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Wer ist der Beste?

Für die Welt des Sports ist es eine ihrer grundlegenden Ideen, in allen Sportarten den oder die jeweils Beste zu ermitteln.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

11.12.2013

Gesucht wird der Sportler des Jahres, der Fußballer des Jahres und der Leichtathlet des Jahres. In manchen Sportarten sucht man auch den Sportler des Jahrhunderts. Inzwischen haben auch einige Sportarten eine „Hall of Fame“ eingerichtet und auch hier sollen nur die Besten einen Platz in der Ahnenkultur einer Sportart erhalten. Betreiben beide Geschlechter eine Sportart, so gibt es eine weibliche und männliche Variante der Suche und wird die Sportart als Mannschaftssport betrieben, so ist die Suche nach der Mannschaft des Jahres folgerichtig.

In den Wettkämpfen der verschiedenen Sportarten findet man die jeweils Besten auf der Grundlage kodifizierter Regeln. Diese geben die Rahmenbedingungen vor, wie ein Sieger in einem Handballspiel, der Beste in einem 100m-Lauf oder in einem Schießwettbewerb ermittelt werden muss. Grundlegend für die niedergelegten Regeln der jeweiligen Sportarten ist das Prinzip des Fair Play, denn die besten Leistungen sollen auf ehrliche und faire Weise erbracht werden. Nicht Betrüger sollen die Besten sein, sondern jene sollen ausgezeichnet werden, die sich an einem chancengerechten Wettkampf dank ihrer persönlichen Leistungen als Beste erwiesen haben.

Wird bei Wahlen das Prinzip des Fair Play angewendet?

Für die „Wahlwettkämpfe“ im Sport gibt es aus gutem Grund nur selten kodifizierte Regeln. Meist werden lediglich einige Prinzipien vorgegeben, an denen sich jene auszurichten haben, die ihre Stimme abgeben, um die Sportlerin und den Sportler oder die Fußballerin und den Fußballer des Jahres zu küren. Für die Sportlerinnen und Sportler stellt sich bei diesen wettkampfähnlichen Auseinandersetzungen dennoch die Frage, ob dabei das für den Sport so wichtige Prinzip des Fair Play angemessen beachtet wird und ob Athletinnen und Athleten gleiche Chancen haben, die außergewöhnliche Würde eines Sportlers des Jahres zu erreichen. In einer Welt des Spitzensports, die von einer Dreiecksbeziehung der Massenmedien, der Wirtschaft und der Zuschauer geprägt wird und in deren Zentrum die ökonomischen Interessen des Sports stehen, geht es bei diesen Wahlen ja ohne Zweifel nicht nur um Ruhm, sondern um den Marktwert von Athleten und aus nahe liegenden Gründen wird jede dieser Wahlen aus Promotions- und Kommunikationsinteressen durchgeführt, die von der Logik von Investition und Rendite geleitet sind.

Betrachtet man aus dieser Sicht die zunehmend inflationär durchgeführten Ehrungen und nimmt man die in diesem Zusammenhang immer häufiger geäußerte Kritik der Athletinnen und Athleten zur Kenntnis, so scheinen erhebliche Zweifel berechtigt zu sein, ob bei diesen Bühnenwettbewerben des olympischen Sports das Prinzip des Fair Play ausreichend beachtet wird.

Differenzierung nach Disziplinen oder Positionen fairer

In einer Sportart wie der Leichtathletik ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ein Hammerwerfer, so erfolgreich er auch sein mag, Leichtathlet des Jahres werden kann. Bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen kann er jeweils immer nur eine Goldmedaille gewinnen, hingegen ist es für Sprinter möglich, dass sie von einem Großereignis mit drei Goldmedaillen nach Hause reisen, so wie dies in den letzten Jahren für Usain Bolt nahezu eine Selbstverständlichkeit war. Stellen sich ein erfolgreicher Sprinter und ein erfolgreicher Werfer zur Wahl, so ist es nahezu selbstverständlich, dass sich, ganz gleich wie sich die Jury zusammensetzt, die Entscheidung auf den Sprinter fällt. Wäre es deshalb nicht fairer, man würde auf die Wahl eines Leichtathleten des Jahres verzichten und an dessen Stelle den Werfer des Jahres, den Springer des Jahres und den Läufer des Jahres ausloben. Haben Torhüter bei der Wahl zum Fußballer des Jahres vergleichbar gute Möglichkeiten den höchsten Titel zu erreichen, wie beispielsweise jene Stürmer, die sich durch viele Torschüsse auszeichnen? Welche Chance hat ein Verteidiger, will er zum Fußballer des Jahres gekürt werden? Wäre hier eine Differenzierung nach Abwehr, Angriff und Torwart nicht möglicherweise ebenfalls eine fairere Lösung?

Es ist nachzuvollziehen und verständlich, warum von einer Jury eine mehrfach wiederholte Spitzenleistung besondere Beachtung erhält. Hat ein Sieger zum vierten Mal in Serie die Formel-1 gewonnen, so wird der vierte Sieg höher bewertet als der dritte. Die Wahrscheinlichkeit ist somit gegeben, dass er mit der Wiederholung seiner Leistung erneut zum Athleten des Jahres gewählt wird, wenn er dies bereits im Jahr zuvor mit einer nahezu gleichen aber doch nicht ganz vergleichbaren Leistung erreicht hat. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob sich die Möglichkeit zum wiederholten Sieg in allen Sportarten in gleicher Weise stellt. Vergleicht man die Sportarten unter diesem Gesichtspunkt, so erkennt man sehr schnell, dass es einige Sportarten gibt, in denen der Mehrfachsieg höchst unwahrscheinlich ist, andere hingegen eröffnen den Athleten die Möglichkeit über Jahre hinweg die Weltspitze zu behaupten.

Kritik der Athletinnen und Athelten am Bewertungssystem

Will ein Athlet in die Hall of Fame der Leichtathleten aufgenommen werden, so muss er verschiedene Bedingungen erfüllen. Seine Karriere muss mindestens zehn Jahre beendet sein, er muss mindestens zwei Goldmedaillen gewonnen haben und er sollte in seiner Disziplin einen Weltrekord aufgestellt haben. Damit ist ohne Zweifel eine anspruchsvolle Hürde aufgebaut, so dass die Hall of Fame der Leichtathletik angesichts ihrer 47 Einzeldisziplinen nicht zu schnell übervölkert sein wird. Die Frage die sich jedoch stellt ist, ob diese Hürden auf faire Weise konstruiert sind. Sprinter können sie mit einer einzigen Weltmeisterschaft oder mit einer einmaligen Teilnahme an Olympischen Spielen überwinden, ein Hochspringer hingegen muss mindestens bei zwei Großveranstaltungen erfolgreich gewesen sein. In fast allen Disziplinen war es zu früheren Zeiten eher möglich, Weltrekorde zu überbieten, als dies heute der Fall ist. Einige Weltrekorde bestehen bereits über ein Jahrzehnt und deuten daraufhin, dass die Leistungsentwicklung in dieser Disziplin an eine Grenze gelangt ist. In anderen Disziplinen scheint die Grenze noch in weiter Ferne zu sein. Auch scheinen manche Weltrekorde deshalb unerreichbar, weil die Vermutung im Raum steht, dass sie mit medikamentöser Manipulation erreicht wurden.

Hat man bei der Bewertung ein ganzes Jahrhundert im Blick, so stellt man fest, dass es offensichtlich sehr große Schwierigkeiten bereitet, frühere mit heutigen Leistungen zu vergleichen. Jahrhundertereignisse und Jahrhundertleistungen scheinen dabei immer die jüngsten zu sein, weil man damit einem Spektakel einen herausragenden Status geben kann. Ob das jüngste Ereignis tatsächlich bedeutsamer ist als das frühere Ereignis entzieht sich jeder Bewertung.

Den aufgezeigten Beispielen könnten noch viele hinzugefügt werden. Sie alle machen deutlich, dass sich ohne Zweifel die Frage nach dem Fair Play bei den Ehrungswettkämpfen des Sports stellt und dass die immer häufiger vorgetragene Kritik der Athletinnen und Athleten an den Auswahlprinzipien dieser Ehrungen berechtigt ist. Nicht zuletzt unter Marketinggesichtspunkten ist es deshalb wichtig, dass jene die für diese Athletenwettbewerbe verantwortlich zeichnen ständig bemüht sind, die Geschäftsbedingungen dieser Wettbewerbe mit Blick auf das Prinzip des Fair Play zu verbessern und eine kompetente Jury zu gewährleisten, die sich der Bedeutung des Fair Plays bewusst ist.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 40/Prof. Helmut Digel)

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