20 Jahre deutsche Einheit: Der Sport war Vorbild

DOSB-Präsident Thomas Bach zieht eine Bilanz zu 20 Jahren Deutsche Einheit, die im Sport überaus erfolgreich vollzogen wurde.

Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Manfred Thies (Thüringen) nach der Vereinigung des deutschen Sports. Foto: picture-alliance
Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Manfred Thies (Thüringen) nach der Vereinigung des deutschen Sports. Foto: picture-alliance

Dieses Bild der Einheit habe ich immer noch vor Augen: Der Ost-Berliner Kugelstoßer Ulf Timmermann und die Hürdenläuferin Gabi Lippe aus Mannheim Arm in Arm. Er trägt die Flagge der DDR, sie das Schwarz-Rot-Gold der Bundesrepublik. Und dahinter buntgemischt die Mannschaften aus beiden Teilen Deutschlands bei der Schlussfeier der Europameisterschaften am 1. September 1990 in Split, ihrem letzten getrennten Auftritt. Das Miteinander am letzten Tag war spontan und doch von prägender Symbolkraft. Hier waren die Athletinnen und Athleten noch ein wenig flinker als die ohnehin schon schnelle große Politik und auch die Sportfunktionäre, die die Einheit einen Monat später dann offiziell vollzogen.

Auch in der Folge konnte der Sport Vorbild sein. Nicht nur bei den ersten gemeinsamen Auftritten bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1991 oder den ersten olympischen 1992 in Albertville und Barcelona. Da zeigte sich eine starke emotionale Kraft für das vereinte Land, die aber auch im kleinen, alltäglichen Miteinander wirkte. Im Sport ist vieles einfacher. Er verbindet schon allein dadurch, dass er überall nach den gleichen Regeln ausgeübt wird und eine gemeinsame Sprache spricht. Das hat vor zwanzig Jahren sicherlich dazu beigetragen, dass die Einheit des Sports besser gelungen ist als in anderen Teilen der Gesellschaft.

Wobei längst nicht alle Wünsche in Erfüllung gingen. Damit meine ich nicht die Erwartungen, die teilweise geäußert wurden, dass sich hier nun zwei Medaillenbilanzen einfach addieren ließen. Solche Erwartungen waren oberflächlich. Sie berücksichtigten weder, dass hier zwei höchst unterschiedliche Sportsysteme zueinandergefunden hatten, noch dass sich ja die Zahl der Startplätze halbierte oder dass die internationale Konkurrenz immer stärker geworden ist.

Ich meine, dass schon damals der Sport gut daran getan hätte, seine Kräfte stärker zu bündeln. Die Fusion von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee wäre schon in diesen Jahren sinnvoll gewesen. Dass es zunächst anders kam, war wiederum der rasend schnellen Entwicklung geschuldet.

Die Organisation der Einheit verlangte alle Kräfte von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und der Sport war nicht nur damit beschäftigt, in den neuen Bundesländern eine neue Basis zu schaffen. Zudem fehlte es beispielsweise an Geld, die beiden wichtigen Einrichtungen des DDR-Spitzensports, das Institut für Angewandte Trainingswissenschaften und das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, deren Bestand im Einigungsvertrag garantiert war, auch tatsächlich ausreichend zu unterstützen. Und da galt es auch noch, das Erbe der Probleme von Stasi und Doping zu bewältigen. Das forderte die ganze Kraft, aber hier hat der Deutsche Sportbund Maßstäbe gesetzt.

Ich habe ein zweites, in der Öffentlichkeit weniger bekanntes Bild aus diesen Tagen vor Augen. Es ist die Szene, in der Juan Antonio Samaranch, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, im August 1990 mit den NOK-Präsidenten Joachim Weiskopf und Willi Daume in Berlin spricht. Es ist ein Bild der Repräsentanten, die diese Einheit, die die Menschen in der DDR erzwungen hatten, in gewisser Weise nur nachvollzogen, sie aber zugleich auch in die notwendigen politischen Bahnen und Strukturen wiesen. Dieses Bild macht auch die internationale Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung ganz gut deutlich. In gewisser Weise hatte Samaranch diese Prozesse im olympischen Sport mit eingeleitet, indem er sich seit dem Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden zunehmend weigerte, den Sport als Exerzierfeld politischer Interessen zur Verfügung zu stellen.

Wie Politik und Wirtschaft war der Sport im geteilten Deutschland dennoch wenig auf diese Einheit vorbereitet. Obwohl beiderseits der Grenze ein gutes Wissen übereinander existierte, lagen nirgendwo Konzepte oder Rezepte in den Schubladen. Der Besuch des IOC-Präsidenten als Gast beider NOK im juristisch noch geteilten Berlin galt der Zukunft der olympischen Sache im vereinten Deutschland. Samaranch räumte Offenheit ein bei den zu fällenden Entscheidungen, auch hinsichtlich der deutschen Repräsentation im IOC. Er sprach sich dafür aus, das zu erhalten, was vom DDR-Leistungssport erhaltenswert sei.

Brüche und problematische System-zwänge waren längst spürbar. Das galt auch bei der Vereinigung der Fachverbände. Der durchweg freudigen, ja euphorischen Betrachtung der neuen Gemeinsamkeit, die in den meisten Verbänden bis zum Jahresende 1990 vollzogen wurde, folgte nicht immer problemlos das Zusammenwachsen auf dem Weg zur Normalität des Miteinanders.

Der einsetzende Austausch auf den Ebenen der Vereine und Verbände spielte dann eine herausragende Rolle. In gewisser Weise trieb die Basis die Sportpolitik vor sich her. Hier zeigte sich zugleich der Wert der vielen kleinen und großen Begegnun-gen des deutsch-deutschen Sportverkehrs, den der DSB zuletzt unter seinem Präsidenten Hans Hansen in den Jahren der Trennung in schwierigen Verhandlungen und kleinen Schritten verwirklicht hatte.

Das war schlagartig überholt, als Hans Hansen und DTSB-Präsident Klaus Eichler am 17. November 1989 in Berlin verkündeten, dass Vereine und Verbände künftig direkten Kontakt miteinander aufnehmen könnten. Im unmittelbaren Grenzgebiet gab es Hunderte von Begegnungen im Sport wie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Überall spürte man Chancen, die den Druck der Vergangenheit vergessen ließen. Alte und fast vergessene Freundschaften im Sport lebten auf, das persönliche Miteinander trug dazu bei, dass die durch die Politik veranlassten Grenzen schnell beseitigt wurden. Der Sport hat mit seinen Vereinen zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein Stück Menschlichkeit in die veränderten Verhältnisse eingebracht.

1990 war das Jahr der Vereinigung. Es folgten die Jahre des Zusammenwachsens. Probleme blieben nicht aus. Die Doping-Problematik begleitet den Sport ebenso wie das Stasi-Thema bis heute. Doch gerade der Sport hat mit seiner Integrationskraft zur deutschen-deutschen Vereinigung beigetragen und er hat, wie unser gesamtes Land, von ihr profitiert. Manches bleibt zu tun. Unsere Zuversicht haben wir uns dabei stets erhalten.

Dieser Beitrag des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes erschien am 25. September 2010 in leicht gekürzter Form in einer Sonderbeilage der Tageszeitung DIE WELT.


  • Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Manfred Thies (Thüringen) nach der Vereinigung des deutschen Sports. Foto: picture-alliance
    Hand in Hand stehen am 15. Dezember 1990 beim Bundestag des DSB in Hannover die Landesverbandsvorsitzenden Gerhard Junghähnel (Brandenburg), Andreas Decker (Sachsen), Klaus-Dieter Malzahn (Sachsen-Anhalt), der DSB-Präsident Hans Hansen, und die Landesverbandsvorsitzenden Wolfgang Remer (Mecklenburg-Vorpommern) und Manfred Thies (Thüringen) nach der Vereinigung des deutschen Sports. Foto: picture-alliance