100 Jahre Frauensport: 1920 bis 1930

Einen Rückblick auf 100 Jahre Frauensport gibt unsere 10-teilige Serie. Im zweiten Teil werden die Jahre 1920 bis 1930 zusammengefasst: Die "Neue Frau" erobert Sportplätze und Männerherzen.

Frauengymnastik um 1920. Foto: picture-alliance
Frauengymnastik um 1920. Foto: picture-alliance

Befreiter Zeitgeist: Schlankheitswahn statt Schnürwahn

In den goldenen Zwanzigern nach dem 1. Weltkrieg herrschte Aufbruchstimmung. Die "Neue Frau" repräsentierte einen selbstbewussten Frauentyp - mit Bürgerrechten, Studienplatz, Job und freier Sexualmoral. Musste der weibliche Körper bis dato eher züchtig versteckt werden, durfte er nun schlank, sonnengebräunt und sportlich vorgeführt werden: Frecher Bubikopf statt strengem Haarknoten, kurze Kleider statt steifem Korsett. Dem Schnürwahn vergangener Jahrzehnte folgte der Schlankheitswahn. Zauberformel fürs neue Schönheitsideal der 20er: Diät plus Sport.

In den Vereinen der Weimarer Republik hielten sich über eine Million Frauen per Turnen, Gymnastik und Sport fit. Letzter Schrei war das "Mensendiecken" - Gymnastikübungen à la Bess Mensendieck brachten die fortschrittliche Frau per Kräftigungs- und Dehnungsübungen in die gewünschte Form. In Zeitschriften, Romanen und Filmen verkörperten Frauen wie Marlene Dietrich das neue androgyne Frauenbild. Hier durfte das "Sport-Girl" zur jungenhaften Sport-Heldin mit Sex-Appeal avancieren. Sport galt als Schauplatz der Emanzipation, der Sportplatz als wichtiger Heiratsmarkt. Ein Zeitgeist, der allerdings in der Mainstream-Bevölkerung auf heftige Proteste stieß - die guten Sitten und medizinische Einwände mussten als Gegenargumente herhalten, die meisten Sportarten blieben Frauen weiterhin verwehrt.

Olympische Frauenspiele: Leichtathletinnen starten durch

Der Kampf um Meter und Sekunden war für Sportlerinnen lange Zeit tabu, Leichtathletik und Wettkampf galten als klassische Domänen männlicher Athleten. Die International Amateur Athletic Federation (IAAF) und das IOC weigerten sich, die Frauen-Leichtathletik ins olympische Programm aufzunehmen. Also gründeten französische Frauen 1921 einen eigenen Verband - die Fédération Sportive Féminine Internationale (FSFI), um dem Frauensport eine Lobby zu verschaffen. Mit Erfolg: Zu den ersten internationalen Wettbewerben zählten die Olympischen Frauenspiele, bei denen zwischen 1922 und 1934 alle vier Jahre die Leichtathletinnen im Mittelpunkt standen. Unter diesem Druck nahmen die Männergremien des International Olympic Committee (IOC) und des IAAF zähneknirschend auch Leichtathletinnen in den olympischen "Herrenclub" auf.

So durften 1928 erstmals Leichtathletinnen über 100 Meter, 4x100 Meter, 800 Meter, im Hochsprung und Diskuswurf im olympischen Stadion antreten. Die erste deutsche Goldmedaille einer Frau seit Beginn der Olympischen Spiele 1896 holte Lina Radke-Batschauer über 800 Meter - Symbol für die aufstrebende Frauen-Leichtathletik in Deutschland. Einen Eklat lösten zwei 800-Meter-Läuferinnen aus, die sich nach dem Ziel erschöpft zu Boden sinken ließen. Die Schlussfolgerung: Der Mittelstreckenlauf sei für Frauen zu anstrengend. Der 800-Meter-Lauf wurde für Frauen aus dem olympischen Programm gestrichen und tauchte erst 1960 wieder auf.


  • Frauengymnastik um 1920. Foto: picture-alliance
    Frauengymnastik um 1920. Foto: picture-alliance