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Zwischen Weltspielen und Integrationsanspruch

Der nationale jüdische Sport ist in speziellen Vereinen und einem Dachverband organisiert. Dabei ist Makkabi Deutschland kein geschlossenes System. Im Gegenteil.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

16.08.2013

Das wohl größte Sportevent des Jahres endete am 30. Juli, aber noch immer wissen die meisten Bundesbürger nicht, wie ihr Team abgeschnitten hat. Hier also die Information: Fünf Gold-, drei Silber-, acht Bronzemedaillen gewann die deutsche Mannschaft bei der Maccabiah 2013. So heißen die Weltspiele des jüdischen Sports, die alle vier Jahre in Israel ausgetragen werden. An ihrer 19., bisher größten Auflage nahmen rund 9000 Athletinnen und Athleten aus 80 Nationen teil, davon  202 aus Deutschland: Junioren als auch Erwachsene in 13 Sportarten, von Basketball über Judo und Schach bis Tischtennis.

202 für einen: das Team für die Maccabiah wird von Makkabi Deutschland nominiert, dem nationalen Dachverband des jüdischen Sports. Im Jahr 1903 entstanden und 1965 wiedergegründet, vertritt er rund 4000 Mitglieder und gehört dem DOSB, dazu der European Maccabi Confederation (EMC) und der Maccabi World Union (MWC) an. Bei der Maccabiah 2013 erlebte er nicht nur sportlich besondere Momente – fünf Goldmedaillen gewannen Deutsche noch nie; der Höhepunkt für die von Peter Guttmann, Präsident von Makkabi Deutschland, geführte Delegation war die offizielle Bekanntgabe Berlins als Austragungsort der Europäischen Makkabi Spiele 2015. Dort, wo 1898 der erste jüdische Sportverein in Deutschland (und zweite überhaupt) gegründet wurde, erlebt die Bundesrepublik erstmals ein großes jüdisches Sportfest. Im 50. Jahr nach der zweiten Geburt von Makkabi Deutschland sieht Guttmann darin ein „Signal nach außen wie innen“ . (siehe hierzu auch das Opens external link in new windowInterview mit Peter Guttmann)

Offen für alle

Wie aber sind Makkabi Deutschland und seine Vereine im Sportalltag verortet – und was haben sie mit Integration im Sinne von kultureller und religiöser Begegnung zu tun? Letzteres lässt sich so zusammenfassen: jede Menge. Denn einerseits folgen Organisationen wie Makkabi Frankfurt, mit rund 1200 Mitgliedern in rund 25 Abteilungen das weitaus größte Verbandsmitglied, einem jüdischen Selbstverständnis: An Freitagabenden, wenn Shabbat beginnt, wird nicht trainiert, und beim Makkabi-Ball, der jährlichen Gala des Vereins, kommt nur koscheres Essen auf den Tisch. Andererseits macht Sportwart und Vorstandsmitglied Roman Zurek sehr klar, dass dies kein Kulturverein ist: „Wir werben nicht mit der Religionszugehörigkeit um Mitglieder, sondern ganz normal mit sportlichen Argumenten, zum Beispiel mit Erfolgen und guten Trainern.“ Man wolle jüdischen Sportlern eine Heimat bieten und freue sich sehr, „wenn sie zu uns kommen. Aber wir freuen uns auch bei jedem anderen“. Nicht Entweder-oder. Sowohl-als-auch.

Konsequenterweise weiß bei Makkabi Frankfurt keiner genau, wie hoch der Anteil von Nichtjuden ist. „Wir erfassen das bewusst nicht, wir wollen da keinen Unterschied machen“, sagt Zurek, der das Verhältnis zwischen Juden, Christen, Muslimen und Atheisten auf „ziemlich ausgeglichen“ schätzt. In den meisten anderen Vereinen mag zwar die Kernzielgruppe dominieren, und in die Nationalmannschaften kommen nur die jüdischen Mitglieder; aber Andersgläubige gibt es überall. Einige Makkabi-Standorte, darunter Frankfurt, Schwerin und Leipzig, kooperieren auch mit dem Programm „Integration durch Sport“.

Guttmann führt die liberale Grundhaltung unter anderem auf die grenzüberschreitende Geschichte der Bewegung zurück. Die internationale Entwicklung von Makkabi sei „sehr stark von Deutschland ausgegangen, inklusive der Gründung des Weltverbandes“. Jener erwuchs 1921 in Brünn im heutigen Tschechien aus dem Jüdischen Turnierbund und hatte seinen Sitz bis 1935 in Berlin. Mit damals rund 18.000 Vereinen war Makkabi Deutschland darin sehr breit vertreten. Was den Verband und seine Mitglieder nicht vor den Nationalsozialisten schützte, die jüdische Sportvereine 1938 verboten. 

Blickpunkt Berlin 2015

Makkabi Deutschland, der nationale Verband jüdischer Sportvereine, stellt  Nationalmannschaften in aktuell 26 Sportarten, die zum Teil auch bei der Maccabiah (Weltspiele in Israel) und den European Maccabi Games (EMG) antreten. Beide Großveranstaltungen finden alle vier Jahre statt, die europäischen Spiele 2015 richtet Makkabi Deutschland in Berlin aus. Vom 27. Juli bis 7. August starten dort etwa 2000 Sportler aus allen Ländern Europas in 19 Disziplinen. Zur Vertragsunterzeichnung am Rande der jüngsten Maccabiah wurde die Website www.EMG2015.com launciert, auf der  das Logo und der Bewerbungsfilm zu sehen sind. Als Leiter des Organisationskomitees ist Roger Nussbaum vorgesehen, bisheriger Vizepräsident Makkabi Deutschland.

 

Von achtzehntausend auf sieben

Der Neuanfang war ein bescheidener. Sieben Mitglieder zählte Makkabi Deutschland 1965, und lange Zeit änderte sich daran wenig. Bevor in den 90er Jahren die Zuwanderung aus der früheren Sowjetunion einsetzte, lebten in der Bundesrepublik ja keine 30.000 Juden. Ihr relativ hoher Anteil unter den Migranten sicherte Makkabi Deutschland womöglich die Existenz – von den heute rund 120.000 offiziell erfassten Menschen jüdischen Glaubens hierzulande (die Gesamtzahl wird von Wikipedia auf 250.000 geschätzt) stammen laut Guttmann über 90 Prozent aus früheren GUS-Staaten. „Nur mit den Alteingesessenen hätten wir um unsere Zukunft fürchten müssen. So erleben wir eine Blüte“, sagt der Verbandspräsident. Von rund 15 Vereinen im Jahr 2001 stieg die Zahl auf die heutigen 37, der Zulauf steigt leicht. Makkabi Frankfurt und Maccabi München zum Beispiel haben seit 2009 gut 100 Mitglieder und mehrere Sparten gewonnen. In Frankfurt hat etwa Kampfsport Konjunktur, es gibt jetzt Taekwondo, Capoeira, Kung Fu.

Makkabi hat im deutschen Sport einen festen Platz, gerade unter dem Gesichtspunkt Integration. Das schließt Ressentiments und auch offene Konflikte nicht aus. Wobei Anfeindungen durch Gegenspieler oder antisemitische Kommentare von Zuschauern nahezu vollständig auf Fußball konzentriert bleiben. Alon Meyer, Präsident von Makkabi Frankfurt, hatte 2009 für einen Online-Beitrag des Deutschen Fußball-Bundes dafür soziale als auch politische Ursachen benannt – Makkabi werde mit Israel gleichgesetzt, wenn die Situation in Nahost eskaliere, „kracht es auch bei uns.“ Nun sagt Zurek (der die Fußballabteilung leitet und Meyer in dessen Urlaub vertritt), Auseinandersetzungen seien seltener geworden. Seine Erklärung: „Unsere Jugendmannschaften spielen heute in durchschnittlich höheren Ligen als damals. Und je höher die Liga, desto geringer die Neigung zu Aggression.“

Text: Nicolas Richter

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