Der Berg bewegt sich
Langsam nach unten oder mutig voraus, nach oben. Es gab nur diese Alternativen am Frankfurter Berg. Teil 10 der Projektporträt-Serie stellt die TSG von 1957 vor.

22.10.2014

Die dortige Turn- und Sportgemeinde von 1957 hatte einen neuen Vorstand gewählt, er musste entscheiden: Weitermachen wie gehabt, auf die Gefahr hin, der 190 Erwachsene und 80 Jugendliche zählenden Mitgliederschaft beim Altern und Schrumpfen zusehen zu müssen. Oder was anderes versuchen, etwas, das dem Umfeld im Norden der Mainmetropole entspräche. Ein Umfeld, das, von einer Hochhaussiedlung bestimmt, im Ruf eines „sozialen Brennpunkts“ steht.
Entscheiden also. Für Daniel Meisinger war das Formsache. Der neue Vorsitzende, „am Bersch“ und im Verein groß geworden, war mit konkreter Vorstellung zur Wahl angetreten: „Ich hatte mir in den zwei Jahren zuvor als zweiter Vorsitzender überlegt, wie das funktionieren könnte“, sagt er. „Für mich war klar, dass ein Aufbau von unten nach oben stattfinden musste und dass er angesichts der Struktur hier nur über Integration laufen konnte“ – mehr als die Hälfte der Menschen im Stadtteil hat Migrationshintergrund.
Warum von unten nach oben? Die TSG war viel weniger bunt als ihr Umfeld und auch viel weniger jung. Vier Jugendteams im Fußball, das Kinderturnen „brachliegend“ (Meisinger) die einst stolze Handballabteilung aufgelöst, das war der Status. Meisinger und sein Team legten los: Suchten den Kontakt zu Kindertagesstätten, Schulen, Jugendhäusern, erfuhren vom Mangel an sportlichem Angebot, beantragten erfolgreich Fördergelder beim Programm „Integration durch Sport“ in Hessen sowie der Stadt Frankfurt, begannen noch 2009 „Bewegung in den Kindergarten“ zu bringen, so der Name des ersten Reformprojekts. Er steht für kostenlosen Sportunterricht der TSG-Übungsleiter in den Partnereinrichtungen, anfangs in vier, später in sieben. 2013 kamen 600 Stunden Angebot für die Knirpse zusammen, die zudem zweimal wöchentlich am Vereinstraining teilnehmen können – ebenfalls kostenfrei – und jährlich zu einem Kindergartenturnier eingeladen werden.
Die Integrations-Serie - alle 2 Wochen
Von Rügen bis Reutlingen, von Kiel bis Nürnberg. Von Basketball über Gorodki bis Tanztheater. Von der kulturellen Öffnung Einzelner bis zu jener von Großvereinen. Et cetera, denn Vielfalt ist das Stichwort, wenn das Programm „Integration durch Sport“ ab sofort und an dieser Stelle zeigt, wie es eigentlich funktioniert, so ganz genau und rein praktisch. Das folgende Projektporträt ist der Beginn einer Serie auf www.integration-durch-sport.de: Alle zwei Wochen stellen wir insgesamt 16 Initiativen vor, für jedes Bundesland eines: Geschichten, von denen keine der anderen ähnelt und die doch ein großes Ganzes ergeben. Nämlich ein Mosaik von Möglichkeiten, wie der Sport Verbindungen zwischen Kulturen schaffen und wachsen lassen kann.
Unentgeltliche Übungsstunden außer Haus, Einladung zu Training und Turnier: Dieses Paket, zumindest Teile davon, nehmen auch andere Partner gern an. Das Jugendhaus und das „Teenie-Café“ am Ort etwa, über das der Verein seit 2010 Jugendliche aus prekären Verhältnissen an-spricht, sie zu „Fußball, Ringen, Raufen“ auffordert – das Fußballturnier tragen Jugendhäuser ganz Frankfurts aus. Auch zwei Grundschulen: TSG-Trainer bieten in der Ganztagsbetreuung Sport an, und während der Unterrichtszeit steht den Schulen das Vereinsgelände offen. Über allem steht eine kleine Vision. Bis 2014 will man allen interessierten Kindern und Jugendlichen im Stadtteil eine mehrmonatige Schnuppermitgliedschaft ermöglichen.
Stufe für Stufe wurde es aufgebaut, dieses mehrfach ausgezeichnete Gesamtprojekt namens „TSG – Wir bewegen den Berg!“. Seit 2012 läuft es auf allen fünf Zylindern alias Zielgruppen: Kindergarten (bis 6 Jahre), Grundschule (bis 12), Jugend (bis 19), junge Erwachsene (bis 29), Erwachsene und Senioren. Wobei es primär „unten“ ums Aufbauen ging, um Mitgliedergewinn. Je mehr das gelang – 2013 hatte der Verein 460 Mitglieder, darunter 240 Jugendliche –, umso stärker ging es ums Festigen, um Bindung der Erwachsenen und interne Integration. „Früher war der Zusammenhalt im Verein nicht so groß“, sagt Meisinger. „Wir sehen ihn als Familie, in der man sich gegenseitig unterstützt. Das funktioniert bisher toll.“
Die TSG organisiert offene Elterntreffs und Eltern-Kind-Turniere, Fairnesstraining für Jugend-teams, ein Sommerfest und Kulturausflüge; fördert ehrenamtliches Engagement, bezuschusst Trainerausbildungen; hat Eltern- und Integrationslotsen eingeführt und vieles mehr. Es gilt Menschen aus 24 Nationen (an die 60 Prozent der Jugendlichen sind laut Meisinger Zugewanderte) und verschiedensten Lebenswelten zu einen. Der Fortschritt zeigt sich auf vielen Ebenen: Eine 20-jährige Handballerin mit Migrationsgeschichte ist Schriftführerin, viele Jugendtrainer kicken bei den Senioren mit, von denen sich immer mehr in der Jugendarbeit engagieren. Und er zeigt sich am reibungslosen Grenzverkehr zwischen Verein und Umfeld. Zwar kickten die heutigen Teilnehmer von „Fußball, Ringen, Raufen“ schon früher auf dem TSG-Feld – aber ohne zu fragen. Einige benahmen sich so, dass der Verein den Platz zu sperren erwog. Heute stehen sich beide Seiten nah, und der Platz ist offener denn je.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 43, Text: Nicolas Richter)