Sportvereine sind Bastionen der Demokratie
Das Jubiläum zum 150-jährigen Bestehen des kleinen Frankfurter Sportvereins TV Seckbach als Brennglas großer Sportpolitik. DOSB-Vizepräsident Martin Engelhardt begeistert mit seiner Laudatio.

17.06.2025

Deutlich über 30 Grad Celsius auf dem Thermometer bildeten den tropischen Rahmen für einen Besuch von Martin Engelhardt an der sportlichen Basis. Die rund 800 Mitglieder des eher kleinen örtlichen Turnvereins in Seckbach begingen dessen 150. Geburtstag, und als Gastredner erschien der Vizepräsident des großen Dachverbandes Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB). Es war so etwas wie eine veritable Sensation für diesen beschaulichen Stadtteil - und ein Abend, an dem der DOSB-Vize an der sportlichen Basis hautnah den Puls fühlte und umgekehrt dieser unscheinbare TV Seckbach 1875 e.V. unvermittelt zum Brennglas großer aktueller Sportpolitik geriet.
Unter anderem auch, weil zugleich Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef in der betagten Sporthalle vor mehr als 140 Gästen auftrat und sich höchstselbst bei diesen und sämtlichen Mitgliedern des Jubilars bedankte: Schließlich seien es all diese Menschen, die hier unterm Vereinsdach für Sport und Bewegung, für gemeinsame Erlebnisse und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung sorgten. Gerade in Zeiten wie diesen brauche es die Sportvereine „als Anker, an denen sich die Menschen festhalten können“.
Persönlicher Dank von Frankfurts Oberbürgermeister
Manch ungläubiger Blick ging bei solchen Worten durch die Stuhlreihen, manches Erstaunen huschte da über Gesichter im vollbesetzten Saal, wo normalerweise vom Eltern-Kind-Turnen bis zur Stuhlgymnastik für die Hochbetagten von Montag bis Sonntag das pralle sportliche Leben in vielen seiner Facetten zu Hause ist. Haben wir gerade richtig gehört? Der erste Mann unserer Stadt, die viele als „deutsche Sport-Hauptstadt“ titulieren, hat uns soeben seinen persönlichen Dank abgestattet für das, was wir hier tun. Sport im Verein ist also gar nicht so selbstverständlich und die natürlichste Sache von der Welt, wie wir zumeist glauben und darüber entsprechend wenig Worte machen? Wie bitte? Es sei gar etwas ganz Großes, was wir hier machen, wie der Festredner vom DOSB gerade ausführt? „Es sind Leistungen, die Sie für die ganze Stadt vollbringen und für das Gemeinwohl“, so Martin Engelhardt. „Sportvereine sind Bastionen für die Demokratie!“
Schließlich zitierte der DOSB-Vizepräsident aus der Festschrift des Vereins zum runden Jubiläum, weil man es „treffender nicht sagen“ könne: „Sind Sportvereine in einer immer mehr technisierten, sich immer schneller drehenden Welt noch vonnöten und zeitgemäß?“, wird hier mit Blick in die Zukunft gefragt. „Werden sie weiterhin vom Publikum angenommen oder aussterben wie dereinst die riesengroßen Urtiere? Wir im kleinen Stadtteil Seckbach beantworten die Frage mit einem glatten Ja! Ganz bestimmt wird der Verein an sich und hoffentlich auch unserer hier überleben und für die Menschen ringsum eine sportliche Heimat bleiben. Für manchen sogar ein regelrechtes Zuhause in einer immer hektischeren, unpersönlicheren Zeit. Wenn die Corona-Ära einen Nutzen hatte, dann wohl den zu demonstrieren, wie sehr Menschen in jener Phase der Lockdowns ihren Sportverein vermissten, wie hilfreich diese Institution zum Beispiel gegen die neue Volkskrankheit Vereinsamung und Einsamkeit wirkt, von ihren anderen sozialen und gesundheitlichen Vorzügen gar nicht zu sprechen wie vom unvergleichlichen Beitrag der Sportvereine zum körperlichen und geistigen Wohlbefinden."
Nicht umsonst habe die deutsche UNESCO-Kommission die „Gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur” 2021 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. „Somit könnten auch wir in Seckbach gut und gerne ein Schildchen an unserer Turnhalle anbringen mit dem Vermerk: Weltkulturerbe! Und wie selbstverständlich gehört weiterhin die Verwurzelung im Stadtteil dazu, die Kooperation mit den uns benachbarten und befreundeten Vereinen und anderen Organisationen. Dieses Mitmenschliche im Verein selbst und darüber hinaus, das ist im Wesentlichen jenes Elixier, das diesen Verein so lebens- und liebenswert macht. Ein echtes Kulturgut eben, das Zukunft hat.“
Von diesem Gedanken bis zu Martin Engelhardts „Hochrechnung“, dass wie der TV Seckbach sämtliche rund 86.000 Sportvereine im Bundesgebiet als „Keimzellen der Demokratie“ anzusehen sind, war es da nur ein kleiner gedanklicher Schritt. Und ebenso bis zu seiner grundsätzlichen Aussage, dass es gewissermaßen die erste Bürgerpflicht ist, diese Vereinskultur und -landschaft mit ihren insgesamt fast 29 Millionen Mitgliedern in deren Existenzgrundlagen zu erhalten und zu stärken. Als da vor allem zwei elementare Säulen sind: Die Sportstätten als die äußere Hülle sowie die ehrenamtlichen Vorstände, Übungsleiter, Trainer und Helfer als die menschliche Komponente, ohne die sich praktisch nichts und niemand bewegen lasse.
„Das ist ein gesellschaftliches Pfund, aber offen gestanden machen wir viel zu wenig daraus“, erklärte Martin Engelhardt, was ihm vom Publikum spontanen Szenenapplaus eintrug. „Mit diesem Pfund im Rücken müssten wir uns als organisierter Sport viel mehr einmischen als bisher und von der Politik einfordern, dass sie den gesellschaftlichen Stellenwert des Vereinssports besser erkennt, würdigt und unterstützt.“ Eine sportpolitische Feststellung ersten Ranges und vom TV Seckbach anschaulich aufs Einzelbeispiel heruntergebrochen. „Die Zukunft eines Vereins ist gesellschaftlich gesehen ein hohes Gut für alle Generationen. Im Turnverein Seckbach haben wir in den vergangenen Jahren besonders einen Schwerpunkt für Menschen im höheren Alter festgestellt und freuen uns sehr, wie treu unsere langjährigen Mitglieder zu uns halten“, weiß Eva Hess als Jugendsportverantwortliche und ob ihrer 30 Jahre die Zukunft ihres Vereins in Persona. „Daher ist es für die weitere Entwicklung des Vereins von hoher Bedeutung, weiterhin für unsere älteren, langjährigen und treuen Mitgliederinnen und Mitglieder da zu sein - und zugleich neue und vor allem junge Mitstreiter zu gewinnen.“
Nutzwert aller Frankfurter Ehrenamtler im Sport: 140 Millionen Euro
Damit dies gelingt, sollen die Angebote für Kinder und Jugendliche sukzessive erweitert werden, um damit für Familien in Seckbach und Umgebung attraktiver zu werden. „Wir würden gern für alle Abteilungen genügend und passende Angebote gestalten. Dafür benötigen wir unbedingt Trainerinnen und Trainer! Ohne sie geht es nun mal nicht. Leider herrscht in der heutigen Zeit ein großer Übungsleitermangel, der uns vor große Herausforderungen stellt“, berichtet Eva Hess. Die logische Konsequenz: Jeden animieren und unterstützen, über eine Trainerlizenz wenigstens nachzudenken - und sie im besten Fall zu erwerben. Der TVS hilft auf diesem Weg nicht nur finanziell, sondern taugt zugleich als eine Art „große Spielwiese“, um neue Gruppen zu begründen und ihnen die ersten Schritte zu erleichtern.
Was die Gesamtsituation in Frankfurt anlangt, konnte Roland Frischkorn als langjähriger Vorsitzender des Sportkreises Frankfurt am Rande des runden Seckbacher Vereinsjubiläums mit neuen Zahlen aufwarten. In vielen Sportarten müssten die mehr als 120 Sportvereine in der Main-Metropole einen „Aufnahmestopp“ verhängen. Um der Nachfrage Herr werden zu können, bräuchte es in der Stadt „zehn zusätzliche Dreifeldhallen“. Aktuell weisen die Frankfurter Sportvereine 341.248 Mitglieder, sieben Prozent mehr als 2024 und fast ein Drittel mehr als 2021 auf. Als Roland Frischkorn im Jahr 2000 - damals just zum 125. Geburtstag des TV Seckbach - an die Spitze des Sportkreises gewählt wurde, hätten die Mittgliederzahlen bei maximal 140.000 gelegen, entsprechend habe es im Verlauf des vergangenen Vierteljahrhunderts einen beträchtlichen Aufschwung gegeben.
Was dabei beim „Gesundheitsanbieter Nummer 1“ ehrenamtlich geleistet wird, illustriert der erfahrene Sportpolitiker anhand einer eindrucksvollen Privatrechnung. „Es wird immer sehr verallgemeinernd über den Wert dieser ehrenamtlichen Arbeit für die Gesellschaft gesprochen. Für Frankfurt habe ich das einmal etwas griffiger herauszufinden versucht. Die Bezüge aller Stadtverordneten zugrunde gelegt, beläuft sich der Nutzen aller Ehrenamtler im Sport für die Stadt auf jährlich mehr als 140 Millionen Euro. Das ist doch gewaltig.“