Zum Inhalt springen

„Der Sport hat seine Sache gut gemacht“

Interview mit dem DOSB-Präsidenten Thomas Bach über Chancen, Fehler und die einigende Kraft des Sport zum 20. Jahrestag des Mauerfalls.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

11.11.2009

Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), hat in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zum 20. Jahrestag des Mauerfalls die starke Wirkung des Sports bei der deutschen Vereinigung hervorgehoben, zugleich jedoch von einer verpassten Chance gesprochen. Mit Bach, im Mai 2006 zum ersten Präsidenten des DOSB gewählt, sprach Günter Deister.

Der 20. Jahrestag des Mauerfalls wird in Berlin als deutsches Fest gefeiert. Welche Gründe hat der Sport, den Fall der Mauer nicht nur als Glück zu betrachten, sondern auch als eine genutzte Chance?

BACH: Der Sport hat eine verbindende Kraft, Sport spricht eine gemeinsame Sprache, er wird nach den gleichen Regeln ausgeübt. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die Einheit des Sports besser gelungen ist als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Der Sport hat seine Sache gut gemacht. Die ersten gemeinsamen olympischen Auftritte 1992 in Albertville und Barcelona haben ein schnelles Zeichen gesetzt. Sie hatten für das vereinte Land einen hohen Symbolwert und eine starke emotionale Kraft.

Zu den schnellen Zeichen gehörte auch, dass Medaillenrechnungen nicht aufgehen konnten, wonach 1 plus 1 eine 2 ergibt, wenn zwei Sportgrößen zusammengehen. Im Ausland gab es die Erwartung, und teilweise war es auch die Sorge, die geeinten Deutschen würden zur olympischen Nummer eins werden.

BACH: Nur sehr oberflächliche Beobachter konnten das erwarten. Das höchst aufwendige, zentralistische, vom Staat gelenkte System hatte sein Ende gefunden. Die Vielzahl an Betreuern und Trainern war nicht mehr zu finanzieren. Auch rein arithmetisch konnte die Rechnung nicht aufgehen. Nur noch drei statt sechs Startplätze pro Wettbewerb reduzierten die Chance um die Hälfte. Und über 1992 hinaus betrachtet muss man eben sehen, dass Medaillen immer schwerer zu erringen sind, der internationale Einsatz hat enorm zugenommen. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass der deutsche Wintersport seine Spitzenstellung behaupten konnte.

Dennoch hat es früh die Einschätzung gegeben, der deutsche Sport habe nicht alle Möglichkeiten der Vereinigung genutzt, er sei überfordert. Ein Ausdruck dafür war der 1994 von Kanzler Helmut Kohl einberufene „Runde Tisch des Sports“. Sie selbst hatten sich damals dafür ausgesprochen, der Sport müsse seine Kräfte und Ressourcen besser bündeln.

BACH: Ja. Ich habe schon damals die Fusion von DSB und NOK für sinnvoll gehalten. Die damalige Entwicklung war rasend schnell. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft waren vor allem damit beschäftigt, die Vereinigung zu organisieren. Den Sport haben die geerbten Probleme von Stasi und Doping viel Kraft gekostet. Und er musste ja in den neuen Bundesländern auf allen Ebenen eine neue Basis schaffen. Zwar war es gelungen, das Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig und das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin mit einer Bestandsgarantie in den Einigungsvertrag aufzunehmen. Doch es fehlte zunächst an ausreichender finanzieller Unterstützung für die so wichtigen Einrichtungen.

Und warum hat es so lange gedauert, bis die Nützlichkeit von Eliteschulen des Sports erkannt und umgesetzt worden ist?

BACH: Das lag an der ideologischen Belastung der Kinder- und Jugend- Sportschulen der DDR. Man tat sich schwer, den sportlichen Kern herauszuschälen und sie unter demokratischen Bedingungen weiterzuentwickeln. Das hat sehr viel Zeit gekostet.

Auch nach 20 Jahren sieht sich der Sport konfrontiert mit der Doping- und Stasi-Problematik. Ist das ein Zeichen für Fehler und Versäumnisse?

BACH: Es ist eher ein Zeichen für eine fortwirkende Herausforderung, die, was die Stasi angeht, für alle gesellschaftlichen Bereiche gilt. Immer wieder tauchen auch neue Akten auf. Der Sport hat sich bemüht, auch über den Einsatz vieler Kommissionen, und dabei hat er auch Maßstäbe gesetzt. So konnte der DOSB bei der Novellierung des Stasiunterlagen-Gesetzes durchsetzen, dass er weiterhin führende Mitglieder der Olympia-Mannschaften durch die Birthler-Behörde überprüfen lassen kann. Das geschieht jetzt auch vor den Winterspielen in Vancouver.

Und was ist mit der Doping-Herausforderung, die sich nach der Vereinigung gewandelt hat von einem Flächen deckenden Phänomen im Osten hin zum Gruppen-Doping, unter Beteiligung von Trainern, Managern, Medizinern?

BACH: Die generelle Antwort ist: Null-Toleranz, mit partnerschaftlicher Unterstützung durch den Staat. Eine zweite Antwort hat der DOSB schnell nach seiner Gründung 2006 durch seinen Auftrag an die Wissenschaft gegeben, die deutsche Doping-Vergangenheit aufzuklären. Für den DDR-Bereich gibt es Akten. Die fehlen für die Bundesrepublik. Doch wir wollen durch den Forschungsauftrag auch wissen: Was sind die Wurzeln des Dopings, wo gibt es, wie beispielsweise beim Radsport, Systemzwang? Dieses Wissen ist eine Voraussetzung für noch zielgerichtetere Prävention.

Für den Umgang mit aktuellen Fällen, die im Zivilrecht längst verjährt wären, kommt dieses Wissen zu spät.

BACH: Es geht um Einzelfallgerechtigkeit. Es muss das Leben in einer Diktatur gewürdigt werden, aber auch der Lebensweg der letzten 20 Jahre in einer Demokratie. Wer eine lebenslange Ausgrenzung fordert, der macht es sich viel zu leicht. Aber wir vergessen darüber auch nicht das Schicksal der Dopingopfer. Wir versuchen auch ihnen gerecht zu werden. So hat der DOSB direkt nach seiner Gründung 2006 erreicht, dass die DDR-Dopingopfer eine überfällige Entschädigungszahlung erhielten. Wir stellen uns der moralischen Verantwortung.

Title

Title