Zum Inhalt springen

Ein Vierteljahrhundert Begegnung in Bewegung

25 Jahre „Integration durch Sport“, das ist eine besondere Geschichte. Sie handelt von Löchern im Eisernen Vorhang, der Rütli-Schule und Evolution durch Evaluation – ein Rückblick.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

04.04.2014

Gute Ideen erkennt man an ihrer Ausdauer. Seit vor 25 Jahren die Geschichte von „Integration durch Sport“ (IdS) begann, hat das Programm viel erlebt: die deutsche Wiedervereinigung, eine Umbenennung, die Neuorganisation des nationalen Sports, dazu viele weitere kleinere und größere Einschnitte - Einschnitte, die es wachsen und reifen ließen. „Ich glaube, wir haben immer wieder Lösungen gefunden für die Aufgaben, die uns der gesellschaftliche Wandel gestellt hat“, sagt Heike Kübler, DOSB-Verantwortliche für das Thema Integration. Zweierlei aber ist seit 1989 geblieben: Die Aufgabenteilung zwischen dem organisierten Sport (Umsetzung) und der Politik (finanzielle Mittel). Und der Grundgedanke: Integration durch Sport eben.

Heute wird dieser Gedanke auf einmalige Art umgesetzt. Kein anderes Land in Europa kennt eine so vielschichtige Initiative, die das Zusammenleben der Kulturen durch Sport fördert. Das 25-jährige Bestehen gibt Anlass, diese stolze Entwicklung des Programms und seiner Idee nachzuzeichnen, in sechs Phasen.

Anfang. Alles beginnt, als der Eiserne Vorhang löchrig wird. Ende der 80er Jahre kommen die ersten deutschstämmigen Bewohner aus den bisherigen Ostblock-Staaten in die Bundesrepublik. Die hiesige Bevölkerung muss den Begriff „Spätaussiedler“ lernen - und die Politik, wie sie den Ankömmlingen ein Gefühl von Willkommensein vermitteln kann. Der Sport soll helfen. Ende 1988 führen das Bundesministerium des Innern (BMI) und der damalige Deutsche Sportbund (DSB) erste Gespräche, im Jahr darauf wird man sich einig und beschließt ein Konzept: Die Initiative „Sport für Alle – Sport für Aussiedler“ wird zunächst in vier Bundesländern umgesetzt, Wolfgang Schäuble und Hans Hansen, Innenminister respektive DSB-Präsident jener Zeit, eröffnen die Auftaktveranstaltung im hessischen Hasselroth. Schon bald fallen die Grenzen: 1990 wird das Projekt auf die ganze alte Bundesrepublik ausgedehnt, 1991 auf die fünf neuen Länder.

Umbau. „Sport für Alle – Sport für Aussiedler“ wird anfangs vom DSB gelenkt, der die Arbeit sogenannter Regionalkoordinatoren verantwortet. Zum Jahreswechsel 1993/94 ändert sich das: Der DSB koordiniert das Projekt weiterhin, gibt die operative Steuerung aber an die Landessportbünde (LSB) ab. Sie betreuen nun die Regionalkoordinatoren, knüpfen und halten den Kontakt zu den Stützpunktvereinen, die die Arbeit an der Basis leisten. Diese Arbeit findet damals häufig an und mit Spielmobilen statt, die zum Straßenkick oder Skateboarden im öffentlichen Raum oder an Schulen auffordern, um vor allem den spätausgesiedelten Nachwuchs für Sport zu begeistern.

Erweiterung. Die Konflikte an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln sind der Anlass: Im Oktober 2000 starten die Bundesregierung und der DSB die Kampagne „Sport gegen Gewalt“, die Jugendliche zum Gang ins Vereinstraining aufruft. Aggressionsabbau ist das Ziel von Innenminister Otto Schily, der damit das Projekt „Sport für Alle – Sport für Aussiedler“ stärkt. Dessen Zielgruppe wird so faktisch breiter, seine Umbenennung zu „Integration durch Sport“ im Jahr 2002 ist die logische Folge. Das Programm versteht Integration zweiseitig, Zugewanderte jeder Herkunft und organisierter Sport sollen sich füreinander öffnen. Praktisch geht der Trend damit allmählich weg vom isolierten Einsatz mit Spielmobilen hin zu strukturellen Angeboten der Stützpunktvereine, etwa speziellen Kursen für Musliminnen. Weitere Kernelemente sind das Werben um Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund und die Kooperation mit nichtsportlichen Einrichtungen.

Fusion und mehr. 2006 ist es soweit: Der organisierte Sport in Deutschland spricht von nun an mit einer Stimme, aus DSB und NOK wird DOSB. Für das Programm ändert sich dadurch nichts Entscheidendes. Heike Kübler, seit 1996 im Amt, bleibt Programmverantwortliche. Die Fördermittel des Bundes steigen in jenem Jahr von rund 5,2 auf 5,6 Millionen Euro (seit 2008 sind es etwa 5,4 Millionen) und fließen vermehrt auch in Bildungs- und Qualifikationsmaßnahmen. 2004 hat IdS das beim LSB Nordrhein-Westfalen entstandene Seminarkonzept „Sport interkulturell“ übernommen: Übungsleiter und Funktionäre sollen Kompetenz und Feingefühl im Umgang mit Menschen anderer Herkunft erwerben und in ihre Vereine tragen.

Evaluation: Die Projektleitung selbst hat sich dafür eingesetzt, 2007 gibt das Innenministerium den Auftrag: ein Team der Uni Potsdam evaluiert das Programm IdS. Zwei Jahre später liegt der Abschlussbericht vor. Er hält fest, dass die knapp 500 finanziell geförderten Stützpunktvereine – weitere etwa 250 werden ausschließlich beraten – rund 2000 integrative Sportgruppen mit etwa 38.000 Sporttreibenden erreichen und nennt dies eine „beachtliche Zahl“. Überhaupt loben die Wissenschaftler sehr vieles – und wo sie es nicht tun, schreiben sie von Potenzialen statt von Konstruktionsmängeln. Der DOSB greift die Handlungsempfehlungen (etwa zur verstärkten internen und externen Kommunikation) auf und setzt sie, begleitet von seiner Führungsakademie,  mit den LSBs um.

Gegenwart. Die Weiterentwicklung wird 2013 sichtbar, durch eine erneute, etwas kleinere Evaluation. Es könne konstatiert werden, heißt es in ihrem Resümee, „dass es zu erheblichen Programmentwicklungen gekommen ist, die auf eine zusehends strategischere Ausrichtung [...] hindeuten“. Konkret beraten die Landeskoordinationen mehr und systemischer, und ihre Ziele sind im Vergleich zu früher klarer und einheitlich: „Integration in den Sport“, „Förderung des freiwilligen Engagements“ und „Förderung der interkulturellen Öffnung“. Zudem sind sie immer erfolgreicher damit, die Aufmerksamkeit der Stützpunktvereine auf im Sport besonders unterrepräsentierte Zielgruppen zu lenken, etwa Migrantinnen und ältere Zugewanderte - womit auch ein Schwerpunktthema der Zukunft genannt wäre. Der Plan für den Förderzeitraum 2014 bis 2016 sieht des Weiteren eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit vor, die IdS als Kompetenzzentrum sportbezogener Integrationsarbeit positioniert; zudem sollen etwa die Kontakte zu Migrantenorganisationen wachsen und der Stellenwert interkultureller Themen in der Übungsleiterausbildung steigen. Letztlich geht es darum, den Weg der vergangenen Jahre fortzusetzen. „Unsere Arbeit“, sagt Heike Kübler, „ist immer sensibler, zielgerichteter und systematischer geworden.“

Text: Nicolas Richter

Title

Title