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Sporthelden bieten Momente des Glücks

Um die Inflation der Sporthelden, Ersatzreligion und Typen-Kult kreiste der zweite Vortrag beim 25. Darmstädter Sport-Forum.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

17.11.2010

Professor Karl-Heinrich Bette (TU Darmstadt) sprach über  „Sporthelden - zur Soziologie sozialer Prominenz“ und ergründete ein gesellschaftliches Phänomen. Es versetzt Massenmedien und Zuschauer-Schwärme gleichermaßen in Hysterie. Der Soziologe (Arbeitsschwerpunkte Abenteuer-, Risikosport, Doping) hatte eine Erklärung für die Lust am Heldenkult. „Eben weil er überflüssig ist, ist er für viele Menschen notwendig.“

Leistungssport und seine Lichtgestalten gefährdeten nicht die Funktionsweise der modernen Gesellschaft - im Gegensatz zur Politik, Wirtschaft und zur Religion, die an Glaubwürdigkeit und Orientierung einbüßten, sagte Bette. Beim Militär unterliege der Held Tod und Zerstörung. „Das alles sind Helden, die wir eigentlich nicht haben möchten.“ Je mehr gesellschaftliche Bereiche versagten (Wirtschaft, Politik) und ihr außerweltliches Heilsgewissen verlören (Kirche, Religion), desto größer sei die Sehnsucht nach Ersatz. Bette: „Der Sport bietet Momente des Glücks. Er zelebriert die Anbetung des modernen Subjekts.“

Spitzensport schafft Ereignis-Gesellschaften

Mit den privaten Fernsehsendern Anfang der achtziger Jahre seit die Heldenverehrung eskaliert. Bette: „Jeder wollte seinen Haushelden und das Monopol in der Helden-Berichterstattung.“ Das Warten auf die Götterdämmerung erzeuge Spannung beim Zuschauer, der live dabei sei, also dazu gehöre. „Der Spitzensport schafft Ereignis-Gesellschaften.“ Die Einbeziehung des Publikums sei ebenso einfach wie die Wahrnehmung über Sprachgrenzen hinweg. „Helden rufen keinen Sozialneid hervor, wenn sie Leistung bringen.“ Immer gehe es um Erscheinung,  Erhebung und Erniedrigung. „Helden sind theatralische Inszenierungen.“ Die Akteure seien greif- und sichtbar. „Es geht nicht um Gut und Böse sondern um Sieg und Niederlage. Hier ist Leistung unverzichtbar.“ Selbst die soziale Herkunft sei bei dieser Promi-Zunft hintergründig: „Sporthelden sind im Grunde profane Götter.“ Der Alltagsheld sei meist eine Sternschnuppe mit schnellem Verfallsdatum.

Sport-Ikonen würden dagegen mit Verabschiedungs- und Heimkehr-Ritualen verklärt wie in der Antike. Ihre Geschichten zeugten von Verwandlungen, Bewährung und Scheitern. Auf- und Ab-stiegsgeschichten, Comeback-Stories die Rückkehr Gefallener, die Kultstatus gewönnen, all das bewege die Gemüter und schüre die Emotionen. Männer dominierten die Sporthelden-Podeste. Bette: „Das ist die Deprivilegierung der Frauenrolle in unserer Gesellschaft.“ Im Profi- und Profit-Fußball, wo sich die Verehrung in geballter Form und ohne kritische Reflexion entfalte, traut der Darmstädter Sportwissenschaftler den Frauen am ehesten die Emanzipation zu: „Ich vermute, dass der Frauenfußball – nach der WM 2011 in Deutschland – in eine ähnliche Richtung geht.“

Sporthelden als Nothelfer

In Randsportarten – ein Arbeitsschwerpunkt Bettes – sagt er eine Heldenschwemme im Extremsport voraus: „Hier werden Sportarten inszeniert.“ Der Getränke-Multi „Red Bull“ arbeite  beharrlich auf diesem Sektor. Mit viel Geld dürfte der milliardenschwere „Energie-Drink-Konzern aus Österreich in nächsten zehn Jahren diesen Helden-Markt beherrschen, sagt Bette.

Den Massenmedien, ohne die die Inflation der Galionsfiguren nicht denkbar wäre, bescherten  Titanen, Kaiser oder tragische Verlierer, was Auflagen und Einschaltquoten garantiere. Bette: „Medien können Helden erzeugen. Sie können sie auch töten.“ Den Heldenkosmos gliedert der  Referent in lokale und globale Heroen, Kurz- und Langzeit-Helden. Im größten Medientheater, dem Fußball, unterscheidet er Sport Verteidiger- und Abwehrstrategen, Eroberer und Angreifer, Feldherren und Kaiser, Gerechtigkeits- und Rache-Engel, die sportliche Ehrgefühle befriedigen,  Retter und Erlöser, die nationale Katastrophen im Wettkampf abwenden.

Sporthelden, so Bette, dienten als Nothelfer, die Not werde oft bewusst erzeugt, und Märtyrer, die körperliche Opfergänge erlitten. Die tapferen Verlierer gehörten zur Inszenierung, auch der Anti- oder tragische Held, der vor den Augen der Zuschauer und Kameras seine Tragödie erlebe. „Das Publikum vergibt die Heldenrolle für die, die sich bemühen, es aber nicht geschafft haben.“ Doping, Drogen, vorsätzliche Verletzung des Gegners und Fehlverhalten seien dagegen überwiegend verpönt. Bette, seit 2002 am Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt: „Doping, das ist das Thema, wo heute die Helden getötet werden“.

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