Dieses Bild steht symbolisch für den Beginn der deutschen Einheit im Sport: Die bunte Gruppe der beiden deutschen Mannschaften bei der Schlussfeier der Leichtathletik-Europameisterschaft 1990 in Split läuft fröhlich ins Stadion ein, angeführt von Kugelstoßer Ulf Timmermann (Ost) und Hürdenläuferin Gabi Lippe (West), Arm in Arm mit den jeweiligen Fahnen in der Hand. Die Athletinnen und Athleten hatten sich, früher als alle anderen, vor der offiziellen Einheit, spontan und ohne Absprache mit den Funktionären zusammengeschlossen zu einem Team.
Das war mehr als ein Fingerzeig auf das, was der Sport in der Frage der Wiedervereinigung leisten kann. Sport hat eine gemeinsame Sprache und die gleichen Regeln – über alle Länder- und regionalen Grenzen hinweg. Und mit dieser besonderen, verbindenden Kraft ist die Vereinigung in Sportdeutschland dann tatsächlich auch weit besser und schneller gelungen als in anderen Teilen der Gesellschaft.
Natürlich hat auch im Sport längst nicht alles wunschgemäß geklappt. Es gab und gibt vereinzelt immer noch Grenzen im Denken und Handeln, und deshalb müssen wir bis heute und wohl auch weiter an der Einheit unseres Landes arbeiten. Das schwere Erbe der Stasi-Akten und das Zwangsdoping-System in der DDR sind Themen, die Wunden hinterlassen haben, die bis heute noch immer nicht verheilt sind – unter anderem auch deshalb, weil in Sportdeutschland lange Zeit die Bereitschaft gefehlt hat, die Dopingsysteme im Westen entsprechend vergleichbar aufzuarbeiten und als gravierende Fehler der Vergangenheit anzuerkennen.
Heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, haben wir aber ein klares Symbol der positiven Art für die gelungene Wiedervereinigung von ganz Sportdeutschland: Das Team D, unser Olympisches und Paralympisches Team Deutschland, das bei den wichtigsten internationalen Wettbewerben und im nächsten Sommer auch wieder bei den Olympischen und Paralympischen Spielen seine Visitenkarte abgeben wird.
Längst sind auch die teilweise völlig falschen Erwartungen an den Spitzensport direkt nach der Wiedervereinigung vergessen und vergangen. Damals hatten einige der Protagonisten und Prognostiker Unmengen von Medaillen hochgerechnet und von über Jahre hinweg unschlagbaren Teams gesprochen - es hat sich sehr schnell herausgestellt, dass diese einfache Rechnung nicht aufgehen konnte und dass 1+1 im Sport nicht automatisch 2 oder gar mehr ergibt.
Verändert hat sich seither auch und vor allem die Definition von Erfolg im Sport. Ja, wir wollen immer noch schöne Erfolge im Spitzensport, aber – das sei deutlich angemerkt - nicht um jeden Preis! Wir setzen in erster Linie auf vorbildliche Fairness und angemessenen Anstand im Wettbewerb. Ehrlichkeit und Demut vor diesen besonderen Werten des Sports bedeutet aus unserem Verständnis mindestens so viel wie die eine oder andere Medaille mehr. Im Klartext: Wir nehmen lieber die Fair-Play-Medaille mit nach Hause als einen Spitzenplatz im Medaillenspiegel.
Fair Play und Leistung schließt sich aber aus unserer Überzeugung nicht aus, und gerade deshalb haben wir eine Generation nach der Wiedervereinigung die Reform des Leistungssports ins Leben gerufen. Dies mit dem klaren Ziel, dass unsere Athlet*innen die bestmöglichen Rahmenbedingungen vorfinden und in den entscheidenden Momenten ihres Lebens ihr Potenzial abrufen und eben auch entsprechende Erfolge sichern und genießen können.
Erfolge sichern heißt für Sportdeutschland aber nicht nur, erfolgreichen Leistungssport zu entwickeln. Erfolg bedeutet für uns vor allem auch, möglichst viele Menschen in Bewegung zu bringen. Erfolg bedeutet auch, Kindern nicht nur Freude am Sport, sondern auch dessen wichtige Werte zu vermitteln und Erwachsene dabei zu ermuntern, diese Werte vorbildlich zu leben. Der wohl größte und international meist beachtete und beneidete Erfolg jedoch ist unser intaktes und weltweit einmaliges Vereinssystem, das sich auf das großartige Engagement von rund acht Millionen Ehrenamtlichen stützt. Rund 90.000 dieser „sozialen Tankstellen“ schaffen gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Zeit, in der dieser in vielen anderen Bereichen unseres Lebens deutlich erkennbar nicht mehr einfach zu sichern ist.
All dies zu bewahren und gekonnt weiter zu entwickeln, ist und bleibt auch 30 Jahre nach dem Mauerfall die große Herausforderung, die wir jedoch gerne annehmen und gemeinsam aktiv meistern wollen und werden.
(Autor: Alfons Hörmann, Präsident des DOSB)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.