2003 ist das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen

 

Rugby, Handball, Tischtennis und Tanzen, alles mit dem Rollstuhl, hat die Besucher begeistert. Geistig behinderte Kinder bewegten sich im Rhythmus

nach Musik. Die Benefizveranstaltung des Behinderten- und Versehrten-Sportverbandes Bayern in Bayreuth zu Gunsten behinderter Kinder und Jugendlicher soll Pilotfunktion haben. Das gilt auch für ein neues Projekt in Nordrhein-Westfalen. Dort betreut die Behindertensportgemeinschaft Espelkamp adipöse Kinder, die auch auf Grund ihrer Erbanlagen an Fettleibigkeit leiden. Im Burger Schützenverein von 1955 in Bremen können Rollstuhlfahrer seit einigen Monaten mit Luftpistole, Luftgewehr und Kleinkaliber schießen. Die modernisierte, jetzt elektronische, Anlage ermöglicht den behindertengerechten Sport.

Vor genau 40 Jahren hat die Versehrtensportabteilung (VSA) in der Turn- und Sportgemeinde Tübingen 1845 begonnen, Faustball und Volleyball als Sitzball in Bodelshausen zu spielen. Dort fand man damals für den wöchentlichen Übungsbetrieb eine kostengünstige und behindertengerechte Sportgelegenheit. Deshalb hat die VSA ihr alljährliches internationales Sitzballturnier als Jubiläumsveranstaltung in der neuen Fest- und Turnhalle organisiert. Zum 1. integrativen Sportfest in Weimar kamen 300 Teilnehmer aus mehreren örtlichen Sportvereinen und Behindertensportgemeinschaften zusammen. Vor 15 Jahren entstand als immer noch seltenes und beispielhaftes Angebot für Familien mit nichtbehinderten und behinderten Kindern der Würzburger Familiensportclub Lebenshilfe.

Der organisierte Sport leistet seit Jahrzehnten mit inzwischen selbstverständlichen Programmen und immer wieder neuen Angeboten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag für den Sport der Behinderten und ihre Integration. Die junge Kampagne „Sport tut Deutschland gut“ hat gerade hier recht alte Wurzeln. Deshalb kommt die Proklamation des Jahres 2003 als „Europäisches Jahr von Menschen mit Behinderungen“ (EJMB) zur richtigen Zeit, um das Engagement des Sports weiter zu entwickeln und noch viel stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Da engagiert sich der Deutsche Behinderten-Sportverband mit 17 Landesorganisationen und dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband als ihm angegliederten Fachverband. Die aktuelle Statistik des Deutschen Sportbundes (DSB) weist 325.397 Mitglieder in 3.400 Behinderten- und Versehrtensportgemeinschaften aus. Sport für Menschen mit Behinderungen wird zudem in sehr vielen Vereinen quer durch die Fachverbände des DSB angeboten. Übungsleiter mit Zusatzqualifikationen, Vereinsärzte, Therapeuten und Ernährungsberater, dazu Partnerschaften mit Organisationen und Institutionen gleicher Aufgabenstellung bilden ein starkes Netzwerk auf dem Weg zu einer Gesellschaft für alle und jedes Lebensalter. So fühlen sich im Kneipp-Verein Magdeburg, der innerhalb von zehn Jahren von 27 auf 2.019 Mitglieder angewachsen ist, auch chronisch Kranke mit Osteoporose und Diabetiker wohl. Kooperation besteht mit dem Stadtsportbund, mit Reha-Kliniken und Sozialverbänden.

Für Asthmatiker und an Bechterew Leidende, für Schwerstbehinderte und geistig Behinderte, für Menschen nach Herzinfarkt und vom Krebs Betroffene gibt es differenzierte Angebote. Zwischen dem vielfältigen gesundheitsorientierten Breitensport, dem Deutschen Sportabzeichen für Behinderte und den Meisterschaften in immer mehr Sportarten wird die Auswahl ständig größer. Bei den Paralympics leisten deutsche Spitzensportlerinnen und –sportler Hervorragendes.

Johannes Rau weiß, „wie der Sport dazu beiträgt, dass Menschen mit Behinderung nicht etwa ausgegrenzt sind, sondern selbstverständlich einbezogen werden“. Der Bundespräsident hat diese „guten Wirkungen“ auch herausgestellt, als am 10. April 2002 unter seiner Schirmherrschaft die DSB-Gesellschaftskampagne „Sport tut Deutschland gut“ eröffnet wurde.

Die Deklaration von Madrid zum Europäischen Jahr von Menschen mit Behinderungen stellt fest, dass Barrieren in der Gesellschaft zu Diskriminierung und sozialem Ausschluss führen. Deshalb bemühen sich Sportvereine besonders um den richtigen Anschluss. Im Tandemclub Weiße Speiche Hamburg fahren Sehende und Blinde gemeinsam Rad. Der Preetzer Turn- und Sportverein von 1865 und die Schule für geistig Behinderte des Kreises Plön betreuen eine integrative Tanzgruppe. Ein vielfach ausgezeichneter Vorreiter im Sport ist die Freiburger Turnerschaft von 1844, die auch einen integrativen Sportkindergarten betreibt.

Sport für Menschen mit Behinderungen gehört zum täglichen Übungsangebot des Turnvereins Groß-Umstadt und der Behindertensportgemeinschaften Seeheim-Jugenheim, Weiterstadt und Zwingenberg. Mit 100 Behindertensportlern und deren Angehörigen beteiligen sie sich auch regelmäßig an den Familien-, Spiel- und Sportfesten des Bezirkes Darmstadt. Im Verband für Behinderten- und Rehabilitationssport Mecklenburg-Vorpommern konnten Querschnittsgelähmte einen Tauchschein erwerben. Sie haben sich mit besonderem Mut und sehr starkem Willen einen neuen Sport- und Erlebnisbereich erschlossen. Als gute Erfahrung bewerteten die Absolventen für sich den ungewöhnlich hohen Einsatz der Tauchlehrer und heben deren „Einfühlungsvermögen, Geduld und Enthusiasmus“ hervor.

„Behinderung ist ein Menschenrechtsthema“ heißt es in der Deklaration zum Europäischen Jahr. 50 Millionen Menschen mit Behinderungen sind in Europa zu Hause. „In Deutschland leben rund 6,6 Millionen anerkannte schwerbehinderte Menschen, deren Grad der Behinderung 50 und mehr beträgt. Hinzu kommen 1,4 Millionen mit einer geringeren Beeinträchtigung“, teilt die Nationale Koordinierungsstelle für das EJMB 2003 in Bonn mit.

„Nicht-Diskriminierung plus positive Handlung(en) bewirken soziale Integration“, so heißt es in der Deklaration. Zum Erfolg dieser Zielsetzung wird der Sport mit seinen mitmenschlichen Möglichkeiten sicher viel beitragen können.