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„Die Leistung der Schwachen ist keine schwache Leistung“

Hephata-Direktor Pfarrer Peter Göbel-Braun im Interview

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

14.06.2011

Am 15. Juni 2011 gastiert die Sportabzeichen-Tour in Schwalmstadt-Treysa. Eine Sportlergruppe der diakonischen Einrichtung Hephata nimmt an der Veranstaltung teil und wird die Disziplinen des „Sportabzeichens für Menschen mit geistiger Behinderung“ ablegen. Hephata-Direktor Pfarrer Peter Göbel-Braun, der auch Podiumsgast der Pressekonferenz ist, spricht im Interview über das diakonische Wirken der Hephata und über gesellschaftliche Barrieren.

Wie wird sich die Hephata auf dem Sportabzeichen-Tag einbringen?

Dieses Jahr heißt das Motto der Hephata Diakonie „Mitmenschen aktiv – Vielfalt leben“. Ich gehe davon aus, dass viele Mitarbeitende, deren Familien, Beschäftigte, Betreute, Klienten und Patienten Hephatas als Bürgerinnen und Bürger der Region auch an diesem Tag ihre Sportarten betreiben.
Gezielt haben wir uns ansprechen lassen für das Catering; mehr als 1.000 Menschen wollen gut mit Speisen und Getränken versorgt sein. Eine Sportgruppe wird unter Leitung unserer Sportkoordinatorin Patricia Odriozola gut vorbereitet teilnehmen. Manche verzichten dafür auf die Teilnahme an dem sehr beliebten J.P. Morgan-Lauf am selben Tag in Frankfurt, der mit diesem Sportabzeichentag kollidiert, aber solch eine Sportabzeichentour gastiert ja nicht jedes Jahr in Schwalmstadt.

Welche Erwartungen haben Sie an die Veranstaltung und was möchten Sie mit Ihrer Beteiligung bewirken?

Zuallererst freue ich mich persönlich auf einen schönen und ereignisreichen Tag mit vielfältigen Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Prominenz und regionaler Provenienz. Ich hoffe auf die Chance zu eigenen Leibesübungen mit Menschen, die ich bereits vom Sport her oder aus beruflichen Zusammenhängen kenne .Ich freue mich aber auch darauf, mit anderen Menschen aus unserer Hephata Diakonie unsere inhaltlichen Anliegen in Wort und Tat aktiv einbringen zu können und ich hoffe, wir kriegen das so gut hin, dass wir am Abend zwar ermattet aber rundum zufrieden sind.

In Schwalmstadt-Treysa liegt der thematische Schwerpunkt auf „Sport für Menschen mit geistiger Behinderung“. Was kann Sport für Menschen mit geistiger Behinderung bewirken?

Seit zwei Jahren hat die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen auch in Deutschland Rechtskraft. Sie hat Eingang gefunden in das alltägliche Denken und Handeln behinderter Menschen, bei Angehörigen, Betreuenden und bei uns. Der Anspruch auf gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe, auf solidarische Hilfe, Unterstützung und Assistenz ist immer weniger bestreitbar. Ein behinderungsfreundliches, barrierefreies Umfeld ist inzwischen legitim und durchsetzbar.

Der Menschenrechtsansatz der UN-Konvention bewertet Fremdbestimmung, Bevormundung und Aussonderung als Menschenrechtsverletzungen. Enthalten ist auch der Schutz vor Diskriminierung. Es geht um vielfältige Benachteiligung, Ungleichbehandlung und Herabwürdigung im Alltag. Dagegen kann man sich jetzt rechtlich wehren. Solche Rechte sind Trümpfe in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

So ermutigt erlaube ich mir, von „behinderten Menschen“ zu sprechen. Denn ganzheitlich gesehen ist Behinderung keine äußere Eigenschaft. Wir setzen mehr und mehr auf das soziale Modell von Behinderung: ein Mensch ist nicht in erster Linie durch seine individuelle Beeinträchtigung, sondern durch gesellschaftliche Barrieren, Benachteiligungen und Begrenzungen behindert.

Das verstrickt mich natürlich in ein Dilemma: Ich bin sehr dankbar, dass dieser Sportabzeichentag diesen Schwerpunkt hier in Schwalmstadt so offensiv gelegt hat. Unbestritten ist Sport für behinderte Menschen mindestens genauso bedeutsam und lebensdienlich wie für manchen von uns, die wir das Prädikat „behindert“ nicht in Anspruch nehmen. Die zusätzliche Eingrenzung „geistig“ habe ich hier bewusst ausgespart, weil sie von Betroffenen zunehmend als Belastung und Diskriminierung abgelehnt wird. In unseren Konzepten arbeiten wir längst nach personenzentrierten Ansätzen, die nicht einzelne Besonderheiten und Behinderungsarten in den Mittelpunkt stellen, sondern die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen mit speziellen Hilfebedarfen.

Die methodische Bandbreite möglicher sportlicher Aktivitäten ist sehr groß und hilfreich, sowohl in engerer körperlicher Hinsicht als auch im sozialen Lernen: Gewinnen will gelernt sein – vor allem aber das Verlieren. Gerade hier sind lange und sensible und kurvenreiche Anläufe, tröstende, korrigierende „Down-Coolings“ mit viel individueller Fantasie und Beharrlichkeit von Angehörigen, Freunden, Ehrenamtlichen und Betreuenden zu leisten.

Noch etwas diakonisch-theologisches: Jesus sagt an prominenter Stelle in der Bibel (1. Korinther 12, Vers 9): „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig". Für uns heißt das kompakt aber vorläufig: Die Leistung der Schwachen ist keine schwache Leistung. Aber wer ist in Zeiten der Behindertenrechtskonvention und des weitergehenden Umdenkens schon als „schwach“ zu bewerten? Ich glaube, hier haben wir sportethisch einige noch so wohl meinende Gedanken gegen den Strich zu bürsten, das dürften unsere Denksportaufgaben sein. Behinderte Menschen werden die Veränderungen unser aller mentalen Leistungen und Haltungen in diesem Feld an ihrem Alltag messen und hoffentlich vielleicht einmal ein lobendes Resümee ziehen.

Die Hephata Diakonie ist Partner von mehr als 1.400 Menschen mit geistiger Behinderung an verschiedenen Standorten in Hessen. Welche Hilfestellungen leisten Sie und welche Angebote machen Sie gerade diesen Menschen?

Hephata ist ein diakonisches Unternehmen, das seit 1901 in der Rechtsform eines gemeinnützigen Vereins für Menschen, die Unterstützung brauchen oder für Sozialarbeit ausgebildet werden, tätig ist. Wir betrachten uns als kompetent in Sozialpädagogik und Rehabilitation, Pflege, Therapie und Medizin sowie schulischer und beruflicher Bildung. Aktuell arbeiten bei Hephata mehr als 2.400 Frauen und Männer. Hephata bietet gut 4.000 „Plätze" sowie zahlreiche Maßnahmen der Berufshilfe, Beratungsangebote und Projekte. Gern lade ich Sie ein, sich weiter auf unserer Homepage www.hephata.de zu informieren.

Für den von Ihnen angesprochenen Personenkreis halten wir differenzierte Angebote vor. Dabei sind wir geprägt durch ein christliches Verständnis vom Menschen, das ausgeht von einer ganzheitlichen Annahme jeder Person, jedoch auch weiß um deren Krisen und Vorläufigkeiten. Wir denken längst nicht mehr in medizinisch und pädagogisch beschreibbaren Defiziten, beschränken uns nicht auf ein Denken und Handeln in Defekt- und Reparaturkategorien, sondern gehen aus von vorhandenen Fähigkeiten und Stärken der einzelnen Personen. Wir bemühen uns, Entwicklungspotenziale bei den einzelnen Menschen zu entdecken und darauf gründend mit diesen individuelle Lebenskonzepte zu entwickeln, die dann in unterschiedlichen Kontexten und Lebensformen verwirklicht werden.

Am Veranstaltungstag werden Menschen mit geistiger Behinderung das Deutsche Sportabzeichen ablegen. Im Vergleich zu sonstigen sportlichen Aktivitäten: Was kann das Deutsche Sportabzeichen zusätzlich für Menschen mit geistiger Behinderung leisten?

Natürlich ist ein solcher Sportabzeichentag ein Event, das uns alle mit einem Hauch von Großereignis, Bedeutsamkeit, Aufmerksamkeit und Achtung umweht. Hier passiert öffentlich unter Medienbeachtung etwas anerkannt Wichtiges und wir sind mitten dabei. Dies hat auch für behinderte Menschen einen eigenen Wert – und so ein Abzeichen, so eine Ehrennadel zu tragen, sichtbar an profilierter Stelle der Kleidung, eine Urkunde zu erhalten, die dezent im Flur der eigenen vier Wände platziert wird, ein Dokument vom derzeitigen Leistungsstand in den persönlichen Annalen zu wissen, das ist schon was - aber nicht nur für so oder so behinderte Menschen.

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