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Gemeinsam Lösungen finden für die Herausforderungen im Spitzensport

Wie leitet man einen Olympiastützpunkt? Anne Gnauk hat diesen Posten am 15. März in Hamburg/Schleswig-Holstein übernommen und berichtet über ihre ersten Erfahrungen und die Herausforderungen des deutschen Leistungssportsystems.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

26.05.2025

Eine Frau steht in einem Fitnessstudio
Anne Gnauk im Kraftraum des Olympiastützpunktes im Hamburger Stadtteil Dulsberg.

Für die Natur wäre Regen wichtig, das weiß jemand wie Anne Gnauk, die gern und regelmäßig über den Horizont der Sportblase hinausschaut, natürlich. Trotzdem ist die 46-Jährige froh, dass Hamburg in den vergangenen Monaten vom Sonnenschein deutlich über die für diese Jahreszeit gewohnten Maße verwöhnt wurde. Um abzuschalten und den Kopf freizubekommen, geht sie gern die rund drei Kilometer, die zwischen ihrer Wohnung in Barmbek und der Arbeitsstelle in Dulsberg liegen, zu Fuß. Und Entschleunigung dieser Art, die konnte Anne Gnauk durchaus gebrauchen, denn seit sie am Mitte März die vakante Stelle der Leiterin des Olympiastützpunkts Hamburg/Schleswig-Holstein übernommen hat, fällt es ihr schwer, noch Lücken im Kalender zu finden.

„Die ersten Wochen waren wirklich sehr herausfordernd. Ich habe versucht, den Betrieb kennenzulernen: all die neuen Kolleg*innen, die Standorte und die Sportarten. Natürlich geht das nicht alles von jetzt auf gleich, aber mir war es wichtig, so viel wie möglich direkt kennenzulernen“, sagt Anne Gnauk, als sie den DOSB-Besuch in ihrem Büro am OSP empfängt. Schmucklos ist dieses noch, von ihrer Vorgängerin Ingrid Unkelbach, die zum Ende des vergangenen Jahres nach 24 Dienstjahren in Ruhestand gegangen war, hat sie lediglich ein Olympiaposter übernommen. Anne Gnauk, so viel wird schnell deutlich, setzt andere Prioritäten als ein gemütlich ausgestattetes Büro.

Es gibt ja auch genug andere Baustellen im Sport, in Hamburg und Schleswig-Holstein wie auch im Bund, und die auf Rügen geborene und aufgewachsene ehemalige Leichtathletin ist angetreten, um sich mit voller Kraft der Weiterentwicklung des Leistungssports zu verschreiben. Die wichtigste Aufgabe einer OSP-Leiterin sieht sie darin, „die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir unsere Athletinnen und Athleten bestmöglich auf deren Wettkämpfe vorbereiten können. Da haben wir in Deutschland sicherlich noch viel Optimierungspotenzial, und ich möchte dabei mithelfen, dieses zu erschließen.“

Anne Gnauk war bis Mitte März in der Geschäftsführung des HSV

Dabei war die Übernahme der entsprechenden Verantwortung für Hamburg und Schleswig-Holstein vor einem Jahr noch überhaupt nicht auf ihrer Agenda. Anne Gnauk, die 1997 zum Studium der Geografie, Journalistik und Ethnologie nach Hamburg gekommen war und sich dank ihrer Promotion über Landwirtschaftsentwicklung in Kenia mit einem Doktortitel in Geowissenschaften schmücken darf (was sie selten tut), war bis Mitte März dieses Jahres in der Geschäftsführung des Gesamtsportvereins HSV. Angefangen hatte sie dort 2010, nachdem sie im Anschluss an ihr Studium bereits mehrere Jahre im Sport gearbeitet hatte, im Bereich Kommunikation und Marketing, sie entwickelte das Spitzensportkonzept des HSV e.V., übernahm nach der Ausgliederung der Profifußballer im Jahr 2014 die Leitung Kommunikation und Marketing im Verein, verantwortete Satzungsänderungen und Strategiepapiere, vermarktete die HSV-Fußballerinnen und baute Personalstrukturen auf und um. Alles Themen, die ihr nun im neuen Job erneut begegnen.

„Ich kann viele meiner Erfahrungen, die ich beim HSV gemacht habe, in der neuen Position nutzen und einbringen“, sagt sie. Auf die Idee, sich umzuorientieren, wäre sie selber jedoch nicht gekommen. „Ich habe mich beim HSV sehr wohl gefühlt und bin von außen auf die ausgeschriebene Stelle aufmerksam gemacht worden. Als ich die Ausschreibung las, dachte ich: ‚Das bin ich!‘ Und erst dann habe ich angefangen, darüber nachzudenken, ob ich für den Sport im Norden noch einmal an anderer Stelle etwas bewegen könnte.“ Die Konsequenz dieser Überlegungen: Anne Gnauk bewarb sich, bekam den Zuschlag - und ist nun in der Findungsphase dafür, was sich alles bewegen ließe. Dabei komme ihr auch zugute, dass sie einige Jahre ehrenamtlich als Vizepräsidentin des Hamburger Sportbundes (HSB) mit Themen wie Zuwendungsrecht oder dem Fördersystem für den Spitzensport in Berührung gekommen ist. „Diese Themen sind trotzdem noch weitestgehend neu für mich, aber die Zeit im HSB war ebenfalls ein guter Nährboden für viele Inhalte, die jetzt zu meinen Aufgaben gehören“, sagt sie.

Ihre Vorgängerin hatte in den vergangenen Jahren den rapide fortschreitenden Wandel der Aufgabengebiete vom Gestalten zum Verwalten angemerkt. Anne Gnauk kann diese Herausforderung noch nicht final einschätzen. „Wieviel Gestaltungsspielraum bleibt, kann ich noch nicht absehen. Aktuell ist der Aufwand in diesem Bereich hoch, aber natürlich muss ich viele Abläufe erst noch kennenlernen und verstehen. Verwaltung ist ohne Frage ein wichtiger Teil der Arbeit als OSP-Leiterin, aber ich hoffe, dass sie mich nicht auffressen wird. Denn die konzeptionelle und weitere inhaltliche Entwicklung ist immens wichtig, um Schritt zu halten und unsere Sportlerinnen und Sportler exzellent zu unterstützen. Da stößt man sicherlich auch mal an finanzielle oder zeitliche Grenzen, aber dafür gilt es Lösungen zu finden, auch im gesamten Fördersystem Spitzensport“, sagt sie.

  • Anne Gnauk lächelt in die Kamera.

    Ich versuche, durch Zuhören alle Perspektiven aufzunehmen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Es ist mir wichtig, die Expertise und die Stärken aller Mitarbeitenden einzubinden, um daraus gemeinsam die besten Lösungen zu entwickeln.

    Anne Gnauk
    Leiterin Olympiastützpunkt
    Hamburg/Schleswig-Holstein

    Diese Lösungen will Anne Gnauk aber nicht allein suchen. Ihren Führungsstil beschreibt sie als „teamorientiert und kooperativ. Ich versuche, durch Zuhören alle Perspektiven aufzunehmen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Es ist mir wichtig, die Expertise und die Stärken aller Mitarbeitenden einzubinden, um daraus gemeinsam die besten Lösungen zu entwickeln“, sagt sie. Entsprechend dankbar sei sie für die Atmosphäre, die das Team, zu dem insgesamt rund 40 Personen zählen, in ihrer Startphase geschaffen habe. „Anfangs konnte ich kaum eine Mail beantworten, ohne jemanden nach Rat zu fragen, aber alle waren sehr hilfsbereit. Und weil ich mir Namen und Gesichter nicht so gut merken kann, haben bei meinem Willkommensfrühstück alle Namensschilder getragen, um es mir leichter zu machen“, sagt sie.

    Mittlerweile jedoch habe sie das Gefühl, angekommen zu sein, auch wenn die Herausforderungen nicht kleiner werden. Ende Juli geht ihr Stellvertreter Ronny Berndt in Ruhestand, zudem verlassen zwei wichtige Mitarbeiterinnen aus Verwaltung und Buchhaltung zu Ende Juni den OSP. „Ich hoffe, dass wir schnell adäquaten Ersatz finden und alles Weitere gemeinsam im Team auffangen. Für mich ist es spannend, auch mal wieder diejenige zu sein, die Fragen stellt und die Lernende ist. Eine solche Veränderung nach mehr als 15 Jahren im Job trägt auch dazu bei, selbst viele neue Impulse zu bekommen“, sagt sie.

    Dass zu dieser Veränderung auch gehört, an der einen oder anderen Stelle mehr im Fokus zu stehen, weiß Anne Gnauk. „Ich bin grundsätzlich nicht der Typ, der im Mittelpunkt stehen möchte. Aber ich habe auch kein Problem damit, vor vielen Menschen zu sprechen und mich für unsere Belange einzusetzen, wenn ich weiß, dass das notwendig ist, und diese Rolle habe ich jetzt deutlich mehr als im vorherigen Berufsleben“, sagt sie. Schließlich stehen richtungweisende Themen auf der Agenda. Der Bundesstützpunktstatus für die Schwerpunktsportarten Badminton, Beachvolleyball, Hockey, Rudern, Schwimmen und Segeln muss nach dem aktuell bis 2028 laufenden Zyklus gesichert, regionale Zielvereinbarungen müssen verhandelt werden. Dazu kommt der geplante Neubau des Hamburger Stützpunktes, der im kommenden Jahr beginnen und bis Ende 2028 abgeschlossen sein soll. „Das wird ein Leuchtturmprojekt für den Spitzensport, auf das ich mich sehr freue!“

    Anne Gnauk war bei drei Olympischen Spielen live vor Ort

    Und vielleicht wird Hamburg im kommenden Jahr sogar zum deutschen Kandidaten für eine Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele im Zeitraum 2036 bis 2044 ausgewählt. Aktuell ist die Stadt eine von vier Bewerberregionen, die beim DOSB bis zum 31. Mai ihre dazu nötigen Unterlagen einreichen wollen. „Eine solche Bewerbung würde dem Sport in Deutschland einen wahnsinnigen Schub geben, deshalb unterstütze ich das Vorhaben sehr. Es wäre großartig, wenn die Spiele nach Hamburg kommen würden, entscheidend ist aber generell, dass Deutschland nach vielen Jahrzehnten wieder einmal Olympische und Paralympische Spiele ausrichtet, um das größte Sportereignis und den Spitzensport im eigenen Land für jeden sichtbar und erlebbar werden zu lassen“, sagt sie.

    Als Sportfanatikerin, die sie ist, war sie bislang dreimal bei Sommerspielen vor Ort. „2004 in Athen, damals noch als Studentin, war ich als Fan dabei. 2016 in Rio de Janeiro war ich zwar auch auf private Kosten da, habe aber Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, die damals für den HSV antraten, bei ihrem Olympiasieg im Beachvolleyball begleitet. Und 2024 bin ich spontan mit meiner Schwester in Paris gewesen. Die Erlebnisse waren immer unglaublich faszinierend und inspirierend“, sagt sie. Ob sie 2028 in Los Angeles erstmals in offizieller Funktion vor Ort sein wird, kann sie nicht beurteilen - und ist für sie auch nicht entscheidend. „Entscheidend ist, dass wir es schaffen, unser Leistungssportsystem so aufzubauen, dass wir unseren Athletinnen und Athleten die bestmöglichen Bedingungen bieten können.“

    Auf diesen Weg hat sich Anne Gnauk gemacht. Sie hofft, dass die neue Aufgabe nicht so zeitintensiv ist, dass sie ihr eigenes Sportprogramm - mindestens zweimal pro Woche zu laufen sowie Kraft- und Stabilitätsübungen zu machen - noch weiter beschneiden muss. Stress bekämpfe sie dadurch, „Prioritäten zu setzen und das, was nicht sofort bearbeitet werden muss, auch mal liegenzulassen.“ Auf die Palme bringe sie, „wenn sich Dinge im Kreis drehen und trotz umfangreicher Diskussionen keine Entscheidung getroffen wird.“ Ein Amt im deutschen Leistungssportsystem, das ist ihr klar, wird sie dahingehend auf manche Probe stellen. Es wird nicht immer nur die Sonne scheinen, aber Anne Gnauk geht auch im Regen spazieren, wenn es sein muss.

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