Eismeister der Nation: Zum 80. Geburtstag von Sepp Lenz
Sepp Lenz, der erste Bundestrainer der deutschen Rennrodler und zugleich ihr erster Goldschmied, feiert am 8. Februar in seiner Berchtesgaden-Königsseeer Heimat den 80. Geburtstag.

06.02.2015

29 Jahre lang, von 1966 bis 1995, betreute er die Rennschlittenfahrer. Zuerst nur in West-, nach der Wende auch in Gesamtdeutschland. In dieser Zeit brachten seine Athleten von Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschften 31 Goldmedaillen nach Hause, sowie 31 silberne und 34 bronzene.
Als Aktiver für den WSV Königssee war Sepp Lenz Europameister im Einsitzer gewesen (1962), dazu zweimal Vierter der WM sowie je zweimal Deutscher Meister (Einzel und Doppel). Wie alle in der damaligen Zeit war auch „der Lenz im Winter“ ein Feierabend- und Wochenendrodler. Ausgerechnet als die aufstrebende Disziplin 1964 in Innsbruck olympisch wurde, beendete ein schwerer Trainingssturz mit Doppelpartner Josef Fleischmann die Karriere vorzeitig.
Musterschüler Georg Hackl
Zwei Jahre später begann für den damals 31-jährigen gelernten Sattler, auch Königssee-Bootsführer und Echowand-Trompetenbläser, die Laufbahn des Trainers. Ohne „gehobene Schulbank“ oder gar Studium. Sein Mentor und früherer Lehrer, der langjährige Bob-und Rodel-Präsident Richard Hartmann (1914-1984), hielt die Hand über den „Sepperl“, bis dieser flügge war. Es wurde – ähnlich der des Goldschmiedes der Bahnradfahrer, Gustav Kilian – eine Erfolgsgeschichte.
Mit ihr verbunden sind Namen wie Josef Fendt und Leonhardt Nagenrauft; Christa Schmuck und Elisabeth Demleitner; Hans Stanggassinger und Franz Wembacher; und aus der Neuzeit vor allem der Hackl „Schorsch“. Der war und bleibt Sepp Lenz' Musterschüler.
Gutes Einfühlungsvermögen zeigte Sepp Lenz nach der Wende, als er plötzlich Trainer für Ost und West wurde: Er spielte für die Meisterrodler der Ex-DDR wie Jens Müller, Susi Erdmann, Gabriele Kohlisch oder Stefan Krause und Jan Behrend nicht den Chef; sondern er versuchte, die Sportler zweier Systeme zusammenzuführen, auch die Betreuer. Daraus entstanden ist die Rodel-Macht Deutschland, nach der Ära Lenz gelenkt von Thomas Schwab und jetzt von Norbert Loch.
Schlittenbauer, Bahnarchitekt und Eismeister
Sepp Lenz war nicht nur ein erfolgreicher Trainer, sondern auch ein begnadeter Schlittenbauer, Optimierer von Kufen, Schienen und Visieren. Zudem verblüffte der Autodidakt die Fachwelt als Bahnarchitekt und Eismeister. So konzipierte und baute er mit seinem Vater Lorenz Lenz 1960 die erste Rodelbahn am Ufer des Königssees. Das Material waren Eisziegel, die aus einem großen Weiher herausgesägt wurden.
Acht Jahre später entstand auf der gleichen Trasse die erste Kunsteis-Rodelbahn der Welt; dort steht sie, verbessert, noch immer. Sepp Lenz, das Naturtalent, verblüffte mit seinem Gefühl für Linienführung und Fliehkräfte auch da beim Bau und bei späteren Umkonstruktionen. Es kam sogar vor, dass, weil Ingenieure seinen Rat nicht ernst genommen hatten, eine bereits betonierte Kurve ein zweites Mal gebaut werden musste, à la Sepp Lenz.
Dass Eis nicht gleich Eis ist, auch das hat der Alt-Bundestrainer gezeigt. Seine gefühlvolle Bahnpräparierung das Wasser-Aufspritzen, das Schaben und Hobeln, Glätten und Nivellieren – hat ihm in der Rodelwelt jahrzehntelang hohes Lob eingebracht. Bei vielen Bahn-Neubauten wurde Deutschlands „Eismeister der Nation“ als Ratgeber, Starthelfer oder „Feuerwehr“ angefragt. Oder er, der Bundestrainer, sprang bei internationalen Wettbwerben selbstlos mit ein, um Unebenheiten im Eiskanal zu beseitigen.
Schwerer Unfall auf der Bahn
So geschehen auch am 16. Dezember 1993 in Winterberg; der Tag, der das Leben des Sepp Lenz so abrupt veränderte: Beim Bahnausbessern hatte der damals 58-Jährige das Kommando „Ende der Pause!“ überhört und dadurch eine mit Tempo 110 heranrasende amerikanische Rodlern nicht rechtzeitig wahrgenommen. Beim Zusammenprall wurde Sepp Lenz der linke Unterschenkel abgerissen. Kurz vor Olympia in Lillehammer, das Ende einer Trainerlaufbahn?
Doch schon eine Woche nach dem Unfall demonstrierte der Unverwüstliche dem Chronisten in Berchtesgaden stolz seine ersten Gehversuche, mit Krücken. Zwei Tage vor Heiligabend. Bald darauf hatte er die erste Gehprothese, und Mitte Februar 1994, noch unglaublicher, betreute dieser Sepp Lenz „seine“ Rodler in Lillehammer. Sie dankten es ihm mit einem kompletten Medaillensatz: Gold, Silber, Bronze.
Danach legte Sepp Lenz die Betreuung der deutschen Rennschlittenfahrer in die Hände seines Doppelsitzer-Olympiadritten von Calgary 1988, Thomas Schwab. Unspektakulär und – wie wir wissen – nicht weniger erfolgreich als der Meister.
Der pensionierte Trainer aber verblüffte Familie und Freunde auch im Ruhestand: Immer wieder „optimierte“ er seine Prothesen. Mal die alte, nicht selten eine neue. Er fuhr damit Mountainbike, am Jenner Ski mit seinen Enkeln – die übrigens Ringer wurden –, und er geht, bis heute, „am Berg“ wandern. Fast täglich.
Ebenso oft zieht es den vitalen 80-Jährigen, sobald die Eismaschinen laufen, zu einem Ausflug an die Rodelbahn, die so sehr mit seine Handschrift trägt. „Zum Nachschau'n“.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 6/Klaus Angermann)