Stolpersteine gegen das Vergessen
Genau 1914 Stolpersteine, die an die Verbrechen der braunen Diktatur erinnern, gibt es inzwischen in Berlin. Am Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking kamen zwei weitere hinzu- zum Gedenken an zwei außergewöhnliche Leichtathleten.

12.08.2008

Dr. Otto Peltzer und Lili Henoch sorgten in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts für sportliches Aufsehen und wurden dennoch Opfer eines menschenverachtendes NS-Regimes. Peltzer war 15-facher Deutschen Meister auf den Mittelstrecken und erlangte 1926 durch seinen Sieg über Finnlands Lauf-Legende Paavo Nurmi Weltruhm. Henoch holte im Kugelstoßen, Diskuswerfen, Weitsprung und mit der 4x100-m-Staffel des Berliner SC insgesamt zehn nationale Titel.
Die Stolpersteine
Stolpersteine sind kubische Betonwürfel mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern, die vor ehemaligen Wohnhäusern der Betroffenen niveaugleich in das Pflaster des Gehweges eingelassen werden. Auf der Oberseite dieser kleinen Mahnmale sind individuell beschriftete Messingplatten angebracht, die an das Schicksal von Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgter, körperlich und geistig Behinderter, Homosexueller, Zeugen Jehovas und Euthanasieopfer erinnern und deren Namen lebendig erhalten sollen, die einst von den Nationalsozialisten ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Freitod getrieben wurden.
Die Ursprungsidee der kleinen Steine stammt von dem 1947 in Berlin geborenen und in Köln wirkenden Künstler und Bildhauer Gunter Demnig.
Gedenken am letzten Wohnort
Das Gedenken soll dort stattfinden, wo einst die Ausgrenzung begonnen hat, möglichst am letzten Wohnort. Bei Lili Henoch ist es die Treuchtlingerstraße 5 im Bezirk Schöneberg gewesen, bei Peltzer die Jahnstraße in Kreuzberg, wo er längere Zeit Unterschlupf bei einer Jüdische Familie gefunden hatte. Die Patenschaft über die zwei Stolpersteine übernahm übrigens der Deutsche Leichtathletik-Verband, der durch seinen Ehrenpräsidenten Theo Rous bei der ersten Begehung dabei war und in einem Symposium nicht nur die Verdienste der beiden Sportler würdigte, sondern auch ihren Leidensweg skizzierte.
Otto, der Seltsame
„Peltzer (1900-1970) war ein überragender, aber nicht unumstrittener Athlet“, sagte Rous, „er zeichnete sich durch Selbstbewusstsein und kritische Kommentare aus. Er ging gern eigene Wege und wurde deshalb auch von seinen damaligen Kameraden Otto der Seltsame genannt.“ Berühmtheit erlangte er, der Diplomsportlehrer, Sportwissenschaftler, Trainer und Buchautor war, durch seinen sensationellen Sieg am 11. September 1926, als er im Deutschen Stadion von Berlin vor 30 000 begeisternden Zuschauern nach packendem 1500-m-Rennen nicht nur Nurmi bezwang, sondern in 3:51,8 Minuten auch einen neuen Weltrekord aufstellte. Das Gleiche war ihm an der Stampford Bridge in London gelungen, wo er über 880 Yards den zweifachen britischen Olympiasieger Douglas Lowe in 1:51,6 schlug und anschließend von Queen Mary geehrt wurde.
Obwohl der für den SC Preußen Stettin startende Läufer 1933 in die NSDAP und SS eintrat, weil er sich davon ein besseres berufliches Fortkommen versprach, fiel er wegen seiner internationalen Kontakte und zu jüdischen Mitbürgern in Ungnade und wurde wegen seiner Homosexualität anderthalb Jahre, von 1935 bis 1937, in das Gefängnis Berlin-Plötzensee gesteckt. Nach seiner Entlassung ging Peltzer für einige Zeit nach Schweden, kehrte aber 1941 auf Druck der Nazis zurück und wurde anschließend sofort ins KZ Mauthausen/Österreich verbannt, wo er dank seiner guten körperlichen Konstitution überlebte. Nach Kriegsende versuchte er sich als Trainer in Australien, Indien, Südkorea, Malaysia und Japan mit mehr oder weniger Erfolg, ehe es ihn doch wieder nach Deutschland zurückzog, wo er aber wegen seiner politischen Äußerungen in die Ecke von Kommunisten gestellt wurde.. Erst sehr spät erinnerte sich der DLV an ihn und stiftete 1999 eine Otto-Peltzer-Medaillle, die an jene Athleten vergeben werden soll, die durch hervorragende Leistungen, aber auch mündiges Handeln und kritische Solidarität sich auszeichnen.
Der weibliche Nurmi
Lili Henoch (1899-1942) wurde wegen ihrer Dominanz zwischen 1922 und 1926 in einer gerade erst aufblühenden Frauen-Leichathletik von Journalisten euphorisch der weibliche Nurmi genannt, obwohl sie ganz andere Disziplinen bestritt. Zehn Deutsche Meisterschaften, dazu vier Weltrekorde sprechen eine beredte Sprache. Dazu zeigte sie auch im Hockey und Handball überdurchschnittliche Leistungen. Als 1933 die Nazis an die Macht kamen und den Arierparagraph verbindlich über die Mitgliedschaft in einem Verein machten, entschloss sich in vorauseilendem Gehorsam der Berliner SC, seiner Top-Sportlerin den Stuhl vor die Tür zustellen und den Ausschluss in die Tat umzusetzen.
Vorübergehend fand die Berlinerin beim jüdischen Turn- und Sportclub von 1895 eine neue Heimat, wo sie als Übungsleiterein wirkte, doch damit war es 1938 auch vorbei. Vom goldenen Adler (dem Markenzeichen für eine erfolgreiche Athletin beim BSC) zum gelben Stern (den Juden tragen mussten), so formulierte Martin Heinz Ehlert den Titel einer Broschüre über eine Frau, die Geschichte schrieb.
Am 5.September 1942 wurde Lili Henoch mit ihrer Mutter Rose Medelsohn und vielen anderen Leidensgenossen angeblich zum Arbeitseinsatz nach Riga deportiert, wo sie nach Recherchen des Kölner Sporthistorikers Dr. Thomas Schnitzler jedoch schon wenige Tage später den Tod fand – wahrscheinlich durch Erschießen.
Mehr Stolpersteine für Sportler und Sportlerinnen
Welcher allgemeinen Wertschätzung sich Lili Henoch noch heutzutage erfreut, geht schon daraus hervor, dass in Berlin eine Straße, eine Halle, ein Sportplatz und Frauen-Sportfest nach ihr benannt wurden. Jetzt wird auch mit einem Stolperstein ihrer gedacht. Dieses kleine Mahnmal in einem Gehweg soll ein Stein des Anstoßes zum Nachdenken sein, um das dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht zu vergessen, sich an Sportler zu erinnern, die sich gegen die Willkür stemmten.
In Deutschland gibt es, so Carola Weinholz und Gabriele Kühne von der Berliner Koordinationsstelle, inzwischen rund 15 000 dieser Stolpersteine, doch in Sachen Sport besteht noch ein großer Nachholbedarf. Berlin machte mit Henoch und Peltzer jetzt einen Anfang, dem mehrere folgen werden.