Die Haltung des DOSB zum Boykott und zur Meinungsfreiheit
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper informierte die Mitgliedsverbände des DOSB per Rundschreiben über die Generalversammlung der Nationalen Olympischen Komitees in Peking in der letzten Woche.

14.04.2008

Die Olympischen Sommerspiele in Peking stehen unter dem Eindruck der Lage der Menschenrechte in China und Tibet. Der DOSB hat dieses Thema von Beginn an aufgegriffen, nicht zuletzt durch die Erklärung „Olympische Spiele in Peking und Menschenrechte in China“ vom Mai 2007 und auch jetzt wieder durch die Entschließung vom 24. März 2008.
In der letzten Woche nahm der DOSB an der ANOC-Generalversammlung in Peking teil. Thomas Bach, der unsere Delegation anführte, brachte ebenso wie die anderen Delegationsteilnehmer Michael Vesper, Bernhard Schwank, Claudia Bokel und Katrin Merkel, den Inhalt unserer Erklärungen in die Debatten und Gespräche ein, denen zufolge die Lage der Menschenrechte in China nach wie vor unbefriedigend ist und wir uns für eine schnelle und gewaltfreie Klärung der internen Konflikte aussprechen.
Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass die Spiele China bewegen und öffnen werden. Dass die Welt ihre Scheinwerfer in diesen Wochen auf die politische Wirklichkeit in China und Tibet richtet und sie ausleuchtet, ist dem Umstand zu verdanken, dass die Olympischen Spiele vor der Tür stehen. Diese politische Wirklichkeit ist übrigens nicht neu, sie war es nicht einmal 2001, als die Spiele nach Peking vergeben wurden. Und auch tibetische Proteste gegen die chinesischen Machthaber gibt es seit Jahrzehnten.
Einen Boykott halten wir für verkehrt, und wir sind uns darin einig mit allen Nationalen Olympischen Komitees dieser Welt. Das wurde in Peking jetzt noch einmal deutlich. Manche im politischen Raum werfen uns vor, wir hätten mit unserer Entschließung vom 24. März 2008 „voreilig“ gehandelt und damit die Waffe der Boykottdrohung vorschnell aus der Hand gegeben.
Dieser Vorwurf ist falsch. Zum einen kann es kaum als „voreilig“ bezeichnet werden, wenn die für die Entsendung der deutschen Mannschaft zuständige Organisation gut vier Monate vor der Eröffnungsfeier noch einmal bekräftigt, dass sie an den Spielen teilnimmt. Es wäre nicht zuletzt den Athleten gegenüber unzumutbar gewesen, sie hier im Unklaren zu lassen. Sie trainieren seit Jahren hart auf die Spiele hin, und sie haben einen Anspruch auf eine verlässliche Perspektive.
„Waffe der Boykottdrohung als Faustpfand ungeeignet“
Zum anderen ist die Waffe der Boykottdrohung stumpf und als Faustpfand ungeeignet. Über den Boykott der Spiele in Moskau 1980 ist in den vergangenen Wochen viel diskutiert worden; dabei gibt es keine einzige Stimme, die ihm eine irgendwie geartete positive Wirkung zuschreibt. Selbst der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der damalige Bundesaußenminister Genscher, die ihn seinerzeit gegen die eigene Überzeugung auf Druck der USA durchgesetzt haben, distanzieren sich klar davon und halten die Position des DOSB im Licht ihrer Erfahrungen für richtig.
Mit etwas, dass „sinnlos und schädlich“ (Helmut Schmidt) ist, kann man nicht wirksam drohen. Unsere Auffassung wird von nahezu sämtlichen Chinaexperten bestätigt, die im Gegenteil durch einen Boykott Verhärtungen und Verschärfungen voraussagen. Auch der Dalai Lama spricht sich nach wie vor entschieden gegen einen Boykott aus. Wenn man uns nicht glaubt, dann vielleicht ihm: Mit dieser Haltung ist nicht im Mindesten ein „Freifahrtschein“ für Menschenrechtsverletzungen verbunden. Wer einen Boykott eben nicht für ein Allheilmittel, sondern für das falsche Instrument hält, der verzichtet damit keineswegs auf Kritik an der Politik der chinesischen Führung. Die geschichtliche Erfahrung zeigt aber, dass Annäherung mehr bewirkt als Abschottung. Darum wäre sie ein falscher Weg.
Wir haben stets erklärt, dass unsere Athletinnen und Athleten mündige Staatsbürger/innen sind, die sich zu all diesen Fragen selbstverständlich eine Meinung bilden und sie auch äußern sollen. Die olympische Charta schreibt in Regel 51 vor, dass dies nicht bei den Wettkämpfen an den olympischen Stätten erfolgen darf. Diese Vorschrift, die keineswegs neu ist, sondern vor fast 50 Jahren in die Charta eingefügt wurde, ist nun wirklich nicht auf Tibet gemünzt, sondern gilt allgemein für politische Demonstrationen. Ihr Sinn besteht darin, dass der olympische Wettkampf nicht zum Demonstrationsort unterschiedlicher politischer Meinungen werden soll, bei dem die einen die zuschauende Weltöffentlichkeit für die Anliegen des unabhängigen Kosovo, die anderen für dessen Integration in Serbien und wieder andere für weitere politische Anliegen agitieren wollen. Wäre dies erlaubt, würde der sportliche Wettkampf sehr schnell in den Hintergrund treten. Unabhängig davon gibt es aber genügend Möglichkeiten, politische Meinungen zur Lage in Tibet öffentlichkeitswirksam während der Spiele zu äußern, etwa durch Interviews, Pressekonferenzen und Diskussionen. Das haben die Generalversammlung der ANOC und IOC-Präsident Jacques Rogge in Peking jetzt auch noch einmal bestätigt. Und auch der Beirat der Aktiven wird mit den Athleten darüber intensiv sprechen.