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Neuer WADA-Code gilt ab Neujahr

Sportler, die betrügen und sich durch Dopingmittel einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen und denen diese Manipulationen nachgewiesen werden, sind demnächst offiziell nicht mehr „positiv“.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

13.11.2008

Vermutlich weil dieses Wörtchen zu negativ klingt, schreibt die Internationale Anti-Doping-Agentur WADA mit Beginn des Neuen Jahres eine veränderte Sprachregelung vor. Statt einer „positiven Probe“ soll es sich fortan um ein „von der Norm abweichendes Ergebnis“ handeln. So lautet eine der vielen Neuerungen im aktualisierten WADA-Code, der pünktlich und unverrückbar mit dem Neujahrstag 2009 in Kraft tritt und an den sich die internationalen Verbände in ihrem Wirkungsbereich ebenso strikt zu halten und ihn durchzusetzen haben wie die Spitzenverbände des deutschen Sports, die Athleten und selbstverständlich die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA). Längst läuft der Countdown. Schulungen, Weiterbildungen und Workshops haben derzeit Hochkonjunktur, um alle Beteiligten und Betroffenen in die Paragrafen einzuweihen. In den verbleibenden Wochen müssen sämtliche „Mitspieler“ für das weiter entwickelte weltweite System im Anti-Doping-Kampf fit gemacht werden. Das heißt zugleich, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, damit die WADA-Vorgaben vom und im deutschen Sport tatsächlich vom ersten Tag an umgesetzt werden können. 

Neue Regeln sorgen für „größere Gerechtigkeit im Einzelfall“ 

Der neue WADA-Code bringe für die Athleten hoffentlich international mehr Chancengleichheit. Ziel sei es, die „sauberen Athleten zu schützen“, betont der NADA-Vorstandsvorsitzende Armin Baumert, während NADA-Justitiarin Anja Berninger vor allem die „Harmonisierung“ des Regelwerks im gemeinsamen Vorgehen gegen das wohl größte Übel im Weltsport in den Vordergrund rückt. Auch werde nunmehr „größere Gerechtigkeit im Einzelfall“ garantiert, weil fortan die Umstände von Dopingvergehen und das individuelle Verhalten von Sündern bei der Strafbemessung stärkere Berücksichtigung finden. Die Folge der individuelleren Betrachtung und Gewichtung könnte allerdings sein, dass es weit mehr Indizienprozesse und juristische Auseinandersetzungen als bisher geben wird. 

Bei Sanktionen wird für Dopingvergehen weiterhin die Regelstrafe einer Sperre von zwei Jahren zugrunde gelegt. Strafbar sind wie bisher die Einnahme von unerlaubten Substanzen, die Verweigerung von Doping-Kontrollen, die Einflussnahme auf das Kontrollverfahren beispielsweise durch Manipulationen bei der Probenentnahme sowie der Besitz und die Verabreichung von Dopingmitteln sowie der Handel mit ihnen. Das Strafmaß kann im Einzelfall reduziert werden, allein durch Anwendung der so genannten Kronzeugen-Regelung um drei Viertel von zwei Jahren auf sechs Monate. Erstmals werden Geständnisse als strafmildernd berücksichtigt. Auch die Minderjährigkeit von Athleten kann Berücksichtigung finden. Umgekehrt kann das Strafmaß etwa bei systematischem Doping bis auf maximal vier Jahre heraufgesetzt werden. Bei Handel mit verbotenen Präparaten oder Verabreichung gilt sogar eine Mindestsperre von vier Jahren.  Überführte Sünder werden künftig nicht nur mit Wettkampfverbot bestraft. Der größeren Abschreckung wegen ist es ihnen in der Zeit, für die sie gesperrt sind, ebenfalls nicht erlaubt, an „organisierten Trainingsmaßnehmen“ teilzunehmen. 

Straffes Meldesystem als Basis fürs Kontrollsystem 

Voraussetzung für eine effiziente Arbeit der Kontrolleure wie für den Erfolg des Gesamtsystems im Anti-Doping-Kampf ist ein straffes und gut durchorganisiertes Meldesystem. Je präziser und umfassender die Aktiven zur Information über ihre Aufenthaltsorte verpflichtet sind, desto leichter wird es den Kontrolleuren gemacht, an der Tür zu klingeln um unangemeldeten Probe zu bitten, und desto mehr werden die Athleten gezwungen, sich an die Spielregeln zu halten. Das besondere Augenmerk gilt ab dem 1. Januar den absoluten Top-Athleten. Sie müssen sich der neuen „Ein-Stunden-Regel“ unterwerfen und täglich eine Stunde festlegen, in der sie von den Kontrolleuren an einem bestimmten Ort garantiert angetroffen werden können. Diese Information haben sie zum jeweils 25. Tag des Vormonats für das folgende Quartal gegenüber der NADA ebenso zu leisten wie die so genannten „Whereabouts“. Das  sind Angaben darüber, wo sich ein Athlet in den kommenden 90 Tagen vorzugsweise aufhalten wird. Für jeden einzelnen Tag des folgenden Quartals muss es vorab im persönlichen Kalender an die NADA einen Eintrag (insbesondere Wohnstätte sowie regelmäßige Tätigkeiten) geben, so verlangt es der neue WADA-Code zwingend.  

Betroffen von der „Ein-Stunden-Regel“ sind die rund 700 A-Kader und Athleten aus den Nationalteams der so genannten Risikogruppe 1 der für Doping anfälligsten Sportarten (RTP-Athleten). Diese Spitzenathleten  unterliegen beim veränderten Meldesystem sowohl der „Ein-Stunden-Regel“ als auch den „Whereabouts“. Sportler des nationalen Testpools, ebenfalls etwa 700, müssen für das folgende Quartal wie die RTP-Athleten  ihre „Whereabouts“ abgeben. Auf der untersten Ebene des allgemeinen Testpools reichen allgemeine Angaben wie die Wohnanschrift und Rahmentrainingspläne, um in diesem Bereich Stichproben durchführen zu können.  

Für das erste Quartal 2009 sind die Meldungen über das hierzulande gebräuchliche „Adams-„Meldesystem bis spätestens zum 25. Dezember abzugeben. Anschließend bleibt den Sportlern die Möglichkeit, ständig Korrekturen vorzunehmen, sollten die Abläufe in ihrem Alltag nicht mehr mit den im Voraus gemeldeten Daten deckungsgleich sein. Änderungen können sogar sehr kurzfristig, auch per SMS, mitgeteilt werden. Bei der „Ein-Stunden-Regel“ zum Beispiel kann diese Mitteilung eine Minute vor Beginn der „persönlichen 60 Minuten“ erfolgen. Wer allerdings meint, dies sei eine Einladung, um die Kontrollinstanzen zu narren und ständig auf falsche Fährten zu führen, der hat sich getäuscht. Im Gegenteil werden jene Sportler, die Änderungen wiederholt sehr kurzfristig vornehmen, die besondere Aufmerksamkeit der NADA und ihrer derzeit zwei Dutzend Mitarbeiter auf sich ziehen. Argwohn inklusive.  

NADA übernimmt Prüfung von Versäumnissen 

Pausenlos die vollständige Übersicht darüber zu behalten, ob von den Athleten sämtliche Meldeauflagen erfüllt sind und zugleich ständig zu erwartende Informationen der Sportler über veränderte Aufenthaltsorte sofort zu registrieren und zu berücksichtigen, das bedeutet für die NADA verwaltungstechnisch einen gehörigen Mehraufwand. Überdies wird der Arbeitsumfang erhöht, weil die nationale Agentur zusätzlich eine neue Aufgabe übernimmt. Die Umstände, warum ein Sportler gegen Meldeauflagen verstieß oder bei einer unangemeldeten Kontrolle nicht am angegebenen Ort angetroffen werden konnte, unterlagen bislang der Prüfung durch den jeweils zuständigen Verband. Nun erfolgt die genaue „Sachverhaltsermittlung“ bei einem Versäumnis durch die NADA selbst. Der Vorteil liegt auf der Hand: Vor allem kleinere Verbände werden infolge die Neuerung von der zum Teil kriminalistischen Detailarbeit befreit, die genauen Gründe für das Versäumnis herauszufinden. Hinzu kommt, dass durch die Übertragung dieser Aufgabe an die NADA künftig einheitliche Maßstäbe garantiert werden. Damit gehören Zeiten der Vergangenheit an, in denen Verbände bei entsprechenden Meldepflichtverstößen gegenüber ihren eigenen Athleten schon mal ein Auge zudrückten oder bei ihren Ermittlungen etwas lax verfuhren. „Manchen Verbänden ist es ganz recht, dass diese administrativen Aufgaben der genauen Klärung jetzt die NADA wahrnimmt. Das ist für viele Verbände eine echte Arbeitserleichterung“, weiß Christa Thiel als Sprecherin der Spitzenverbände. Sie begrüßt die Neuerung noch aus einem anderen Grund. Die Prüfung der näheren Umstände für eventuelle Versäumnisse der NADA zu übertragen, heiße zugleich, dass sich damit die Verbände künftig vor dem möglichen Vorwurf schützen, diese Aufklärung nicht gut und objektiv genug zu betreiben, um ihre Athleten zu schützen. 

Mindestsperre von einem Jahr erst nach zweimal „Gelb“ 

Werden Aktive, die der „Ein-Stunden-Regelung“ unterliegen, in der von ihnen angegebenen Stunde nicht angetroffen, dann liegt dem neuen WADA-Code zufolge ein Kontrollversäumnis vor. Verstoßen Top-Athleten und Aktive im nationalen Testpool gegen ihre Angaben bei den „Whereabouts“, dann handelt es sich offiziell um ein Melderpflichtversäumnis. In Bezug auf Sanktionen werden beide Kategorien gleich gestellt. Ein Kontrollversäumnis zieht ebenso eine „gelbe Karte“ nach sich wie ein Meldepflichtversäumnis. Neu am Meldesystem ist, dass erst nach zweimal Gelb die „rote Karte“ gezogen wird. Wird innerhalb von 18 Monaten drei Mal gegen Meldepflichten verstoßen, folgt eine Sperre von mindestens einem Jahr und höchsten zwei Jahren. Dabei macht es keinen Unterschied, ob falsche oder gar keine Angaben zum Aufenthaltsort gemacht oder die Athleten in der festgelegten Stunde von den Kontrolleuren nicht angetroffen wurden. „Was wir von den Sportlerinnen und Sportlern verlangen, ist viel“, räumt Berninger ein. Die „Einschränkung der Handlungsfreiheit“ diene jedoch einem höheren Gut, einem sauberen Sport und der Gesundheit der Athleten. 

Zuletzt gab es im deutschen Sport jährlich etwa 1.000 Fälle, in denen Aktive vom Kontrolleur nicht auf Anhieb angetroffen wurden oder ihre „Whereabouts“ nicht rechtzeitig abgegeben haben. Etwa 75 Prozent dieser Vorgänge erwiesen sich nach näherer Prüfung als nichtig, zum Beispiel, weil eine Mailadresse falsch angegeben wurde oder eine technische Panne zugrunde lag oder der Athlet im Rahmen seiner Rechte einfach mal ein paar Stunden Kaffeetrinken war. Musste bisher der Verband den Athleten nachweisen, dass sie sich nicht richtig verhalten hatten, so wird die Beweislast mit dem neuen WADA-Code umgekehrt. Ab sofort werden die Athleten ihre Unschuld nachweisen müssen. Wie bisher werden sie die Möglichkeit haben, sich persönlich zu äußern, jetzt der NADA gegenüber. Fällt die Anhörung überzeugend aus, können sich Fälle wie bisher von selbst erledigen. Andernfalls ist eine „gelbe Karte“ unumgänglich, wobei zuvor ein unabhängiges Gremium noch prüfen kann, ob die NADA verfahrenstechnisch einwandfrei vorging. Nach den Vorstellungen der NADA sollte diese verfahrenstechnische Überprüfung von einem Gremium vorgenommen werden, das unter dem Dach des DOSB angesiedelt ist. Eine endgültige Entscheidung darüber steht noch aus.  

„Verfahrenserzwingungsrecht“ erhöht Druck auf Verbände 

Was das juristische Prozedere anlangt, können Verfahren von Verbandsgerichten weiterhin in erster Instanz verhandelt werden. Als zweite Instanz sind diese Gremien künftig tabu. Falls der betroffene Sportler oder der Verband gegen das Urteil Einspruch einlegen will, schreibt der neue NADA-Code für die zweite Instanz zwingend ein vollends neutrales, ein „echtes Schiedsgericht“ vor. Gremien eines Verbandes können dieses Kriterium allein deswegen nicht erfüllen, weil sie ja von eben diesem Verband eingesetzt wurden. „Wenn gegen das in erster Instanz gefällte Urteil Rechtsmittel eingelegt werden, kommt anschließend in zweiter Instanz in jedem Fall kein Verbandsgericht mehr in Betracht“, bestätigt Christa Thiel, zugleich Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV), die Neuerung. Die Verbände haben jedoch weiterhin die Wahl, ob sie in zweiter Instanz zum Beispiel das neu geschaffene „Deutsche Sportschiedsgericht, angesiedelt bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit“ (DIS) oder lieber den internationalen Sportgerichtshof „Tribunal Arbitral du Sport“ (CAS) anrufen.  

Ein weiteres Novum wird sein, dass mit Inkrafttreten des überarbeiteten Codes der NADA verfahrenstechnisch mehr Rechte eingeräumt werden. Die NADA kann künftig aktiv werden, wenn Verbände trotz offensichtlicher Anzeichen eines Doping-Verstoßes innerhalb ihres Bereiches untätig bleiben. Liegt bei einem Dopingfall zusätzlich der Verdacht einer Straftat vor, kann die NADA künftig sogar erste Ermittlungen durch Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaft einleiten lassen, noch bevor der Athlet und der Verband über den ihm angelasteten Verstoß informiert wird. Mit Hilfe eines „Verfahrenserzwingungsrechts“ kann die NADA gegen erstinstanzliche Urteile offiziell ihr Veto einlegen und das Verfahren auf eine zweite Ebene bringen. Auch dies nährt Befürchtungen, dass die Sportgerichtsbarkeit ab dem nächsten Jahr infolge der „individualisierten Betrachtung“ von Dopingvergehen eine wahre Prozessflut gewärtigen muss.  

Laut Berninger wäre es der NADA ganz lieb, wenn die Verbände in der zweiten Instanz einheitlich den Weg über den DIS gehen würden. Eine der wesentlichen Harmonisierungen soll sein, dass in Sachen Dopingvergehen bei Sportlern ausschließlich die Sportgerichtsbarkeit bemüht wird und damit ordentliche Gerichte nicht mehr Schauplatz der Auseinandersetzungen sein sollen. Ob dies tatsächlich gelingt und alle Beteiligten auf den Gang vor Zivilgerichte tatsächlich verzichten, bleibt abzuwarten. Acht Spitzenverbände haben bereits Verträge mit diesem nationalen Sportgericht DIS in Köln abgeschlossen. Eine einheitliche Ansiedelung der zweiten Instanz beim DIS wäre aus Sicht der NADA sicher wünschenswert. Doch das könne jeder Verband so machen, wie er wolle, hält Thiel entgegen. „Wir beim Schwimm-Verband zum Beispiel werden weiterhin beim CAS bleiben.“ 

„Keinerlei Autonomierechte beschnitten“ 

Thiel zufolge werde die Sanktionierung bei Dopingvergehen weiterhin in den Händen der Verbände bleiben. „Wir haben darauf geachtet, dass uns keinerlei Autonomierechte beschnitten werden. Die Autonomie der Verbände wird durch die Neuerungen nicht eingeschränkt“, bekräftigt die Sprecherin. Mit diesem Hinweis wird zugleich auf die Grenzen der Zentrale des deutschen Anti-Doping-Kampfes hingewiesen. Natürlich sind die Verbände verpflichtet, an der praktischen Umsetzung des neuen NADA-Codes mitzuwirken und die Änderungen mit zu tragen. Zuwider-handlungen und Versäumnisse der Verbände in der Anwendung des neuen Codes kann die NADA allerdings nicht ahnden. Die Institution mit Sitz in Bonn arbeitet mit den Verbänden auf der Basis von Verträgen zusammen. Insofern könne die NADA bei Fehlverhalten der Verbände nur „eine Drohkulisse aufbauen“, indem bei Verstößen über das für Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundesverwaltungsamt den Verbänden beispielsweise öffentliche Zuwendungen gestrichen werden. Auf diese strukturell schwierige Situation der NADA, an der der neue Code prinzipiell nichts ändert, hatte bereits der frühere Geschäftsführer Christoph Niessen deutlich hingewiesen: „So wie es jetzt ist, sind wir bei all unseren Bemühungen auf die Bereitschaft und Mitwirkung der Verbände angewiesen. Wir bewegen uns auf der Basis von zivilrechtlichen Verträgen mit den Verbänden, weil es kein Gesetz gibt, das unsere Unabhängigkeit von vornherein garantiert“, sagte Niessen. „Wir sollen für einen sauberen Sport sorgen und brauchen zugleich die Mitwirkung der Verbände dafür. Das ist keine leichte Situation.“

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