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Zwischen Rumänien und Rheinhausen

Sinti und Roma leben oft am Rande der Gesellschaft, auch hierzulande. Darauf hat die verstärkte Zuwanderung aufmerksam gemacht. Es gibt viel zu tun – manche Sportvereine packen es an.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

05.03.2015

  • Training des Boxclub Minden: Der Vorsitzende Oswald Marschall setzt sich ich für Sinti, Roma und junge Benachteiligte insgesamt ein (Quelle: BC Minden/Marschall)
    Training des Boxclub Minden: Der Vorsitzende Oswald Marschall setzt sich ich für Sinti, Roma und junge Benachteiligte insgesamt ein (Quelle: BC Minden/Marschall)
  • Ein Trainer, der selbst Sinto ist - "das ist die halbe Miete": Marlon Reinhardt als Workshop-Leiter bei der Sportnacht in Koblenz (Quelle: Sportjugend Rheinland-Pfalz/Kocian)
    Ein Trainer, der selbst Sinto ist - "das ist die halbe Miete": Marlon Reinhardt als Workshop-Leiter bei der Sportnacht in Koblenz (Quelle: Sportjugend Rheinland-Pfalz/Kocian)

    René Voigt war schon dreimal in Rumänien, auf Radtour durch die Karpaten zum Beispiel. „Auch wenn ein Dorf noch so klein ist“, erzählt er, „die Roma leben immer separat, ganz am Ende oder am Anfang“. In den Zügen gebe es eine „Drei-Klassen-Gesellschaft“. Die erste („für die Touristen“), die zweite sowie eine „Roma-Klasse“, in der sich die Menschen auf engstem Raum drängten. „Das zu sehen, war bitter“, sagt er.

    Zurzeit hat René Voigt alltäglich Kontakt zu Roma, darunter zu solchen, die bis vor Kurzem in Rumänien lebten. Der Sozialpädagoge arbeitet für „ankommen“, ein im Juni 2014 gestartetes Projekt der Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit (GSJ); die GSJ und ihr Trägerverein sind Initiativen der Sportjugend Berlin (SJB) und kooperieren bei „ankommen“ auch mit „Integration durch Sport“ (IdS). Das Projekt, Teil eines Aktionsplans des Senats, macht Roma im Alter von 8 bis 14 Jahren mobile Bewegungsangebote, besucht Bolzplätze, Jugendeinrichtungen oder Willkommensklassen in Bezirken wie Lichtenberg, Mitte und Neukölln. Dort leben seit Generationen Roma, aber heute mehr als früher. Zumindest die jüngeren Kids sprechen gut auf das Angebot (von Fußball bis Inlineskating) an.

    Meistens arm, oft ausgegrenzt

    Die rumänischen und bulgarischen Zuwanderer dieser Monate lassen sich vor allem in  westdeutschen Großstädten nieder. Wie Berlin, wie München, Hamburg oder Duisburg. Natürlich: Nicht alle jüngst immigrierten Roma stammen aus diesen zwei EU-Ländern, deren Bürger seit 2014 freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben; und nur ein Bruchteil der von dort Immigrierten sind Roma. Aber es kamen halt relativ viele Menschen aus Rumänien (98.000 im ersten Halbjahr 2014) und Bulgarien (38.000), und Roma stellen dort je etwa 10 Prozent der Bevölkerung – deren Mehrheit sozial isoliert ist. Das bestätigen neben Augenzeugen wie Voigt zahllose Quellen.

    In Europa sind etwa 10 Millionen Sinti (eher im Westen) und Roma (Osten) beheimatet. Wie viele aktuell in Deutschland leben, weiß niemand. Es könnten rund 100.000 sein, davon 70.000 Einheimische (siehe Kasten). Klar ist: Mit den Neuankömmlingen wächst der Integrationsbedarf. Zumal sie auch hierzulande am Rand leben und jahrhundertealte Stereotype und Vorurteile fortbestehen, bestärkt durch manche Boulevardmedien. Im September 2014 nannte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Ergebnisse einer von ihr ins Feld geführten Studie „dramatisch“. Sinti und Roma, hieß es zusammenfassend, würden „von einem beträchtlichen Teil der deutschen Mehrheitsbevölkerung nicht als gleichberechtigte Mitbürger und Mitbürgerinnen wahrgenommen“.

    Dem organisierten Sport stellt sich die Frage, ob und wie er zur Annäherung zwischen Minderheit (zugewandert oder nicht) und Mehrheit beitragen kann. Es gibt nicht viele Projekte, die gezielt Antwort suchen. Aber es gibt sie. Das eine sind Vereine wie der Boxclub Minden, der vom Sinto Oswald Marschall geführt wird, einem früheren Spitzenboxer mit dem Herz eines sozial Engagierten: Er setzt sich für Sinti, Roma und junge Benachteiligte insgesamt ein und integriert durch Sport, aber auch durch Bildung. Das andere sind kompaktere, durch die Debatte des letzten Jahres angeregte Initiativen. Neben „ankommen“, siehe oben, liefern dafür zwei Vereine in Koblenz respektive Duisburg-Rheinhausen Beispiele. Ihre Projekte und deren Verlauf verraten einiges über eine Zielgruppe, die den meisten Deutschen vor allem eines ist: unbekannt.

    Rom heißt Mensch

    „Sinti und Roma“ bezeichnet eine Vielzahl von Volksgruppen indischen Ursprungs, die überwiegend seit dem Spätmittelalter in Europa leben und einem teils offenen Antiziganismus ausgesetzt sind. Außerhalb des deutschen Sprachraums nennt man sie Roma, entsprechend der Selbstbezeichnung; Rom heißt auf Romanes „Mensch“. Hierzulande sind die etwa 70.000 zweisprachigen Menschen (die meisten sind Sinti) als nationale Minderheit anerkannt, mit dem Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma als ihrer Vertretung. Seit den 70er Jahren migrierten oder flüchteten einige Roma aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland (siehe Interview des Monats), zuletzt nahm vor allem der Zuzug aus Rumänien, wo knapp 2 Millionen Roma leben, und Bulgarien (750.000) zu. Aktuell spricht der Zentralrat von maximal 120.000 hier lebenden Sinti und Roma. Die  Antidiskrimierungsstelle des Bundes, die auf ihrer Website zentrale Fragen zum Thema beanwortet, geht von insgesamt 80.000 bis 140.000 Menschen aus.

     

    Coblenzer TG: Erfolg durch Brückenbau

    Natürlich, sagt Monika Sauer, hätten manche Sinti oder Roma einen Wohnwagen. „Damit ziehen sie aber längst nicht mehr rum, sondern machen ab und an Ferien.“ Soviel zum Klischee vom fahrenden Volk. Sauer sitzt der Coblenzer Turngemeinde (CTG) vor, ein IdS-Stützpunkt, der 2014 ein Angebot für Kinder ins Leben rief: „Gewaltprävention im weitesten Sinn“ laut Sauer. Es ging um Karate, Taekwondo und die Grenze zwischen Sport und Prügelei – wann ist der Moment „stopp“ zu sagen? Ort: der Kindergarten „in einem von vielen Sinti und Roma bewohnten Gebiet. Teilnehmer: Acht- bis Zehnjährige gemischter Herkunft. „Wir wollen ja Integration“, sagt Sauer.

    Es lief glatt, etwa 16 Kinder nahmen „mit Freude“ Teil, so die Vorsitzende. „Das macht ein sehr guter Trainer, der selbst Sinto ist. Das ist die halbe Miete.“ Die zweite Hälfte ist die lokal verwurzelte Zielgruppe. Die Sinti und (wenigen) Roma sind in Koblenz heimisch, sprechen also Deutsch. Dieses Jahr gibt es den Kurs zwar nicht, der Kindergarten ist belegt, „aber sobald er frei ist“, so Sauer, „werden wir ihn wieder anbieten“.

    Das Ganze war ihre Idee. Die Vereinschefin gehört dem Präsidium des LSB Rheinland-Pfalz an und ist umfassend engagiert, etwa in der Stadtteil- und der Flüchtlingsarbeit. Sie ist und war an vielen Projekten mit Sinti und Roma beteiligt und hat auch privat beste Kontakte. Gerade mit Kampfsport könne man die Kinder und Jugendlichen erreichen, sagt sie, „ganz viele“ Mitglieder habe die CTG damit schon gewonnen. Trotzdem habe die Integration Grenzen: „Es gibt viele moderne Familien, aber anderen ist der Unterschied zu uns wichtig. Da dürfen die Mädel irgendwann nicht mehr zum Schwimmunterricht und tragen ab 13, 14 keine Hosen. Wir reden mit den Eltern darüber, aber das ist halt ihre Tradition.“
     
    OSC Rheinhausen: Suche nach Stabilität

    Die Mädchen, gerade die älteren, sind kaum zu erreichen: Das kennt man beim OSC Rheinhausen. Am besten kennt es Ilse Klinge: Die Integrationsbeauftragte des Traditionsvereins arbeitet unter Schirmherrschaft der Caritas als ehrenamtliche „Roma-Scout“. Viele Rheinhausener Roma-Familien, sagt sie, gehörten der christlichen Pfingstbewegung an. Die Töchter blieben meist zuhause, um die Mütter im Haushalt zu unterstützen.

    Wie gesagt: Hier geht es um Roma, nicht Sinti. Für den OSC sind sie seit 2013 ein Thema, als Duisburgs sogenanntes „Problemhaus“ Schlagzeilen machte. Dort, direkt beim Vereinsheim, lebten zeitweise über 500 zugewanderte Roma. Klinge und Klaus Laur, Leiter der Leichtathletikabteilung, machten den Kindern und Jugendlichen ein eigenes Angebot. Von „spin – sport interkulturell“, einem Projekt des LSB Nordrhein-Westfalen, gefördert, hatte die Leichtathletikgruppe bald 20 Mitglieder, weitere 10 Roma-Jungs gingen zum OSC-Turnen. Aber Mitte 2014 erklärte das Ordnungsamt das Haus für unbewohnbar. Die Familien verließen Rheinhausen, die Söhne den OSC.

    Der zweite Versuch läuft: Laur und Klinge bauten den Leichtathletikkurs neu auf, mithilfe des rumänischstämmigen Sozialarbeiters eines lokalen Partners. Bis zu den Weihnachtsferien 2014 gehörten ihm etwa zehn Jungs an, die dann aber „wegblieben“, so Laur. Das Problem sieht er bei den Eltern. Sport zu machen, zumal im Verein, sei vielen Roma fremd, und sobald ein zunächst freies Angebot etwas koste (in diesem Fall 10 Euro im Monat), wollten oder könnten sie das nicht bezahlen. Kein Grund aufzugeben: „Ich werde die Kinder direkt ansprechen, mit dem Sozialarbeiter zusammen“, sagt Laur, „dann klappt das schon.“ Immerhin sind zwei frühere Mitglieder des Kurses zu einer kulturell gemischten Gruppe gewechselt, einer der zwei bestreitet Wettkämpfe – Integration offenbar geglückt.

    (Autor: Nicolas Richter)

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