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Rote Zora im Revier

Im Turn- und Rasensportvereins (Tura) Bremen tanzen Kinder aus verschiedenen Nationen zusammen. Teil 9 der Projektporträt-Serie stellt auch ihr Tanz-Projekt mit autobiographischem Hintergrund vor.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

01.10.2014

Gröpelingen. Klingt nicht norddeutsch. Ist es aber. Nordwestdeutsch mit vielen Akzenten, um genau zu sein. Hier, in der Heimat des Turn- und Rasensportvereins (Tura) Bremen, liegen Bildungskennzahlen und Einkommensdaten unter dem Schnitt der Hansestadt und der Anteil der Menschen mit Migrationsgeschichte darüber. Im Mittel sind es etwa 40 Prozent (gegenüber 25 in ganz Bremen), bei Minderjährigen sogar rund 70 Prozent (gegenüber circa 50), je jünger, desto höher. Das ist der Hintergrund, vor dem Gerd Schweizer, Sportlicher Leiter bei Tura, sagt: „Integration findet bei uns in fast allen Abteilungen statt. In unseren Projekten wird diese Arbeit nur auf den Punkt gebracht.“

Auf einen entscheidenden Punkt allerdings. Ohne die Bewegungsnachmittage und vor allem die Tanztheater-Workshops, die er und sein Team mit Unterstützung des Landesprogramms von „Integration durch Sport“ (IdS) und lokalen Partnern organisieren, wäre der Verein deutlich ärmer, nicht nur an Mitgliedern. Und der Stadtteil, die Stadtteilkultur vor allem, wäre es mit ihm.

Tura bewegt circa 2700 Personen in 17 Sparten. Besonders im Fußball, im Kampfsport (Boxen, Judo, Karate, Taekwondo) und im Kinderturnen bildet sich das interkulturelle Umfeld ab, dort sind teils 50 Prozent der jungen Mitglieder ausländischer Herkunft. Entscheidende Ergänzung: In Abteilungen wie Boxen und „Fitness & dance“ melden sich immer mehr Mädchen mit Migrationshintergrund an. Im Allgemeinen ist diese Zielgruppe, speziell ihr türkisch kultivierter Teil, für Sportvereine sehr schwer zu erreichen. Dass Tura das gelingt, verdankt sich auch dem Tanztheater. „Wir versuchen immer, Kinder und Jugendliche aus diesen Projekten für unser reguläres Angebot zu gewinnen“, sagt Schweizer. Und die meisten Teilnehmenden sind halt Mädchen.

Die Integrations-Serie - alle 2 Wochen

Von Rügen bis Reutlingen, von Kiel bis Nürnberg. Von Basketball über Gorodki bis Tanztheater. Von der kulturellen Öffnung Einzelner bis zu jener von Großvereinen. Et cetera, denn Vielfalt ist das Stichwort, wenn das Programm „Integration durch Sport“ ab sofort und an dieser Stelle zeigt, wie es eigentlich funktioniert, so ganz genau und rein praktisch. Das folgende Projektporträt ist der Beginn einer Serie auf www.integration-durch-sport.de: Alle zwei Wochen stellen wir insgesamt 16 Initiativen vor, für jedes Bundesland eines: Geschichten, von denen keine der anderen ähnelt und die doch ein großes Ganzes ergeben. Nämlich ein Mosaik von Möglichkeiten, wie der Sport Verbindungen zwischen Kulturen schaffen und wachsen lassen kann.

 

Fünf Nachmittage in Herbst- oder Osterferien plus ein bis zwei Wochenenden im Jahr: Seit 2009 bietet Tura „Dance4Kids“ an. Im Jahr zuvor war Schweizer in die sportliche Leitung eingestiegen und hatte die Kooperation mit IdS gesucht. Das Programm brachte neben finanziellen Mitteln den Netzwerkgedanken und entsprechende Kontakte ein. Heute kommt „Dance4Kids“ auch mit Hilfe von „Wohnen in Nachbarschaft“ (WiN, ein Programm für sozial benachteiligte Stadtteile), der AOK und der Wohnbaugesellschaft GEWOBA zustande. Die monatlichen Bewegungsnachmittage, ein offenes Doppelangebot für Kinder bis vier respektive fünf bis zwölf Jahre, werden allein durch IdS gefördert.

Offen ist das Stichwort. „Dance4Kids“, laut Schweizer heute „fast ein Markenname“, bringt den Sport der Kultur nah und den Verein dem Stadtrevier. Hinter „Dance“ verstecken sich Hip-Hop, Break- und Bollywood Dance, hinter „Kids“ 7- bis 16- oder 18-Jährige, Mitglieder oder nicht. Überdies verbindet das Projekt die Teilnahme junger mit der Teilhabe etwas älterer Zugewanderter. Die Übungsleiter haben selten deutsche Wurzeln, und obwohl viele von ihnen Pädagogen sind, ist ihnen diese Arbeit teilweise neu. „Wir versuchen dafür Mitglieder mit Migrationshintergrund aus anderen Abteilungen zu gewinnen“, erklärt Schweizer. „Nicht wenige wollen danach eine dauerhafte Aufgabe übernehmen.“ Im Ergebnis „steigt die Zahl der Migranten unter unseren Übungsleitern kontinuierlich“.

Kondition trifft Choreografie: Die „Rote Zora“ haben sie eingeübt und in einem Nachbarschaftshaus aufgeführt, „Das fremde Land“ ebenso. In dem von 25 Kids selbst geschriebenen, über mehrere Workshops hinweg erarbeiteten Stück geht es um Kriegsflüchtlinge, Schleuser und ihren zunächst kalten Empfang in Deutschland – harter Stoff, aus dem Leben einiger Autoren gegriffen, darunter Flüchtlingskinder etwa aus Bosnien. Schweizer nennt das Projekt „ein Highlight“, das die Übungsleiter aber enorm belastet habe. „Sie haben die Kinder und Jugendli-chen ein halbes Jahr lang intensiv betreut, über den reinen Sport hinaus. Das war eine Situation, in der wir als Verein strukturell und finanziell an unsere Grenze kamen“, sagt er. Eine gemischte Erfahrung also. Aber hilfreich, Tura kennt jetzt seine Möglichkeiten: Beim nächsten Mal würde sich der Verein wohl einen Kooperationspartner suchen. Schweizer könnte sich Jugendeinrichtungen oder Bürgerhäuser vorstellen.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 40-41)

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