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NOK-Ehrenmitglied Digel vor dem Humboldt-Forum in Berlin: Sportpolitik muss auf eine bessere Welt abzielen

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

20.12.2005

Nach der Neuorganisation des deutschen Sports hat sich der Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF), der Tübinger Sportwissenschaftler Prof. Helmut Digel, für Reformschritte ausgesprochen.

 

"Ein Ziel sollte sein, bei sportpolitischen Entscheidungen die Kommunikationswege zu verkürzen,", sagte Prof. Digel. Die Finanzmittel, die durch diese Reformschritte eingespart werden könnten, müssten der Basis zugute kommen, "dort, wo der Grundstein für Spitzensportleistungen gelegt wird, im Beziehungsfeld zwischen Heimtrainer und Athlet vor Ort", ergänzte das NOK-Ehrenmitglied.

 

Der Sportwissenschaftler wies darauf hin, dass der herkömmliche Nationalstaat an Steuerungskraft verlöre. Deshalb gelte es in unserer Gesellschaft, "neue Lebensinhalte zu finden, weil Werte wie Arbeit und beruflicher Erfolg fehlen". Der Wohnort bekäme verstärkt Integrationsaufgaben zugewiesen: Stadt- und Gemeindestrukturen, die auf den Pfeilern der Individualität entwickelt oder fortgeschrieben seien, müssten so verändert werden, dass sie menschliche Nähe und Sinnperspektiven ermöglichten. Digel: "Die zukünftige Sportpolitik ist daran zu messen, welchen Beitrag sie zu einer besseren Welt leistet. Der Mensch ist der Baumeister des Sozialen, er ist der Architekt der Lebenswelt im Sport."

 

Darüber hinaus können nach Digels Worten freiwillige Vereinigungen die soziale Integration des Einzelnen fördern, so dass er - egal, ob er einen Arbeitsplatz hat oder als Transferleistungsempfänger ausgegrenzt wurde - am sozialen und politischen Leben teilnehmen könne. Sportvereine sollten sich als "soziales Netzwerk" verstehen: "Sie geben Begleitschutz gegenüber einer Gesellschaft, die in Gefahr geraten ist. Dafür sind sozialpolitische Programme der Netzwerkförderung nötig. Die Ziele sollten sein: mehr Toleranz, Geduld und Teilungsbereitschaft." Diese neue Rolle für den Verein vor Ort zeige sich exemplarisch auf der Schwäbischen Alb: "Dort gibt es kein Rathaus mehr, keine Kirche - aber einen Sportverein", so Helmut Digel.

 

Der Wissenschaftler und Funktionär unterstrich: Der Sport sei eines der erfolgreichsten Kulturphänomene des 20. Jahrhunderts. Allerdings schreite die Ideologie des Marktes und die Durchökonomisierung aller Lebensbereiche voran, die Single-Mentalität breite sich aus. Deshalb sollte der Sport flexibel zum Rollenwechsel sein. "Die Sportpolitik nimmt viel zu selten Notiz von den gesellschaftlichen Veränderungen", meinte Digel. "Der Sport hat sich mit dem Hauptstrom der Gesellschaft identifiziert." Mit dem "neuen Bürgertum", das beim Sporttreiben "Wohlbefinden, Freude, Spaß und Selbstverwirklichung" suche. Digel forderte weiter, der Breitensport sollte sich über Gesundheitsangebote definieren; dabei dürften allerdings die Sportvereine "keinen Verkauf von Waren und Dienstleistungen" offerieren, sondern sollten sich auf den Kern des Sporttreibens zurückbesinnen - konkret: Angebote zur Gesundheitsvorsorge statt hedonistischen Fitness-Fetisch.

 

Prof. Helmut Digel war der erste Gastreferent beim "Humboldt Sportforum", das der Sportsoziologe Prof. EIk Franke von der HU Berlin ins Leben gerufen hatte. Die Veranstaltungsserie, die Anfang 2006 fortgesetzt wird, will "Hintergründe der Selbstverständlichkeiten des Sports" aufzeigen, aber auch Visionen für einen neuen Sportalltag im Dialog zwischen Sportwissenschaft und -praxis beschreiben.

 

Quelle: DSB-Presse

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