125 Jahre Solidarität

Prof. Dr. Hans Joachim Teichler würdigt in seinem Kommentar in der heutigen DOSB-Presse das 125jährige Jubiläum des Rad- und Kraftfahrerbundes Solidarität.

Radball, das früher mit dem Kunstradfahren zum "Saalsport" gehörte, ist seit jeher eine Domäne des Arbeiter Rad- und Kraftfahrer Bund Solidarität. Foto: picture-alliance
Radball, das früher mit dem Kunstradfahren zum "Saalsport" gehörte, ist seit jeher eine Domäne des Arbeiter Rad- und Kraftfahrer Bund Solidarität. Foto: picture-alliance

„Mit Jubiläen hatten die Arbeiterturner in ihrer Geschichte kein Glück. Als im Mai 1918 das 25- jährige Verbandsjubiläum anstand, war das Sportgeschehen in Folge des Weltkrieges beinahe zum Erliegen gekommen; bei der 40. Wiederkehr des Gründungstermines im Jahr 1933 führten bereits die Nationalsozialisten das Regiment. So weiß man nicht, wie der ATB/ATSB wohl seine Verbandsjubiläen gefeiert hätte, weil er dazu keine Gelegenheit hatte“.

Diese Liste, vorgetragen vom damaligen Vorsitzenden des Freundeskreises ehemaliger Arbeitersportler, Fritz Borges auf der Marburger Feier 1983 „90 Jahre Arbeitersport“ ließe sich fast beliebig fortsetzen, wobei es sich nun eher um ein Versäumnis des heutigen DOSB handelt, der - im Dezember 1950 die in der Weimarer Republik getrennten Säulen bürgerlicher Sport, konfessioneller Sport und Arbeitersport als Einheitssportverband vereinte. Das Jubiläum zum 125. Gründungstag des ATB in Gera im Jahr 2018 wurde ebenso vergessen, wie die Gründung der Zentralkommission für Sport und Körperpflege vor 110 Jahren im Jahr 1912, vor hundert Jahren 1922 umbenannt in ZK für Arbeitersport und Körperpflege.

Umso mehr freut es mich als Sporthistoriker, dass mir die Redaktion der DOSB-Presse die Gelegenheit gibt, dem RKB Solidarität zu seinem 125. Jubiläum zu gratulieren, was er - pandemiebedingt - nun ein Jahr verspätet am 6. August 2022 in Giengen an der Brenz feiert. Eigentlich hätte der RKB Solidarität in diesem Jahr schon den 129. Gründungstag feiern können. Seine Vorläuferorganisation, der am 01. - 02.10.1893 in Leipzig gegründete ArbeiterRadfahrerbund wurde bereits drei Wochen später von der Polizei aufgelöst. Zu deutlich hatten die Gründer die politische Zielsetzung betont. Im August 1893 war in fast allen Parteiblättern folgender Aufruf erschienen

:„An die sozialdemokratischen Radfahrer Deutschlands. Sportgenossen!

Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens sondern sich die Arbeiter und Parteigenossen von ihren Gegnern ab und schließen sich zu eigenen, selbständigen Organisationen zusammen. Auch wir Radfahrer wollen nicht zurückbleiben; auch wir wollen dem Beispiele der ArbeiterGesang-, Turn- und Vergnügungsvereine folgen und einen Verband über ganz Deutschland bilden.“ Neben der „Hebung des Radfahrsports“ wollte man sich „in den Dienst der Agitation“ für die Partei und die Arbeiterbewegung stellen. Der zweite und gelungene Gründungsakt des Arbeiter-Radfahrerbundes Solidarität verzichtete auf politische Aussagen. Die in Offenbach am Main am 24. - 25. Mai 1896 versammelten 28 Vereine repräsentierten 467 Mitglieder. 1906 zählte der „Arbeiter-Radfahrer“ schon 45.000 Abonnenten. 1908 wurde die 100.000er Mitgliedergrenze überschritten und 1910 das Fahrradwerk „Frisch auf“ in Offenbach erworben.

Worauf gründete sich dieser Erfolg des 1928 in Arbeiter Rad- und Kraftfahrer Bund Solidarität umbenannten Bundes, der mit über 300.000 Mitgliedern 1930 die größte Radfahrorganisation der Welt war? Es waren weniger die sportlichen als vielmehr die touristischen Aktivitäten. „Im Jahr 1930 stellten fast 1.200 Ortsgruppen des Bundes Unterkunftsplätze für Radwanderer, Bleiben genannt, kostenlos oder gegen eine geringe Bezahlung zur Verfügung“ notiert Ralf Beduhn, der „Naturerlebnis, aktive körperliche Entspannung, Erweiterung des Erfahrungs- und Bildungshorizontes und Gruppenerlebnis,“ als weitere zentrale Elemente der Attraktivität dieser proletarischen Freizeitkultur nennt, die mit der politischen Emanzipation der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik verbunden war.[1]

Das Fahrrad war damals das Fortbewegungsmittel des Arbeiters, vergleichbar im Wert mit dem Auto heute. Die touristischen und genossenschaftlichen Dienstleistungen, wie z.B. Wegekarten, Verkehrserziehung Unfallunterstützung, Sterbekassen, Rechtsschutzversichung usw. ließen den ARKB zu einem linken „Fahrrad-ADAC“ mit sportlichen Ambitionen anwachsen. Die anfänglichen Streckenbegrenzungen (erst 10, dann 50 km) für Straßenrennen hatten einen einfachen Grund. Die Teilnehmer reisten mit dem eigenen Fahrrad an, bestritten das Rennen und fuhren nach einer Ruhepause wieder in ihre Heimatorte. Sportlicher entwickelte sich der Saalradsport, der auch heute noch eine Domäne der Solidarität ist. Die Einbindung des RKB Solidarität in die Abeitersport und Kulturkartelle der Weimarer Zeit führte zum Verbot 1933. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten Sportgerät und die Fahrradfabrik „Frisch auf“ in Offenbach.

Einer der Gründe zur Wiedergründung nach 1945 war die Wiedergutmachung der verlorenen Werte, aber auch das Festhalten an ideellen Werten wie den Kampf gegen Rassismus, Intoleranz und jedwede Diskriminierung. Es sollte bis 1977 dauern, bis sich der RKB Solidarität, der sich partout nicht dem Bund Deutscher Radfahrer anschließen wollte, per Bundesgerichtsbeschluß die Aufnahme in den DSB erzwang, dem er heute als ein „Sportverband mit besonderer Aufgabenstellung“ angehört.

Im Bereich des Rad-, Roll- und Motorsports ist eine Versportlichung mit Streben nach guten und besten Leistungen eingetreten, daneben wird aber nach wie vor der Freizeitsport mit Tourenfahrten und Wettbewerben im Langsamfahren gepflegt. Die Soli-Jugend leistet Bildungsarbeit mit den Zielen solidarischer Kooperation, Erziehung zu Fairness, Tolerenz, internationaler Verständigung und soziale Hilfe im und durch Sport. Dafür hätte sie eigentlich die Fritz-Wildung-Plakette verdient, mit welcher der DSB, einer der beiden Vorgänger des DOSB, in Erinnerung an den Vorsitzenden der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege seit 1980 Vereine oder Verbände mit solchen Leistungen ehrte, wenn es denn diese noch gäbe.

[1]Ralf Beduhn, Solidarität auf zwei Rädern. In: Hans Joachim Teichler/Gerhard Hauk (Hg.): Illustrierte Geschichte des Arbeitersports Bonn 1987, S. 119-131.

(Autor: Prof. (i.R.) Dr. Hans Joachim Teichler)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Radball, das früher mit dem Kunstradfahren zum "Saalsport" gehörte, ist seit jeher eine Domäne des Arbeiter Rad- und Kraftfahrer Bund Solidarität. Foto: picture-alliance
    Radball, das früher mit dem Kunstradfahren zum "Saalsport" gehörte, ist seit jeher eine Domäne des Arbeiter Rad- und Kraftfahrer Bund Solidarität. Foto: picture-alliance