Sportschutzgesetz: „Wir brauchen ein solches Gesetz nicht“
In der Folge des Wettskandals ist zum Jahresende 2009 auch die Diskussion um ein Sportschutzgesetz wieder aufgeflammt. Der Deutsche Olympische Sportbund lehnt ein solches Gesetz ab. Generaldirektor Michael Vesper äußert sich dazu im Interview.

20.01.2010
Das Interview führte Steffen Lüdeke. Es ist in gekürzter Fassung in den Tageszeitungen Die Welt und Berliner Morgenpost erschienen.
DIE WELT: Herr Vesper, weswegen sind sie gegen ein Sportschutzgesetz?
MICHAEL VESPER: Weil wir ein solches Gesetz nicht brauchen. Die Schwalbe im Strafraum sollte weiterhin der Schiedsrichter bestrafen. Und was Doping angeht, so haben wir mit der Reform des Arzneimittelgesetzes seit Ende 2007 eine Verschärfung der Rechtslage. Der Besitz „nicht geringer Mengen“ von Dopingmitteln ist seitdem strafbar, und das Strafmaß ist insgesamt erhöht. Dies reicht völlig aus. Man sollte Gesetze erst einmal konsequent anwenden, bevor man gleich nach neuen ruft.
DIE WELT: Die Staatsanwaltschaft sieht das anders und befürwortet ein Sportschutzgesetz.
VESPER: Davon weiß ich nichts. Ich hielte das auch für ein Ablenkungsmanöver. Die Staats-anwaltschaft hat doch schon jetzt jede Möglichkeit, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts zu ermitteln und sich ihres kompletten Werkzeugkastens zu bedienen, ob Hausdurchsuchungen, Telefon- oder auch Videoüberwachungen. Leider werden diese Möglichkeiten noch zu wenig genutzt.
DIE WELT: Barbara Stockinger, die Leitende Oberstaatsanwältin der Schwerpunkt-Staatsan-waltschaft Doping beklagt, dass ihr die Hände gebunden sind, weil es nach der geltenden Rechtslage keinen Ermittlungsansatz gibt.
VESPER: Das ist Unsinn. Mir kommt es gelegentlich so vor, als würden manche Staatsanwälte das neue Arzneimittelgesetz mit dem Ziel anwenden, zu beweisen, dass es nicht funktioniert. Durch die Strafbarkeit des Besitzes nicht geringer Mengen wurde vor zwei Jahren eine Tür aufgestoßen. Die Staatsanwaltschaft muss nur durch sie hindurchgehen.
DIE WELT: Gibt es also gar keine Punkte an denen eine Gesetzesänderung Verbesserungen bringen würde?
VESPER: Das Gesetz wird 2012 evaluiert, dann wird man weiter sehen. Ich ärgere mich darüber, wie die Diskussion inzwischen geführt wird. Einige Beobachter tun so, als hätten wir in Deutschland eine andere, schlechtere Gesetzeslage als andere Staaten. Das stimmt einfach nicht.
DIE WELT: Sie spielen auf die Debatte an, die das neue Gesetz in Österreich ausgelöst hat.
VESPER: Ja. Hier wird vielfach unreflektiert behauptet, dass das neue Gesetz in Österreich den dopenden Sportler strafrechtlich belangt.
DIE WELT: Fälschlicherweise.
VESPER: Genau. Das ist eine Fata Morgana. Wer das Gesetz und die Begründungen zu den Paragrafen liest, stellt fest, dass das Gegenteil der Fall ist. „Die effiziente Bekämpfung von Sportbetrug im Zusammenhang mit Doping ist im Rahmen der bestehenden Straftatbestände des Strafrechts zu verschärfen und sicherzustellen“, wird dort zum Beispiel zitiert. Und weiter: „Gegenüber der Schaffung eines eigenen gerichtlichen Straftatbestandes für den Besitz und den Konsum von Dopingmitteln wird eine ablehnende Haltung eingenommen.“ Dieses Gesetz zum Vorbild für Deutschland zu erklären und deswegen hier ein Sportbetrugsgesetz zu fordern, ist geradezu lächerlich. Österreich geht keinen Deut weiter als die Gesetze in Deutschland. Noch einmal: Wir haben kein Regelungsdefizit, es hapert an der Umsetzung.
DIE WELT: Was spricht denn dagegen, der Staatsanwaltschaft neue Mittel an die Hand zu geben und zu gucken, ob sie diese konsequent umsetzt?
VESPER: Damit würde Doping nicht besser bekämpft. Es ist eher umgekehrt: Wir machen den Kampf gegen Doping komplizierter, wenn der Staat den dopenden Sportler ins Visier nimmt.
DIE WELT: Inwiefern würde dies den Dopingkampf komplizierter machen?
VESPER: Heute teilen sich Sport und Staat die Arbeit. Der Staat verfolgt mit seinen Mitteln die Hintermänner, ohne die Doping nicht mehr möglich ist. Der Sport kümmert sich um die dopenden Sportler, bestraft sie hart und vor allem schnell. Würde man sie zusätzlich auch noch staatlicherseits sanktionieren wollen, bestünde die Gefahr zweier paralleler Rechtslagen. Und das schafft Probleme, erstens weil vor staatlichen Gerichten die Unschuldsvermutung und damit ein anderer Beweismaßstab gilt und zweitens weil wir die ganze Komplexität des staatlichen Rechtssystems auf einen Tatbestand übertragen würden, der im Sport schnell, effizient, kompetent und hart bestraft wird. Müsste der Sport immer befürchten, dass ein staatliches Gericht später anders entscheidet, würde in der Sportgerichtsbarkeit große Verunsicherung entstehen.
DIE WELT: Warum?
VESPER: Weil wir nun mal die unterschiedlichen Beweismaßstäbe haben. Ein positiv getesteter Sportler gilt vor dem Sportgericht als überführt und müsste seine Unschuld beweisen. Vor einem staatlichen Gericht müsste dem Sportler trotz einer positiven Probe die Schuld nachgewiesen werden. Es ist deswegen möglich, dass Sportler vor dem Amtsgericht freigesprochen würden, nachdem sie von einem Sportgericht verurteilt wurden.
DIE WELT: Wo ist der Unterschied zur bestehenden Rechtslage? Zeigt nicht gerade der Fall Pechstein, dass Urteile von einem Sportgericht letztlich immer von einem staatlichen Gericht überprüft werden können?
VESPER: Nein. Claudia Pechstein hat sich zwar an das Schweizerische Bundesgericht gewandt. Dort findet aber keine inhaltliche Kontrolle des CAS-Urteils statt. Das Bundesgericht prüft lediglich formelle Fehler. Das muss ja nicht das Ende sein.
DIE WELT: Pechstein hat angekündigt, alle Instanzen auszunutzen. Denkbar ist also auch, dass sie sich beispielsweise an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wendet. Dort würde dann sehr wohl eine inhaltliche Kontrolle stattfinden.
VESPER: Dieser Weg steht jedem Bürger der EU offen. Aber in die Zukunft gedacht, kann doch niemand wollen, dass man mit Sanktionen gegen dopende Sportler wartet, bis ein Urteil des EGMR vorliegt.
DIE WELT: Natürlich nicht. Aber die Sportgerichte wären ja nicht gehindert, weiterhin schnell und unmittelbar gegen dopende Sportler vorzugehen.
VESPER: Die Verbände müssten mit horrenden Schadenersatzklagen rechnen, wenn später ein staatliches Gericht den gesperrten Sportler freispricht. Den dopenden Sportler zu kriminalisieren, bringt nichts.
DIE WELT: Sie sind also nicht der Meinung, dass ein dopender Sportler ein strafrechtswürdiges Verhalten zeigt?
VESPER: Große kriminelle Energie bringen vor allem die Hintermänner auf. Sie gehören vom Staat bestraft, die Sportler vom Sport. Würde man einen dopenden Sportler auch vor dem Strafgericht sanktionieren, wäre er ja doppelt bestraft. Ich glaube nicht, dass dies angemessen ist.
DIE WELT: Glauben sie nicht, dass es eine abschreckende Wirkung hätte, müsste der dopende Sportler mit Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft und einer Verurteilung durch die Strafgerichte rechnen?
VESPER: Ich bitte Sie! Es gibt doch keine größere Abschreckung als das, was schon jetzt mit Sportlern passiert, denen Doping nachgewiesen wird. Die stehen doch alle vor dem Aus. Hinzu kommt die Ächtung durch die Öffentlichkeit. Das ist doch viel abschreckender als ein Verfahren vor einem Amtsgericht. Für Ersttäter gäbe es dort in der Praxis ohnehin nur Geld- und Bewährungsstrafen, die doch angenehmer sind als eine Sperre, die einem Berufsverbot gleichkommt.
DIE WELT: Der Entwurf von Beate Merk stellt nicht nur das Dopen unter Strafe, sondern sieht einen allgemeinen Straftatbestand Sportbetrug vor, der Manipulationen jeglicher Art im sportlichen Wettbewerb ahnden will. Glauben sie vor dem Hintergrund des Fußballwettskandals, dass ein solcher Sportbetrugsparagraf in Teilen erforderlich ist?
VESPER: Nein. Betrug ist bereits strafbar. Es besteht da keine Regelungslücke. Das ist so nicht richtig. Der Fall Hoyzer hat gezeigt, dass Manipulationen von Außen betrugsrelevant sein können. Allerdings nur dann, wenn auf den Ausgang des Spiels Wetten platziert wurden.
DIE WELT: Geschützt ist lediglich das Vermögen der Wettanbieter. Nicht hingegen die Lauterkeit des Wettbewerbs, des Sports an sich. Besteht nicht auch ein Bedürfnis für eine Bestrafung, wenn ein Spiel manipuliert wurde, auch ohne auf den Ausgang des Spiels zu wetten?
VESPER: Natürlich. Und das geschieht auch – durch die Sportgerichte. Wollen Sie das in die Hände von Staatsanwälten und Richtern legen? Wo ist dann die Grenze?
DIE WELT: Dann hätte man Thierry Henry nach seinem mit Handspiel erzielten Entscheidungstor vom Platz weg verhaften müssen. Es ist doch eine klare Grenzziehung möglich zwischen spielimmanenten Handlungen wie Handspiel und Schwalbe und solchen, die im Vorfeld geschehen und darauf abzielen das eigene Team zu schwächen.
VESPER: Das ist doch aber sehr konstruiert. Wer soll daran Interesse haben, ohne zugleich auf den Ausgang des Spiels zu wetten?
DIE WELT: Zum Beispiel der vermögende Fan, der nicht will, dass sein Team absteigt.
VESPER: Na ja. Ob das nicht doch als Betrug strafbar ist, muss man sehen. Ansonsten kann solche Fälle der Sport regeln. Es ist doch ein Kinderglaube, dass wir plötzlich eine heile Welt hätten, nur weil wir einen neuen Straftatbestand einführen, an dessen Verfassungsmäßigkeit es im Übrigen erhebliche Zweifel gibt. Ich kenne keinen überzeugenden Versuch, einen Sportbetrugstatbestand so zu formulieren, dass er dem Bestimmtheitsgrundsatz entspricht.