Zwei Frauen und der Dreikampf
In Mörfelden-Walldorf hat ein Integrationsprojekt von sich reden gemacht. Es führt zusammen, was nach verbreiteter Vorstellung nicht zusammenpasst: Musliminnen und Triathlon.

03.11.2012

Die Entdeckung des Neulands bahnte sich zwischen Bäumen an, erklärt Birgül Çoskun: „Ich gehe drei-, viermal in der Woche im Wald laufen. Irgendwann habe ich da Peter Metz kennengelernt. Seine Frau stammt auch aus der Türkei, sie fand gut, dass ich Sport mache und nicht zu Hause bleibe wie andere türkische Frauen, und hat ihren Mann auf mich aufmerksam gemacht.“ Jetzt, einknappes Jahr danach, läuft Birgül Coskun noch mehr, sie fährt Rad – sportlich, nicht mehr nur so – und schwimmt regelmäßig, was der Hammer ist (siehe Interview). In der Summe ergibt das Triathlon, eine Sportart, die sie vor Peter Metz gar nicht kannte.
Peter Metz arbeitet beim Integrationsbüro der Stadt Mörfelden-Walldorf. Er ist Fan des Ausdauersports, und er hatte damals, Anfang des Jahres, eine Idee. „Ich will zeigen, welche Möglichkeiten Triathlon in der Integration bietet, auch und gerade im Kontakt mit Frauen aus islamischem Kulturkreis“, sagt er. In dem Outdoor-Dreikampf und seinen Teildisziplinen seien Menschen mit Migrationsgeschichte kaum präsent, selbst in der Multi-Herkunft-Region Rhein-Main. Mit Birgül Çoskun, 46, und ihrer Freundin Hayat Spanu kam das Ganze in Gang, beide machten bei einem von Metz organisiertenSchwimm-, später bei einemRadkurs mit. Warum eigentlich muslimische Frauen, Herr Metz? „Ich wollte das Stereotyp aufbrechen, dass eine gläubige Muslimin, die Kopftuch trägt, keinen Sport macht und schon gar nicht schwimmt.“.
Das Werk eines Netzes
Peter Metz vom Interkulturellen Büro der Stadt Mörfelden-Walldorf brachte den Schneeball ins Rollen. Zunächst hafteten Birgül Coskun und Hayat Spanu-Abid an, die Hauptfiguren, dann nahm das Triathlonprojekt Fahrt auf. Die SKV Mörfelden erhöhte das Tempo, genauer die Triathlonabteilung des Vereins, der zu den Stützpunkten von „Integration durch Sport“ zählt. Das Programm selbst machte auch mit, in Gestalt von Regionalkoordinator Volker Rehm von der Sportjugend Hessen. Das Magazin „Tritime“ sprang als Medienpartner auf, Chefredakteur Klaus Arendt zog zudem die Fahrradhersteller Cube und Specialized mit. Annette Gasper verschuf den Frauen Startplätze beim City-Triathlon Frankfurt, den ihre Agentur organisiert, und arrangierte einen PR-Termin mit dem Ironman-Sieger 2005 Faris Al-Sultan.
Dass das ein Stereotyp ist, kann Hayat Spanu bestätigen. Sie wurde 1971 in Marokko geboren, in der Hauptstadt Rabat: „Viele Menschen glauben, ich dürfe nicht mit Männern schwimmen und so. Aber das ist kein Problem für mich, Marokko ist da gemischt, zur Hälfte offen, zur Hälfte
weniger.“ Die Schwierigkeit lag auch für sie eher darin, schwimmen zu lernen. Und dazu ambitioniertes Radfahren plus, anders als Birgül Çoskun, ausdauerndes Laufen. übmit dem IntegrationsbüroUm das zu tun, trat sie mit ihrer türkischen Freundin der SKV Mörfelden bei, ein Stützpunktverein von „Integration durch Sport“ mit etwa 80-köpfiger Triathlonabteilung. „Ich war sehr gespannt, ob sich die zwei im Verein wohl fühlen würden“, sagt Metz, der beide vermittelt hatte. „Vor allem Hayat, die nicht so gut Deutsch spricht.“
Der Sprung ins offene Wasser
Das war es jetzt also: Neuland. Hier ging es um Sport, um Leistung, um fünf- bis sechsmal die Woche Training. Spinning, Gymnastik in der Gruppe, Radfahren, Laufen und Schwimmen teilweise auch, von der kulturellen Gewöhnung mal abgesehen. Das verlangte Organisationstalent, besonders von Hayat Spanu, die ihre zwei Kinder, zwölf und sieben Jahre, allein erzieht und in Nachtschicht arbeitet. Im Gegenzug schafft der Sport Ausgleich, bestätigt sie: „Es tut gut, etwas für mich zu tun.“
Es tut auch gut, im Verein zu sein, da ist sie sich mit Birgül Çoskun einig. Sie fühlen sich wohl in der Gruppe und sie sehen sich eng betreut von Marcus Beyermann, dem Chefcoach und Leiter der Abteilung (siehe Interview). Er machte die Neulinge binnen Monaten wettbewerbsfähig. In Extra-Einheiten mit ihm und einer Schwimmtrainerin näherten sie sich auch ans offene Wasser des Langener Waldsees an. Dort den Fuß reinzusetzen und dann den Körper, kostete sie größte Überwindung, ohne Begleitung undenkbar. „Es gab einige heikle Momente, in denen wir alle Angst hatten“, sagt Marcus Beyermann.
Die Schwimmbegleitung war auch im ersten offiziellen Rennen noch nötig, ebenso Hilfestellung bei der Anmeldung, der Regelkunde. Dieses erste Rennen Ende Juli war der Möwathlon, von der SKV organisiert, Jedermann-Distanz: 500 Meter schwimmen, 20 Kilometer radfahren, 5 Kilometer laufen. Beim zweiten, ein paar Wochen später – City Triathlon in Frankfurt, der Veranstalter Eventpower sponserte die Startplätze – machte Hayat Spanu alles selbst und allein. Birgül Çoskun lief dort in einer Staffel.
Fortschritt im Netz
Das Projekt hat sich nicht nur sportlich schnell entwickelt. Peter Metz erschloss ein wahres Netzwerk (siehe Kasten), ein Foto verbildlicht dessen Wirkung in Sachen Publicity. Klaus Arendt hat es gemacht, der Chefredakteur des Medienpartners „Tritime“. Das Foto zeigt Hayat Spanu und Birgül Çoskun mit Faris Al-Sultan bei einem Pressetermin in Frankfurts „My Zeil“ im Vorfeld des City-Triathlons. Hayat ist auf dem während Ramadan entstandenen Bild verschleiert, für Metz ist das im Hinblick auf den Integrationsaspekt der Clou: „Am nächsten Tag, beim Triathlon, trug sie ja Schwimmanzug. Manche können sich nicht vorstellen, dass das zusammengeht.“
Die Geschichte klingt rund. Aber sie hat Kanten, die jüngste Ausgabe von „Tritime“ machte das öffentlich. Arendt, der bei den Rennen vor Ort gewesen war, sah sich zu einem Kommentar genötigt, um auf den Leserbrief eines Triathleten zu reagieren. Der warf Hayat Spanu vor, beim Möwathlon „betrogen“ zu haben. Tatsächlich hatte sie ihre Startnummer beim Lauf wegen massiver orthopädischer Probleme in Rücken und Beinen an einen Bekannten weitergereicht und sie vor dem Radfahren wieder übernommen – nicht in Ordnung, meint auch Arendt, und jedenfalls nicht regelkonform. Freilich war sie im Dilemma, Regeln hier, Schmerz und Wunsch des Zieleinlaufs da, und abgesehen davon waren die Rennbestimmungen wohl nicht so ganz klar. „Wir haben ihr die Regeln erläutert, aber im Einzelnen kam das nicht so genau an“, sagt Trainer Marcus Beyermann. Er habe sich geärgert, mit der Entschuldigung der Athletin sei das erledigt.
Zur Erklärung: Beyermann hatte Hayat Spanu mehrmals zum Orthopäden begleitet, er weiß um die Verletzung. Dass sie zwei Tage vor dem Rennen einen Lauf über mehr als 10 Kilometer gemacht hatte – erstmals –, war nun mal der Fehler einer Unerfahrenen, den sie mit verstärkten Schmerzen zahlte. Im Übrigen hält Beyermann wie Arendt „Neid“ für die Ursache des bei einigen ausgelösten Ärgers. Neid auf die vermeintlich geschenkten Räder von Cube und Specialized (die Arendt noch im Keller stehen hatte von einem Test, auf seine Anfrage hin dürfen die Frauen sie bis auf Weiteres verwenden), Neid auf die Publicity oder das Treffen mit Faris Al-Sultan.
Fest steht: Dass die gezielte Förderung strukturell benachteiligter Gruppen bisweilen als Bevorzugung empfunden wird, ist nicht neu in der sozialen Arbeit. Eine Begleiterscheinung, mit der man umgehen muss, nicht weniger, nicht mehr. In der Hauptsache sind alle Beteiligten zufrieden, die Frauen wie die Netzwerkarbeiter. Arendt etwa erzählt: „Ich habe Hayat Spanu drei- oder viermal getroffen. Sie hat immer gestrahlt, aber beim ersten Mal war sie noch sehr schüchtern. Danach hat man von Mal zu Mal gesehen, wie sie selbstbewusster wurde.“ Sie selbst sagt, der Sport mache ihr Spaß. Wie Birgül Çoskun trainiert sie zurzeit auf die nächste Saison hin. Peter Metz seinerseits hat noch mehr vor: Er will das Triathlonprojekt ausweiten, um etwa türkische Jungs anzusprechen, Förderanträge laufen. Und er will Birgül Çoskun tiefer in den organisierten Sport einbinden: „Wir wollen sie zur Übungsleiterin ausbilden“.
(Quelle: DOSB, Text: Nicolas Richter)