Die KOS zieht Bilanz des Fankongresses
Am 14. und 15. Januar 2012 fand unter großer Beachtung der Öffentlichkeit der Fankongress 2012 in Berlin statt. Auch die Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS), die bei der Deutschen Sportjugend (dsj) angesiedelt ist, nahm teil.

01.02.2012

Organisiert von ProFans, dem bundesweiten Zusammenschluss von zahlreichen Ultra- und Fangruppen, diskutierten rund 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die aktuellen Themen der Fankultur in Deutschland.
Die Bilanz der KOS zum Fankongress 2012:
Ein bedeutendes Gesprächsangebot an die Verantwortlichen im Fußball – so lässt sich der Fankongress verstehen. Mit einer beeindruckenden Organisation und Professionalität haben die Fans – allen voran die Veranstalter von ProFans – gezeigt, welch großes Potenzial in der Fankultur liegt und wie fahrlässig es ist, dieses Potenzial zu ignorieren. Umso bedauerlicher ist es aus Sicht der KOS, dass die Beteiligung von DFB und DFL und insbesondere aus den Reihen der Vereine nicht größer war und nicht beispielsweise in jedem Workshop ein Vertreter von Verbänden und/oder Vereinen saß, um sich die Diskussionen anzuhören, bzw. sich zu beteiligen.
Als Ansprechpartner auf und neben den Podien und Workshops standen für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) Gerald von Gorrissen als Fanbeauftragter sowie Thomas Schneider und Marco Rühmann für die Deutsche Fußball Liga (DFL), Abteilung Fanangelegenheiten, zur Verfügung. An jeweils einer Podiumsdiskussion beteiligten sich zudem DFB-Sicherheitsbeauftragter Hendrik Große Lefert, DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus sowie Martin Kind, der Präsident von Hannover 96. Sehr bedauerlich war die kurzfristige Absage des eingeladenen Vertreters der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), Ingo Rautenberg, zur Teilnahme an einer Diskussionsrunde, da die Polizei als Dialogpartner so vollständig fehlte.
Beeindruckend war nicht nur die Organisation, sondern auch die Gesprächskultur der teilweise miteinander rivalisierenden Gruppen. Aus der Perspektive der KOS und der Fanprojekte ist es über den Erfolg dieses Fankongresses hinaus von enorm hoher Bedeutung, dass Vertreter aus zahlreichen Ultra- und Fangruppen schon in der Vorbereitung über einen langen Zeitraum hinweg gemeinsam und respektvoll an inhaltlichen Themen gearbeitet haben. Einen Überblick über die Diskussionen und die Resultate der Workshops liefert das Abschlussdokument der Organisatoren.
Das Engagement und das Auftreten der Fans widerspricht nicht nur allen Vorurteilen, insbesondere gegenüber den Ultras, sondern gegenüber der Jugend generell: Viele engagieren sich dauerhaft und zuverlässig, kümmern sich verantwortungsvoll um ihre Mitglieder und befassen sich mit hochbrisanten gesellschaftlichen Themen wie Rechtsextremismus, Datenschutz und Bürgerrechten.
Der Kongress hatte zudem einen antirassistischen Konsens, der fast als Selbstverständlichkeit formuliert wurde. Junge Fußballfans setzen sich für ihre Rechte ein, indem sie demokratische und zivilgesellschaftliche Mittel wie Diskussionen, Demonstrationen und eigene Initiativen entwickeln. KOS-Mitarbeiter Volker Goll, der als Referent an einem Workshop zur Identifikation junger Menschen über die Fankurve teilnahm, sagt: „In der Debatte über Jugend in Deutschland wird immer über die Lethargie, Desinteresse und Selbstbezogenheit von jungen Menschen geklagt. Hier konnte man auf dem Kongress sehen, dass viele Ultras und junge Fußballfans das Gegenteil unter Beweis stellen.“
An die Fans geht bei aller Anerkennung für (ehrenamtlich!) geleistete organisatorische und inhaltliche Arbeit aus Fanprojektsicht der Hinweis, sich mit der gleichen Ernsthaftigkeit, wie sie beim Kongress gezeigt wurde, mit dem Thema der Gewalt und Selbstregulierung der Kurven zu befassen. Ein weiterhin ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt stellt mit Blick auf die Entwicklung der italienischen Ultraszene eine existenzielle Gefahr für diese bedeutende jugendliche Subkultur dar.
Wichtiger ist es für die Vertreter der Verbände und Vereine, ebenso wie für polizeiliche und politische Institutionen, die Gesprächsangebote der Fans in Zukunft aktiv anzunehmen. Hier konstatiert KOS-Leiter Michael Gabriel, der beim Fankongress eine Podiumsdiskussion zum Thema Anstoßzeiten und Vermarktung leitete, den größten Bedarf: „Betrachtet man die Entwicklung in den letzten Monaten, so ist festzustellen, dass die Lagerbildung stärker geworden ist. Fußballvereine und Verbände agieren aus unserer Sicht zu passiv und fürchten vor allem um ihr Image in der Öffentlichkeit. Gleiches gilt leider auch für die Polizei. Der Dialog mit Fußballfans kann nur erfolgreich sein, wenn er nicht so instrumentell geführt wird. Weil wir es mit jungen Menschen zu tun haben, muss es um echte und ernstgemeinte Anerkennung, Wertschätzung und aktive Einbindung der Menschen in den Kurven gehen.“
Insofern zeigt der Kongress auch, wie schwer es den Institutionen (Verband, Vereine, Polizei) fällt, den Dialog zu führen. An dieser Stelle wird die Bedeutung der Fanprojekte als klassischer Vermittlungsinstanz deutlich. Es ist Vereinen nur anzuraten, die Fanprojekte noch stärker einzubinden und um Rat zu fragen und es ist in Richtung Politik gesprochen verantwortungslos, wenn die Fanprojekte nicht angemessen gefördert werden, weiter am Existenzminimum entlang hangeln, wie in Kaiserslautern und in Trier gänzlich um ihre Existenz bangen müssen oder wie in Stuttgart gar nicht erst eingerichtet werden, obwohl Vereine, Fans und Polizei dies seit Jahren fordern. Aus Richtung der Verbände DFB und DFL ist mit der Neuausrichtung der AG Fanbelange hoffentlich ein geeignetes Medium für einen kontinuierlichen und wirkungsvollen Dialog vorhanden, was sich jedoch nun in der Praxis beweisen muss.
(Quelle: KOS)