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Eine neue Heimat für die Tanzbrücke

Wie der Bramfelder Verein alte und neue Mitglieder zusammenführt – und ganz nebenbei wertvolle Integrationsarbeit leistet

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

15.11.2024

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)

„Die Tanzbrücke ist meine zweite Familie“, sagt Sonja, 16 Jahre alt. Sie kommt fast jeden Tag aus Stellingen nach Bramfeld. Seit Jahren schon ist sie dabei und zur helfenden Hand geworden: Sonja macht den Jüngeren vor, wie sie die Übungen und Abläufe richtig turnen und tanzen. Sie ist die Älteste an diesem Dienstagnachmittag – andere aus ihrer Gruppe von 2016 sind auch noch im Verein, aber sie tanzen nicht mehr. Damals waren sie noch Kinder. Überhaupt fällt die Treue zur Tanzbrücke auf. Das Familiäre. Doch was ist, wenn die Familie kein Dach mehr über dem Kopf hat?

Seit November 2023 weiß der Verein mit den Attributen „International, kreativ, professionell“, dass er sein Zuhause an der Barmbeker Straße verlassen muss. Das Grundstück wird verkauft. Bei aller Zuversicht, die Natalia Dergatcheva ausstrahlt, sorgt sie die Vorstellung, wieder eine neue Heimat suchen zu müssen: „Als wir von Altona nach Bramfeld gezogen sind, haben wir 30 Prozent unserer Mitglieder verloren“, sagt die Vereinsgründerin.

Gerade erst hat sich die Tanzbrücke von der Corona-Krise erholt; die Mitgliederzahl ist von 200 auf 260 gestiegen. Nun wartet die nächste Herausforderung: „Wir suchen unseren neuen Standort in einem Radius von fünf bis sieben Kilometern.“

Grundsätzlich schreckt Natalia Dergatcheva wenig. Sie organisiert, sie plant, sie lässt sich nicht einschüchtern – was gerade schwierig ist, wenn man russische Wurzeln hat. Sie selbst saß gehörig zwischen den Stühlen. Natalia Dergatcheva sagt: „Wir hatten plötzlich zwei Lager – Leute, die 15 Jahre hier zusammen sind, waren auf einmal Feinde.“ Inzwischen hat sich vieles normalisiert, auch dank ihres resoluten Einsatzes. Im Grundsatz gilt bei der Tanzbrücke: „Wir sprechen nicht über Politik!“ 

Schon immer war es eine Stärke dieses auch sportlich sehr erfolgreichen Vereins, Menschen durch Tanz und Bewegung zusammenzuführen. Seit zehn Jahren ist die Tanzbrücke Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ des Hamburger Sportbundes (HSB). Natalia Dergatcheva sagt achselzuckend: „Wir haben Russinnen und Ukrainerinnen. Wir haben Muslima und Jüdinnen. Wir haben Ukrainerinnen aus Israel. Alle, die hierherkommen haben ein offenes Denken!“ Die neue Fluchtbewegung habe den Verein vergrößert: „In jeder Gruppe sind ukrainische Kinder. Aus allen Stadtteilen Hamburgs. Wir haben davon profitiert.“ Ihre Tochter Elena, selbst Mutter zweier Kinder, Integrationsbeauftragte und Trainerin, sagt: „Nach zwei Wochen merkt man nicht mehr, wer woher kommt. Alle sind gut integriert und dankbar.“ Elena erzählt von Anastasia aus Charkiw und Daria aus St. Petersburg: die beiden Zwölfjährigen seien hier beste Freundinnen geworden. 

Die Tanzbrücke packt an. Am 1. März 2022 waren schon 30 ukrainische Kinder hier. In einem der hiesigen Räume verteilten Vereinsmitglieder damals Essen, Decken, Spielzeug. In der Erstunterkunft in der Schnackenburgallee warb die Tanzbrücke für ihr Angebot. Drei ukrainische Lehrerinnen arbeiten inzwischen im Ehrenamt als Musikpädagoginnen. Dazu Hausaufgaben-Unterstützung, Hilfe bei Behördengängen, den ersten Schritten in Hamburg: Wer die Räume der Tanzbrücke betritt, spürt die warme und wertschätzende Atmosphäre, die einem hier entgegenschlägt – ein geschützter Raum, nur durch die Tür von der tosenden, sechsspurigen Straße getrennt.  
Aus dem Gettoblaster dröhnen Bässe. Im Hintergrund steht ein Barren. Während Elena Hilfestellung gibt, ruft ihre vor der großen Spiegelwand stehende Mutter den Turnerinnen und dem Turner Anweisungen zu: „Marlene, was war das?“ – „Was macht dein Arm?“ – „Alles angespannt, bitte!“ – „Durchziehen!“ – „Man sieht, dass du gestern 13 geworden bist!“ Lächeln. Freude. Dann wieder: Disziplin.

18 Kinder lechzen nach Aufmerksamkeit – und danach, von Natalia Dergatcheva in den Arm genommen zu werden. Daran soll sich nichts ändern, wenn die Tanzbrücke bald in das 28. Jahr ihres Bestehens geht. Wer weiß, vielleicht werden die neuen Räume schöner, heller, größer? Es ist nie verboten, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen.

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