, nahm also am Turnier nicht aktiv teil. Daume hat aber die olympische Premiere im Basketball intensiv verfolgt, denn er durfte in der „Reichszeitschrift der deutschen Handball- und Basketballspieler“ vermutlich nicht ohne Zustimmung der Sportführung ein ungewöhnlich kritisches Fazit ziehen. Dieses bisher in den Archiven schlummernde Schlüsseldokument der deutschen Basketballgeschichte wird hier erstmals (zumindest in diesem Jahrhundert) vorgestellt.
Willi Daume nahm in seinem Verdikt über das Abschneiden der deutschen Basketballauswahl beim ersten olympischen Turnier 1936 in Berlin unter dem Titel „Das Lehrgeld ist bezahlt“ kein Blatt vor den Mund. Mitten in der NS-Ära schienen die Verantwortlichen dem jungen Studenten, der aus dem Kader der 14 Olympiakandidaten nicht den Sprung unter die zehn eingesetzten Spieler geschafft hat, ein solch offenes Wort erlaubt zu haben. So kritisierte er, dass die Fachzeitschrift nicht über das Turnier berichtet habe; die USA, ein Firmenteam der Filmgesellschaft Universal Pictures, gewann das Regenfinale gegen Kanada. So entfielen auch Informationen über die deutschen Neulinge, die alle drei Spiele verloren. Daume fragte süffisant: „Haben wir denn wirklich so viel zu verschweigen?“
Er aber verschwieg nichts, denn „es war ja von Anfang an etwas Eigenartiges um die deutsche Vertretung“. Gemeint war der sprunghafte Verlauf der Vorbereitung mit einer zeitweiligen Absage der deutschen Teilnahme. Die 14 Kandidaten wurden kurz vor Olympiabeginn nach Hause geschickt. Doch Kommando zurück, denn es trafen „kategorische Telegramme“ ein: „Sofort nach Wünsdorf!“ In der dortigen Heeressportschule war der Kern der Spieler stationiert unter Reichstrainer Hugo Murero (1906-1968), nach dem Krieg als Sportchef des WDR Vater der „Sportschau“. Selbst passable Ergebnisse und sogar „verheißungsvolle Siege“ gegen bereits angereiste Olympiateilnehmer konnten „den gewissenhaften Beobachter und Mannschaftspraktiker (vermutlich Daume selbst) nicht über die Tatsache hinwegtäuschen: Eine Mannschaft, eine wirklich schlagfertige Einheit war diese deutsche Olympia-Auswahl nicht und konnte es auch nicht werden“.
Das war ein vernichtendes Urteil. Daume begründete es: Zwar brauchen sich die „zwei Führer und 14 Spieler“ der Niederlagen nicht zu schämen, obwohl Deutschland gegen die Schweiz und die Tschechoslowakei hätte gewinnen können. Aber das entscheidende Manko lautete: „Mangel an Mannschaftsgeist“. Es fehlte in diesem Mannschaftsspiel – so Daume unerbittlich - „eine Einheit von Führern und Gefolgschaft, die sich vor dem Kampf in der Kabine die Hände reicht: ‚Mit dem Schild oder auf dem Schild’ “. Nun aber wurde Daume aus eigenem Miterleben konkret: „ Aber 14 Leute, die, wenn auf dem Spielfeld stehen, noch nicht wissen, wer denn nun eigentlich spielt – zwei Mannschaftsleiter [Trainer Murero und Mannschaftsführer Hermann Niebuhr] , von denen mindestens einer mit der jeweiligen Aufstellung nicht einverstanden war und ein öffentliches Veto einlegte, - ja, unter solchen Voraussetzungen mußten wir dem deutschen Basketball einen schlechten Dienst erweisen.“ Daume sprach Unerhörtes aus in einem Regime, das auf dem Führerprinzip basierte, das Versagen der Führung durch den Kleinkrieg zweier Diven auf Kosten des Teams und des deutschen Ansehens. Die nur aus Indizien ableitbare Konsequenz war eine Stärkung der Position des Reichstrainers Murero. (Zur gleichen Zeit kostete das vorzeitige olympische Ausscheiden der favorisierten deutschen Fußballer vor den Augen des Führers mit 0:2 gegen Außenseiter Norwegen Reichstrainer Otto Nerz das Amt.)
Heiliger Zorn über die ungenutzte einmalige Chance für das begeisternde Spiel durchzieht Daumes Olympia-Analyse: „Basketball könnte heute in Deutschland ein anderes Ansehen genießen.“ Doch, und Daume berief sich auf den Reichssportführer von Tschammer und Osten, wenn nicht das zuständige Fachamt Handball / Basketball entsprechende Schritte zur Förderung und Verbreitung von Basketball unternehmen würde, könnten die Olympischen Spiele in Berlin das Ende des deutschen Basketballs bedeutet haben. Daume hielt ein energisches Plädoyer für eine offene Zukunft dieses Spiels. (Die von ihm geforderten Schritte wurden bereits 1937 eingeleitet und brachten dem Basketball in Deutschland in den drei Jahren bis zum Ausbruch des von Hitler entfesselten Krieges einen unerwarteten Aufschwung.) Der einstige Turner, Leichtathlet und Handballspieler Daume, der zum Basketball bekehrt worden war, beschrieb unbefangen sozusagen als Prinzip Hoffnung die vielen Werte und Möglichkeiten des Spiels, das „auch dem Deutschen was geben“ kann, als „Frauensport oder als Hallentraining für alle Sportler“.
Der Zeitzeuge Daume resümierte vorsichtig, er habe zwar die gemachten Fehler festgestellt, aber ein Urteil über deren Ursprünge stünde ihm nicht zu. Doch ganz im Sinn der Sportführung stellte er unumwunden als Auftrag an die Verantwortlichen fest: „Ein großer Aufwand ist vertan, aber man könnte ihn auch als Lehrgeld nutzen.“ Aus dem Wort Coubertins, der Sinn Olympischer Spiele sei nicht der Sieg, sondern die Teilnahme, appellierte Daume abschließend: „Möge 1940 auch eine deutsche Basketballmannschaft zeigen, was in Weiterführung dieses Gedanken der Sinn eben dieser Teilnahme ist!“
Doch Tokio 1940 fiel dem Einfall Japans in China zum Opfer. Und es ist eine List der Geschichte, dass erst 36 Jahre später in München wieder eine deutsche Olympiateilmannschaft im Basketball antrat just unter Willi Daumes organisatorischer Regie. Sie belegte immerhin den zwölften Platz. Das teure Lehrgeld von Berlin indes war längst vergessen.