Experten-Hearing analysiert Prävention sexualisierter Gewalt
Einer australischen Studie (Leathy u.a., 2002) zufolge haben 2 Prozent der männlichen und 27 Prozent der weiblichen Spitzensportler Erfahrungen mit sexueller Belästigung im Sport gemacht.

10.09.2014

Das hat die Sportsoziologin Dr. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln beim Experten-Hearing „Prävention von sexualisierter Gewalt im Nachwuchsleistungs- und Spitzensport“ der Deutschen Sportjugend (dsj) und des DOSB erläutert.
Rund 40 Vertreter aus dem Spitzensport nahmen an der Veranstaltung am 8. September am Olympiastützpunkt Berlin teil. Ziel des Hearings war es, aus sportwissenschaftlicher Perspektive das Risiko für sexualisierte Gewalt im Feld des Nachwuchsleistungs- und Spitzensports in Deutschland zu analysieren.
Risikostrukturen im Sport
Zunächst verwies Bettina Rulofs darauf, dass Leistungs- und Erfolgsorientierung sowie Körperdisziplinierung, die als vorherrschende Handlungsorientierungen im Spitzensport beschrieben würden, Risikostrukturen für sexualisierte Gewalt darstellen könnten. Mit dem im Oktober 2014 startenden Forschungsprojekt der Deutschen Sporthochschule Köln in Kooperation mit der dsj und dem Universitätsklinikum Ulm sollen die derzeitigen Forschungslücken in Deutschland zum Themenfeld geschlossen und die bestehenden Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt im organisierten Sport evaluiert und anschließend weiterentwickelt werden.
Anschließend verknüpfte der Sportsoziologe Dr. Jochen Mayer von der Eberhard Karls Universität Tübingen aktuelle Forschungsergebnisse zur Risikobereitschaft von Nachwuchsathleten mit dem Auftreten von sexualisierter Gewalt im Sport. Dazu gab er Antworten auf die Fragen: Wie gehen Spitzensportler und ihr Umfeld mit gesundheitlichen Risiken um? Wie entwickelt sich die Risikobereitschaft von Athletinnen und Athleten im Zuge der Sozialisation in den Spitzensport und wie sieht diese aus? Wenn Athleten zunehmend von ihrer Rolle als Spitzensportler eingenommen würden, entstünden starke Abhängigkeitsverhältnisse, die die situativen Voraussetzungen für sexuelle Übergriffe begünstigen könnten, sagte Mayer. Zudem stellte er die Vermutung an, dass die Athleten-Gruppen, die in besonderem Maße bereit seien, gesundheitliche Konsequenzen des Sporttreibens zu akzeptieren, in besonderem Maße gefährdet sein könnten, Erfahrungen sexualisierter Gewalt zu dulden.
„Wäre es bloß eine einfache berufliche Beziehung“, anhand dieses Satzes beschrieb Dr. Makis Chamalidis die Schwierigkeit, eine Trainer-Athlet-Beziehung zu gestalten. Für ein ausbalanciertes Nähe-Distanz-Verhältnis müssen die Beteiligten Regeln aufstellen, die stärker sseien als die emotionale Beziehung, so Chamalidis. Auf Basis seiner langjährigen Erfahrungen als Sportpsychologe, beispielsweise für den französischen Tennis- und Fußballverband, betonte er, wie bedeutend die Beteiligung von Eltern in diesem Zusammenhang sei. Zudem sei es wichtig, den Athletinnen und Athleten Zeit und Raum zu geben, sich ausdrücken zu können, ohne dafür beurteilt zu werden.
Forschungsprojekt als Grundlage
Elena Lamby, dsj-Referentin für Prävention sexualisierter Gewalt, fasste zusammen: „Das Hearing hat gezeigt, dass wir unser Forschungsprojekt als zukünftige Grundlage für unsere Arbeit brauchen, dass die Rahmenbedingungen für die Nachwuchsathletinnen und -athleten im Spitzensport einen wichtigen Baustein in der Präventionsarbeit darstellen und dass wir Trainerinnen und Trainer bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zu Athletinnen und Athleten unterstützen müssen.“
„Das Hearing hat uns einen großen Schritt weiter gebracht, um unsere bereits bestehenden Konzepte zur Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport weiterzuentwickeln. Basierend auf den Beiträgen der Expertinnen und Experten und den Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer können wir nun unsere Präventionsmaßnahmen an die Spezifik des Nachwuchsleistungs- und Spitzensports anpassen“, sagt dsj-Geschäftsführer Martin Schönwandt.
(Quelle: dsj)