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Die Vereine sind der beste Integrationsmotor

Der Auftakt der neu ins Leben gerufenen „Berliner Sportgespräche“, die zu einer Art Dauereinrichtung werden und sich in erster Linie mit den Problemen des Breiten- und Gesundheitssports beschäftigen sollen, verheißt viel Gutes für künftige Veranstaltungen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

02.07.2009

Schließlich handelte es sich um ein Thema, das gerade in Berlin mit seinem großen Ausländeranteil, aber auch vielen Hartz-IV-Empfängern sehr aktuell ist: „Kids in die Sportklubs - Sport als Mittel der Integration.“

Entsprechend prominent war die Zahl der Anwesenden. Außer zwei Staatsekretären, Thomas Härtel (Sport) und Claudia Zinke (Bildung), konnte der DKB-Vorstandsvorsitzende Günter Troppmann im Atrium seiner Bank die beiden Biathlon-Olympiasieger Fritz Fischer und Frank Luck, die Fußball-Weltmeisterin Viola Odebrecht von Turbine Potsdam, den ehemaligen Zehnkampf-Europameister und jetzigen Volleyball-Verbandspräsidenten Werner von Moltke und nicht zuletzt auch den DOSB-Vizepräsidenten und früheren Turn-Weltmeister Eberhard Gienger begrüßen, dazu den anerkannten Universitäts-Professor Dr. Dr. Sebastian Braun, der die Situation von der wissenschaftliche Seite her begleitete.

Das von der Berliner Sportjugend initiierte Förderprogramm soll Jungen und Mädchen aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeiten eröffnen, Mitglied in einem Verein zu werden und aktiv am Sportgeschehen teilzunehmen. Dafür stellen bereits seit einiger Zeit verschiedene Organisationen einen monatlichen Beitrag von zehn Euro zur Verfügung. Zu den bisherigen 800 Patenschaften, die über drei Jahre laufen sollen, kamen jetzt an dem besagten Forumsabend weitere hundert dazu, deren Kosten, so Toppmann, die DKB übernimmt.

Härtel hob in einem Impulsreferat die soziale Funktion des Sports und die Wichtigkeit solcher Projekte hervor. „Es geht um Menschen, die bislang aus welchen Gründen auch immer, keinen Zugang zum Sport gefunden haben, weil sie die Sprache nicht beherrschen oder finanziell nicht in der Lage waren. Damit gerieten sie sehr schnell in ein gesellschaftliches Abseits. Deshalb fällt den Vereinen eine Schlüsselrolle zu, das zu verändern. Sport ist nun einmal gelebte Integration, Sport schafft Brücken und Sport sorgt für Bildung, aber auch das Erlernen von Toleranz und Fairness sowie einem geordneten Miteinander“.

Geradezu Vorbildliches leistet auf dem Gebiet des Breitensports der Deutsche Turnerbund, erklärte Gienger, eigentlich ein Mann des Leistungssports und Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Er verwies dabei auf das Deutsche Turnfest in Frankfurt/Main, wo Integration auf die verschiedenste Art und Weise praktiziert wurde, nicht nur, was die Migranten anbelangte, sondern Junge und Alte, Behinderte und Nichtbehinderte, Straffällige und Nicht-Straffällige. „Ich finde das, was hier in Berlin geschieht, ganz hervorragend, aber jetzt kommt es darauf an, auch für die entsprechende Nachhaltigkeit zu sorgen und die Begeisterung wach zu halten.“ Wobei er speziell muslimische Mädchen und Frauen einschloss, denen es oft schwer fällt, sich Vereinen anzuschließen. Gleichzeitig erinnerte er an den Deutschen Fußball-Bund, der gerade erst mit seinen tausend Bolzplätzen ein Signal setzte.

Viola Odebrecht, Weltmeisterin, Bronzemedaillengewinnerin bei Olympia 2004 und Deutsche Meisterin, erläuterte an ihrem Beispiel, wie wichtig die Hilfe von außen sein kann, wenn es finanzielle Schwierigkeiten gibt. „Als ich mit 15 Jahren von Neubrandenburg nach Potsdam ging, um dort besser Fußballspielen zu lernen, wäre mein Vorhaben fast daran gescheitert, dass meine Eltern nicht in der Lage waren, das Geld für das Internat an der Elitesportschule aufzubringen. Da kamen dann der Verein und Trainer Bernd Schröder zu Hilfe und lösten auf irgendeine Weise das Problem, weil sie wohl mein Talent erkannt hatten.“

Mehr denn je müssen die Vereine ein Stück Verantwortung übernehmen, warf Sven Fischer, Olympiasieger, Weltmeister und heute ehrenamtlicher Biathlon-Sportwart in Thüringen, in die Debatte. „Die Kinder verfügen über soviel Energie, die muss sich einfach entladen. Deshalb müssen wir ihnen auch die Möglichkeit bieten, Dampf abzulassen und sich auszutoben.“ Damit wollte er nicht dem Leistungssport das Wort reden, sondern versuchte darzustellen, wie wichtig es sei, dass die Gesellschaft und speziell der Sport ein Auffangbecken bildet und zwar für alle, auch für diejenigen, die sich beziehungsweise ihre Eltern keinen Vereinsbeitrag leisten können. „Schließlich lernt man im Sport, sich zu konzentrieren, Wissen anzunehmen und dadurch auch Glücksgefühle zu erlangen, wobei schon im Kindergarten die Fundamente gelegt werden sollten.“ Der Staat ist mit der nationalen Aufgabe der Integration überfordert, meinte der Universitäts-Lehrer Braun, früher selbst ein ganz passabler Fußballer bei Hertha Zehlendorf. Er fordert deshalb den DOSB auf, noch mehr als bisher zu tun. „Der organisierte Sport kann sich dank der vielen Ehrenamtlichen damit rühmen, immer noch Zuwächse zu erhalten, was bei Kirchen, anderen Gruppierungen, Gewerkschaften und Parteien schon längst nicht mehr der Fall ist und die sogar unter Mitgliederschwund leiden“, führte er aus.

Von den 82 Millionen in Deutschland Lebenden haben 7,3 einen Migrationshintergrund, zitierte Gienger einen Wissenschaftlichen Dienst und lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Problem, das nach wie vor relevant ist und gelöst werden muss Den Ball nahm die Staatssekretärin Claudia Zinke, die übrigens diese Gesprächsrunde mit anschob und bis vor nicht allzu langer Zeit Vorsitzende der Berliner Sportjugend war, ehe sie die Position aufgab, um nicht in Gewissenskonflikte zu gelangen, sofort auf. Sie bezeichnete den Sport als besten Integrations- und Bildungsmotor. „Alle müssen mithelfen, damit genügend Geld zusammenkommt, um jungen Menschen die Vereinszugehörigkeit zu ermöglichen. Einen entscheidenden Anteil können aber auch die Trainer und Übungsleiter leisten. Nur sie dürfen jedoch wissen, ob der Betreffende seinen Mitgliedbeitrag selbst bezahlt hat oder ob irgendjemand die Patenschaft übernommen hat. Niemand darf nämlich in die Gefahr geraten, geoutet zu werden.“

Die meisten Heranwachsenden wollen auf irgend eine Art und Weise ihre körperlichen Grenzen ausloten. Das im Verein zu tun ist wesentlich besser als sich auf der Straße herumzuprügeln. Und so geisterte das Wort von der sportlichen Wärmestube durch die kalte Gesellschaft herum. Der Deutsche Sportbund hatte mit seinem Programm „Aussiedler in die Vereine“ schon vor vielen Jahren erkannt, wie wichtig Integration ist. Der Sport, so lehrte einmal mehr die Diskussion in Berlin, sei am besten dazu geeignet, die Probleme anzupacken und die Kinder, wie der neue Berliner Sportjugend-Vorsitzende Tobias Dollase erklärte, vom Computer wegzuholen. Diesem ersten Sportgespräch soll im Herbst ein zweites folgen, wobei es um ein gesundheitssportliches Thema geht.

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